Eine Stunde später stapfte die junge, motivierte Journalistin durch den Regen in Richtung Heimat. Sie hielt ihre Hand vor ihr Herz.
Jeder musste sein Herz offenbaren. Jeder immer sein Innerstes zeigen.
Keiner weiß mehr genau wann, aber es begann dass sich die sündhaften Gefühle der Menschen auf ihrer Haut zeigten. Von der Mitte der Brust ausgehend ziehen sich Linien, in den verschiedensten Farben, über die Haut. Grün für den Neid, den sie so oft bei Patricia sah. Rot für den Zorn. Violet für den Hochmut. Gelb für Habgier, blau für Wollust. Orange die Völlerei, braun die Trägheit. Und schwarz als Trauer.
Von der Mitte ausgehend erstreckte sich jede Linie. Es gab keinen Menschen, der nur sieben oder sechs hatte. Die ausgeglichenen hatten von jeder Farbe nur drei oder vier Linien, die nicht weit über den von der Kleiderordnung freigelegten Kreis nackter Haut herausgingen. Das waren die, die hohe Posten belegen durften. Die, die alle leiteten und dafür sorgten, dass Ordnung weiter herrschte.
Niemand konnte etwas verstecken, niemand konnte gut lügen. Manchen gelang es, so ruhig zu bleiben dass die Linien nicht zitterten, aber wenn die Lüge geglaubt wurde fühlten einige eine dermaßen starke Woge des Hochmuts, dass sie so oder so aufflogen.
Man nannte es allgemein das Herz, was man den Menschen ansah, und die Linien waren die Risse die ein Mensch in seiner Fassade hatte.
Sie holte den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf.
Es lag ein Zettel auf dem Tisch.
„Sind was essen."
Sie fühlte, wie sich für eine Sekunde Einsamkeit und Eifersucht in ihr breit machte, atmete dann aber tief ein und aus. Nur, weil sie nicht alles mit mir gemeinsam machen, heißt es nicht, dass sie mich nicht mögen. Sie haben mich gern, aber so wie ich mal Pausen brauche, brauchen sie es auch.
Noch einmal holte sie kontrolliert Luft, dann ging sie in ihr Zimmer um die Zeit zu nutzen, die sie nun ungestört zur Verfügung hatte.
Sie musste das Interview fertig stellen. Es sollte immer das Selbe sein, was die Anstalten verglich.
Ihre Chefin hatte ihr große Freiheit gelassen, und sie war ihr sehr dankbar dafür. Wenn jemand heutzutage in die Chefetage wollte, musste er oder sie eine unglaubliche Person sein, mit hohen sozialen Fähigkeiten. Burn-outs gehörten schon seit ewigen Zeiten der Geschichte an.
Nach einiger Zeit kamen ihre beiden Mitbewohnerinnen zurück. Sie machten viel Lärm. Jasmin nahm den Neid und die aufsteigende Wut erst zu spät wahr, da begann schon ihr Armband warm zu werden.
Aber es war ihr egal, sie rief: „Könntet ihr bitte ein wenig leiser sein? Es gibt Menschen, die hier versuchen zu arbeiten!"
Sie hörte die unterdrückte Aggression heraus. Sie spürte, wie das Armband immer wärmer wurde.
„Wir haben dir was mitgebracht, Sonnenschein", hörte sie dann Lisas Stimme. Schlagartig beruhigte sie sich. Die Temperatur des Armbands regelte sich herunter, in der gleichen Geschwindigkeit wie ihre Linien sich zum Ursprung zurück zogen und nur die normalen, charakterspezifischen zurück blieben. Viel rot, viel lila. Ein wenig grün. Der Rest gleichmäßig verteilt.
Sie stand auf und ging in die Küche, sich die vom Band verbrannte Stelle haltend.
Nach ein wenig oberflächlichen Gesprächen beendete Jasmin ihre Arbeit und ging zu Bett. Am nächsten Tag begannen die Interviews.
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Risse im Herzen
Short StoryCover by xEllenxB Todsünden bringen den Menschen vor die Hunde - und jetzt kann man diese sogar auf der Haut der Menschen sehen. Jasmin beginnt den Weg zu gehen, vor dem die anderen Angst haben. Sich selber ganz wahr zu nehmen. Und auszubrechen.