Gestern Nacht hatte ich nicht sonderlich viel Schlaf abbekommen, da sich die alten Erinnerungen von vor einem halben Jahr in meine Träume verwickelt haben und fürchterliche Albträume daraus wurden.
Die Folgen der täglichen Tortur meines Vaters, die sich jeden Morgen aufs Neue mit sich ziehen, tun immer noch weh, obwohl ich es mittlerweile eigentlich gewohnt sein sollte.
Zum Glück schläft der Rest des Hauses um diese Uhrzeit noch, so kann ich mich in Ruhe fertig machen und zur Schule fahren. Leider habe ich noch keinen Führerschein, daher heißt es für mich entweder mit dem vollgestopften Bus oder mit dem Fahrrad fahren.
Jedes Mal aufs Neue entscheide ich mich mit dem Rad zu fahren, da ich damit früher in der Schule bin und ungestört in der Bibliothek lesen kann. Dort habe ich auch meistens neue Ideen für mein Buch.
Um auf Nummer sicher zu gehen, schleiche ich mich leise hinaus, was bei unserem alten Bauerhaus jedoch nicht so leicht ist, weil beinahe bei jedem Schritt der alte Holzboden knarrt.
Die Sonne geht erst in einer dreiviertel auf, weshalb ist es draußen noch Stock dunkel ist. Gut für mich, so kann ich zur Schule fahren ohne, dass mich die Nachbarn erkennen und es meinen Eltern petzen, denn die denken das ich erst nach ihnen das Haus verlasse.
Während der Fahrt peitscht mir der kühle, trockene Sommerwind entgegen, doch es macht mir nichts aus, da das jeden Morgen so ist.
Einige Minuten später stehe ich vor einem großen Gebäude mit der Aufschrift Bundesoberstufenrealgymnasium, meine derzeitige Schule, die ich mit diesem Semester abschließen werde.
Danach hätte ich vor studieren zu gehen, jedoch hab' ich noch keinen Plan woher ich das ganze benötigte Geld für das Studium herbekommen soll, aber ich bin mir sicher, dass ich noch eine Lösung finden werde.
Mein Rad stelle ich neben den Eingang und sperre es ab, man weiß ja nie. Ich öffne die schweren Türen und betrete die leergefegte Aula, in einer viertel Stunde wird hier die Hölle los sein.
Aus diesem Grund mache ich mich sofort auf den Weg in die Bibliothek. Dort suche ich das Buch, bei dem ich jeden Tag weiter lese und mittlerweile schon ein Drittel davon geschafft habe.
Doch es steht nicht an der Stelle, an der ich es gestern erst hingestellt habe, nein es ist weg. Daher fahre ich mit meiner Suche fort, werde jedoch nicht fündig. So sitze ich ohne Buch in der Bibliothek, denke stattdessen nach, vergesse alles um mich herum und versinke dabei in meine eigene kleine Welt.
Erst als mich der Bibliothekar mehrmals an der Schulter antippt, erwache ich aus meiner Tagträumerei und schrecke kurz auf. „Entschuldigung. Ich wollte dich keinesfalls erschrecken, aber der Unterricht hat bereits begonnen. Geh lieber in deine Klasse, Robin."
Da ich beinahe jeden Tag hier bin, habe ich mich mit dem Bibliothekar, Herrn Beier angefreundet. Seit einiger Zeit bin ich per du mit ihm und darf ihn Kurt nennen.
Eigentlich wäre Kurt schon längst in Pension, er hat jedoch drauf bestanden weiterhin hier in der Bibliothek zu arbeiten, worüber ich sichtlich froh bin. Mit ihm kann ich einfach über alles reden, er ist wie mein Opa, den ich nicht sonderlich oft zu Gesicht bekomme.
Mit einem leisen „Tschüss" verlasse ich die Bibliothek und gehe in mein Klassenzimmer. Der Unterricht hat schon vor vier Minuten begonnen, aber zum Glück hab' ich in der ersten Stunde Psychologie mit Herrn Auer, der nicht so streng ist, wie der Rest der Lehrermannschaft.
In solch einer Situation bin ich heute das erste Mal seit meiner gesamten Schulzeit, ich vor der geschlossenen Klassenzimmertür, höre von drinnen den Lehrer bereits unterrichten. Ich habe einfach keine Ahnung was ich sagen soll, daher öffne ich die Tür und sage kurz und schmerzlos „Guten Morgen".
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Friendship ~ What's that?
General FictionRobin, ein aufgewecktes freches Mädchen, das jedoch nicht unbedingt den weiblichen Idealen entspricht. Shopping, Make-Up, hohe Schuhe, Kleider und Röcke sind Fremdwörter für sie. Sie ist anders, anders als die anderen Mädchen. Nicht nur dieses Ander...