Thomas legte sich völlig grundlos mit den Punks an, die vorm Hauptbahnhof auf den schmutzigen Steinplatten saßen und Bier tranken. Eigentlich hatten er und seine Freundin Debby nur noch wenige Minuten bis ihre Bahn abfuhr, aber daran dachte er nicht.
„He, ihr Penner!", brüllte er den drei Kerlen schon aus einigen Metern Entfernung zu. Die Außenbeleuchtung des Bahnhofsgebäudes warf Licht auf einen grünen Irokesen und schwarze, wild abstehende Haarsträhnen. Ketten und Nieten reflektierten einzelne Lichtstrahlen.
„Was soll das werden?", zischte sie und drückte seine Hand ein wenig fester, aber er wandte ihr nicht mal den Blick zu. Stattdessen fixierte er den Kerl mit dem Iro, der ihm eine Antwort zubrüllte ohne vom Boden aufzustehen.
„Was willst du?"
„Verpisst euch mal hier, ihr Asis. Wenn ich mit meiner Freundin vom Club nach Hause geh, will ich solche Verlierer wie euch nicht sehen!" Er zog Debby mit sich nach rechts vom Eingang weg und blieb wenige Schritte von der Gruppe entfernt stehen, sie gezwungenermaßen mit ihm. Sie schaute ihn von der Seite an.
Was war plötzlich in ihn gefahren?
Ja, er hatte was getrunken.
Ja, manchmal wurde er dann aggressiv.
Aber wieso zum Teufel pöbelte er plötzlich fremde Menschen auf dem Heimweg an?
„Geh weiter, bevor du dich in Schwierigkeiten bringst", erwiderte der Punk mit dem schwarzen Haar.
Thomas ließ Debbys Hand los und nahm die Schultern zurück.
„Drohst du mir?", fragte er.
„Komm jetzt!" Sie griff nach seinem Handgelenk, aber er zog seinen Arm weg.
„Ich geb' dir nur einen Ratschlag", sagte der Punk.
„Du brauchst dich gar nicht so aufbauen", mischte der mit dem Iro sich ein. „Drei gegen einen sieht nicht gut aus für dich."
„Ich geh jetzt nach Hause", zischte Debby. Der einsame Bahnsteig bei Nacht war bestimmt nicht gefährlicher als ihr Freund, der vollkommen unnötig eine Prügelei heraufbeschwor.
„Halt den Mund!", fuhr Thomas sie an. Für einen kurzen Augenblick wandte er ihr den Blick zu, seine Augen funkelten wütend.
Sie zog die Augenbrauen hoch, klappte den Mund auf, sagte aber nichts. Wenige Sekunden herrschte Stille, dann drehte sie sich um und eilte auf die Türen zur mäßig beleuchteten Bahnhofshalle zu. Aufsteigende Tränen ließen die Menschen in ihren Augenwinkeln zu einfarbigen Klumpen verschwimmen, ein paar gemurmelte Worte hallten von den hohen Decken wider und die Stimme von Thomas verschwand, als die Glastür hinter ihr zufiel.
S7 Gleis 3 Abfahrt: sofort, verkündete die leuchtende Anzeigetafel und sie rannte los. Links die Treppe rauf, nach rechts abbiegen, links zum Gleis 3 hoch. Als sie außer Atem oben ankam, konnte sie nur noch die verschwommenen Rücklichter des Zugs erblicken.
„Verdammter Mist!" Sie zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen von den Wangen, während der schneidende Wind an ihrer Kleidung zupfte. Thomas sollte bei ihr sein. Der Abend war schön gewesen mit ihm, seinen Kumpels und ihren besten Freundinnen. Wieso legte er sich jetzt lieber mit ein paar völlig Fremden an, statt mit ihr nach Hause zu fahren und sich ins Bett zu kuscheln? Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper.
Vierzig Minuten bis die nächste Bahn kam.
Das Geräusch von Schritten erklang auf der Treppe und Debby wich ein Stück zurück. War das Thomas, der zur Vernunft gekommen war? Oder war es ein Fremder, der gesehen hatte wie sie allein die Stufen hinaufgerannt war? Sie hielt die Luft an und machte sich bereit zu fliehen.
Die Schritte erklommen die Stufen. Zuerst tauchte der schwarze Haarschopf auf, dann ein blasses Gesicht mit zwei Piercings nebeneinander auf der linken Seite der Unterlippe. Sie drehte sich weg.
„Keine Angst, ich tu dir nichts. Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist, nachdem deinem Kumpel schon scheiß egal ist, dass du hier ganz allein bist", hielt der Punk sie zurück.
Debby musterte ihn. Er blieb oben an der Treppe stehen und machte keine Anstalten ihr näher zu kommen, während sie sich über ihre feuchten Wangen wischte und die Nase hochzog.
„Alles super", erwiderte sie heiser und räusperte sich. „Hab nur meinen Zug verpasst."
Er nickte und schaute an ihr vorbei.
„Soll ich mit dir warten?"
Am Ende des Bahnsteigs entdeckte sie eine Gruppe von vier oder fünf Männern in dunkler Kleidung, allesamt groß gewachsen und breit gebaut. Sie schluckte das Nein auf ihrer Zunge runter und nickte stattdessen.
„Wenn's dir nichts ausmacht", sagte sie leise.
„Tut's nich'", meinte er und lächelte, ehe er an ihr vorbei zu den metallenen Bänken rüberging, die direkt neben den Mülleimern im Boden verankert waren. Er setzte sich und sie tat es ihm nach kurzem Zögern gleich. Aus der Tasche seiner mit Nieten besetzten Lederjacke holte er eine Schachtel Zigaretten hervor und hielt sie ihr hin.
„Möchtest du eine?"
Sie schüttelte den Kopf und er zog die Packung zurück, um sich selbst eine rauszunehmen, während sie die Arme enger um ihren Oberkörper schlang. Die Kälte des Metalls durchdrang ihre dünne Hose, während der schneidende Wind unter ihre Jacke kroch.
„Ist dir kalt?", fragte er und sie schüttelte erneut den Kopf. Er schaute sie skeptisch an, steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen, stand auf und zog seine Jacke aus. Vorsichtig hängte er sie ihr um die Schultern und hob die Hand, als sie protestieren wollte.
„Ich seh', dass du frierst, also lass sie an. Ich brauch' sie gerade eh nicht."
„Na schön", murmelte sie und zog die Jacke enger um sich. Der kalte Wind prallte an dem abgetragenen Leder ab und ihr wurde sofort wärmer.
Zehn Minuten lang schwiegen sie. Der Punk rauchte und schnipste seinen Kippenstummel über den Rand des Bahnsteigs auf die Gleise. Wieder kamen Schritte die Treppe rauf und diesmal war es Thomas, der Stück für Stück auftauchte.
Zuerst erblickte er den Punk, dann Debby.
„Was willst du hier?", zischte er und ging mit großen Schritten an ihm vorbei zu ihr, die von der Bank aufstand. „Ist alles in Ordnung, mein Schatz?", wandte er sich an sie und griff nach ihrer Hand, ehe er den Punk wütend ansah.
„Alles gut", murmelte sie, entzog sich seiner Berührung und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Bin schon weg", sagte der Punk, stand auf und warf ihr noch einen kurzen Blick zu, ehe er so nah an Thomas vorbeiging, dass ihre Schulter sich berührten. Schnellen Schrittes lief er die Treppe runter.
„Pass bloß auf", zischte Thomas und straffte die Schultern. Er schaute ihm hinterher bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war und drehte sich dann zu Debby. „Hat er dich angefasst?", fragte er und streckte die Hand nach ihr aus, aber sie machte einen Schritt zurück.
„Nein. Er hat aufgepasst, dass mich niemand anfasst, weil du ja Besseres zu tun hattest", gab sie zurück.
„Aufgepasst, ja? Und wieso hast du seine Jacke an?", fragte er und schaute an ihr runter.
„Er hat sie mir angeboten. Weil mir kalt war. Aber das ist eigentlich auch schieß egal jetzt, Thomas, du kannst nämlich zu dir nach Hause fahren und das alleine. Ich lass mir weder von dir den Mund verbieten, noch hab ich Bock darauf, dass mein Freund grundlos irgendwelche Leute anpöbelt!"
„Was? Nein. Wir wollten doch zusammen zu dir, komm schon. Ich hab mich schon drauf gefreut gleich mit dir im Bett zu kuscheln", sagte er und streckte zum dritten Mal die Hand nach ihr aus.
Debby schüttelte den Kopf.
„Das hättest du dir früher überlegen müssen", sagte sie und lief den Bahnsteig runter. Weg von den Männern mit den Bierflaschen und weg von Thomas.
Noch vierundzwanzig Minuten.
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Guck mal, die Asis [LESEPROBE]
Teen FictionDer Punk Farin raucht zu viele Zigaretten und weckt in Debby in einer kalten Nacht am Bahnsteig den Wunsch etwas Verrücktes zu tun, obwohl sie mit ihren besten Freundinnen und ihrem sie liebenden Freund eigentlich alles hat. „Typen wie er sind gefä...