Die überschrittene Grenze

13 3 0
                                    


"Wie auch immer Michan, wir werden uns Morgen bestimmt noch mal begegnen." Pibauraie! Ich hasse ihn und das wirklich aus tiefstem Herzen. Ich will hier raus. Die ganzen Experimente, ich will nichts davon mehr erleben. Ich will alles davon vergessen.

Die nächsten Stunden vergehen nur schleppend bis ich einschlafe. Seit langem Träume ich wieder von etwas Gutem. Von dem Haus meines Onkels Eskines, wie ich frei war. Seine Frau Rois hat Hattit Kit gemacht, eine Nachspeise aus Buttermilch, Sahne, Zimt und Zucker, und das Haus duftet danach. Es ist warm und gemütlich. Ich fühle mich wohl. Ich bin entspannt und ruhig. Alle Anspannung ist von mir abgefallen und ich kann es genießen. Ich treffe Artair, einen guten Freund von mir und Euna, in die ich mal verliebt war. Keine Sorgen, keine Angst, keine Qual.

Doch dann bin ich auch wieder wach. Die Tür zu meinem schutzlosen Gefängnis öffnet sich. Mehrere Personen kommen herein. Es sind auch neue Personen dabei. "Das ist er also, ziemlich dünn." sagt eine der neuen Personen. "Sein Fasten ist für ihn eine Rebellion gegenüber uns.", erklärt ihm einer der Forscher. Diese ...Forscher lügen wie gedrückt. Ich kann es kaum glauben, dass sie behaupten ich würde aus eigenem Willen hungern. Sie geben mir doch nur kein Essen, damit ich so schwach wie möglich bin. Sie hungern mich aus und ich bin auf sie angewiesen. Sie hätten es verdient, dass man sie aushungert. Dass ihnen das widerfährt, was sie mir antun, damit sie erfahren wie es sich anfühlt. Jemand zu sein der keine Bestimmung über sein Leben besitzt. Man fühlt sich wie auf den wackeligen Schultern einer fremden Person die zusammenzubrechen droht. Von deinem Gewicht schwächelt. "warum ist er geknebelt?" fragt eine andere der neuen Personen. "Wie könnte man sich konzentrieren, wenn er eine unheimliche Lautstärke bewirkt?" antwortet wieder derselbe Forscher. Lautstärke?! Meine Gedanken überschlagen sich. Ihnen werde ich noch Lautstärke bewirken, dass sie sich immer konzentrieren können. Das ihre Haarsinneszellen, die für ihren Gehörsinn sorgen, restlos zerstört werden. Nur weil ich bestimmte Fähigkeiten besitze, werde ich seit Jahren entrechtet und seit kürzerem systematisch gefoltert. Sie belügen alle über meine Existenz und wollen all das was sie mir antun legitimieren? Meine Wut steigt ins unermessliche. Sie haben mir meine menschliche Würde genommen. Meine Freiheit. Sogar meine Menschlichkeit. Doch meine Hoffnung werden sie mir nicht nehmen. Die Luft um mich herum beginnt zu beben, sie flimmert und ich spüre meine Macht. Sie verdichtet sich in mir und ich werde ruhig, so ruhig wie seit einer Ewigkeit nicht mehr. So ruhig, wie seit einem Ereignis nicht mehr. Doch dieses Mal ist es mehr. Es ist unter meiner Kontrolle, ich dominiere es selbst. Diese Ruhe ist aber auch laut. Nicht im Sinne von Geräuschen, sondern mich übermannenden Gefühlen. Denn es waren meine vergangenen Jahre. Alles scheint in mir hoch zu kochen. Dann lasse ich es los. Nicht viel, nur einen Hauch.

Die Forscher um mich herum beginnen zu schreien, sie kreischen und weinen und sind entsetzt und verstört. Der unüberhörbare Alarm tönt durch die Anlage. Ich liege nackt und von allen fesseln befreit in der Luft, schwebe frei. Langsam richte ich mich auf. Die offenkundigen Beamten in ihren Anzügen schauen mich geschockt an. Selbst Pibauraie steht zitternd an eine Wand gedrückt in einer Ecke des Raumes. Kalt und rau ertönt meine nicht wieder zu erkennende Stimme, "Ich könnte jeden von Ihnen töten, Jeden!" Es ist als wäre ich fremd gesteuert und doch Herr meiner Lage. Ein paar der Forscher hören nicht auf zu schreien. Distanziert beobachte ich sie, bis mir etwas an ihnen auffällt. Teile ihres Körpers fehlen, ein Finger, ein Arm, Teile des Rumpfes. Erschrocken von dem was ich sehe lasse ich wiederholt los, wieder nur einen Hauch , vlt. ein kleines bisschen weniger als zuvor. Doch Augenblicklich verschwindet der Körper eines vor mir liegenden Forschers, bis auf seine linke Seite, als auch weitere Teile anderer Forscher. Im Gegensatz zu meinem vorherigen loslassen beginnt jetzt jedoch Blut zu fließen. Wo eben ganze Körperteile ohne einen Beweiß ihrer Existenz, beziehungsweise ihres Fehlens einfach verschwanden, strömt Blut auf den Boden des kleinen Raums. Es fließt durch den ganzen Raum und beginnt auch blad darauf meine Knöchel zu umgeben. "Nein, nein, nein." Schnell flüstere ich diese Worte vor mich hin und renne durch eine Wand in den nächsten Raum. Kein Blut klebt mehr an meinen Füßen und ich renne weiter. Dass ich Forscher verletzt und getötet habe, dass dies meine Schuld ist sickert nur vernebelt in mein Bewusstsein. Dennoch sind die Forscher auch der Grund, warum ich meine Fähigkeit eingesetzt habe. Denn obwohl ich so eine Gefahr für andere darstellen kann, wie mir durchaus bewusst ist, darf ihnen das keine Berechtigung geben mir das vergangene angetan zu haben. Ich habe das Bedürfnis frei zu sein. Es ist mein Recht. Ich habe ein Recht darauf nach meinen Vorstellungen zu leben. Und ich bin bei weitem nicht der erste, der sich seine Freiheit blutig erkämpfen muss.

Ein einziges SubjektWo Geschichten leben. Entdecke jetzt