Kapitel 1

19 3 3
                                    

Ein eisiger Wind fegte über das Land und ließ Naok erschaudern. Der Herbst hatte begonnen und färbte die sonst grüne Landschaft braun und rot.

Nichts jedoch konnte so kalt sein wie das Herz von Naok.

Kein Gefühl regte sich in ihm, kein Bedauern, keine Träne wollte mehr fließen, es war, als hätte es seine Mutter und sein Dorf nie gegeben.

Ohne nach zu denken, hatte Naok seine Heimat verlassen, denn nachdem seine Mutter gestorben war, hatte Naok den Gedanken, dort nicht mehr hinzugehören.

Naok hatte sich nie um Gefühle geschert und irgendwann war es, als hätte er keine mehr. Ihm war alles egal. Es kümmerte ihn auch nicht, was nun aus ihm wurde.

Er hob den Kopf und blickte in den grauen Himmel.

Nichts ist mehr von Bedeutung.

Die Sonne senkte sich bereits zum Horizont hinab, als Naok anhielt, um eine Pause zu machen. Den ganzen Tag war er ziellos gen Sonne gelaufen, ohne zu wissen, wohin sie ihn führte, doch jetzt, da sie unterging, musste Naok eine Rast einlegen.

Er schaute sich prüfend um. Hinter ihm erstreckte sich das weite Grasland, vor ihm türmte sich ein dichter Nadelwald auf und als er gen Osten sah, schimmerten die Berge am Horizont.

Im Nadelwald wird es schwierig, der Sonne zu folgen.Vielleicht sollte ich morgen früh eine andere Richtung einschlagen. Solange bleibe ich in diesem Wald.

Naok betrat den finsteren Wald und richtete sich am Fuß einer großen Tanne einen Lagerplatz ein.

Als er sich auf den kühlen Boden legte, wurde er von Gedanken überflutet.

Bilder erschienen vor seinem geistigen Auge, wie er als Kind zwischen den Bäumen umher gerannt war. Wie er Jagd auf Tiere gemacht hatte, damit seine Mutter das Fleisch kochen konnte.

Bei dem Gedanken daran, wie glücklich er als Kind war, wurde Naok bewusst, dass seine Mutter, der einzige Mensch, der Naok je etwas bedeutet hatte, nicht gewollt hätte, dass ihr noch lebender Sohn ein so unglückliches und verlorenes Leben führt.

Ich empfinde also doch noch Gefühle. Ich möchte meine Mutter stolz machen.

Mitten in der Nacht wachte Naok auf. Der Mond war voll und rund und spendete eine Menge Licht.

Naok stand auf und und streckte seine verspannten Glieder, dabei fiel ihm seine gestrige Entscheidung wieder ein.

Er überlegte einen Moment, aus welcher Richtung er gekommen war und wollte schon wieder zurückgehen, doch irgendetwas hielt ihn zurück.

Es war wie ein stiller Ruf, der ihn tiefer in den Wald lockte. Er drehte sich um und folgte dem Ruf.

Tiefer und tiefer ging er in den Wald. Alles war still, als würde hier kein einziges Lebewesen leben, nur seine leisen schnellen Schritte durchbrachen die Stille, und Naok hatte das Gefühl, etwas verbotenes zu tun. Es kam ihm vor, als würde der Wald nicht wollen, dass er so tief vordringt, doch er kam nicht um das Gefühl herum, dass etwas – oder jemand – auf ihn wartete.

Er stolperte zwischen den Bäumen hindurch, mit starrem Blick voraus und so wurde ihm erst viel später bewusst, dass der Wald um ihn herum von Nebel eingehüllt wurde.

Still und gefährlich waberte er um die Stämme und Naoks Beine herum.

Aus reinem Instinkt hielt Naok an und wartete gespannt, ob sich etwas regte, doch es blieb ruhig und doch wusste Naok, dass vor ihm im Nebel etwas lauerte, etwas großes und gefährliches und etwas, dass ihn absichtlich hierher gelockt hatte.

***

Ich widme dieses Kapitel dem Lieben Tobi, weil er mich erst auf die Idee gebracht hat ;) Du bist dann als nächstes dran Philipp :) (denn offensichtlich kann man das hier keinen zwei Leuten widmen -.-)

Dunkles BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt