Elftes Kapitel

1K 34 9
                                    

Elftes Kapitel

„Was? Er ist doch bestimmt gerade mal Achtzehn, oder?“ Nun war ich dran, mich zu wundern.

„Er sah höchstens wie zwanzig aus, nein, nicht mal.“ Aron runzelte wie so oft die Stirn. „Er mag groß sein, jedoch scheint er noch verhältnismäßig jung. Keine zwei, drei Jahre älter als wir.“

„Er hat eine Klasse übersprungen, dann jedoch trotzdem seine Schulzeit abgebrochen und einen verfrühten Abschluss gemacht“, erklärte Marvin, nun wieder ganz gefasst. „Er sagte, er habe genug. Tja, und Vater hat es zugelassen.“ Vater, dachte ich mir, kratzte mich am Kopf. Ist das etwa der Kerl, der damals, als ich niedergestreckt wurde, auf dem Schulhof erschienen ist? Unmöglich!

„Und arbeitet Josh jetzt schon?“ Aron riss mich ziemlich schnell wieder aus meinen Gedanken, doch ich verstand beim besten Willen nicht, weshalb er das wissen wollte. Es stand doch fest, dass die drei eine Verbrecherbande waren, die in der Stadt ihr Unwesen trieben.

„Er arbeitet wieder an einer Tankstelle. Genau wie früher.“

Beim besten Willen, ich konnte mir Josh nicht in einer Tankstelle vorstellen.

„Huch, wir sind ja schon bei der Schule“, bemerkte Marvin in diesem Moment erleichter und eilig verschwand er zu Mike, als wolle er sich bei ihm in Sicherheit vor uns und unseren Fragen bringen.

Als der Lehrer in die Klasse kam, konnte ich mir nur knapp ein Gähnen verkneifen, während ich mein Buch und Heft auf den Tisch legte. Ich konnte es nur zu deutlich spüren – es war Zeit für eine kleine Lektüre. Doch dazu kam ich vorerst nicht, denn Marvin beugte sich zu mir nach vorne und raunte: „Na, Joshs Ratschläge haben wohl geholfen, wie ich sehe. Du siehst weit besser aus als gestern.“ Es klang nicht wirklich wie ein Kompliment.

„Dein Bruder ist wohl ein Multi-Talent“, knurrte ich in einem ebenfalls nicht besonders freundlichen Ton zurück. „Außerdem: Das war meine eigene Idee, ich brauchte ihn gar nicht.“

„Tu doch nicht so. Josh ist einfach genial, da kann man nichts machen. Ohne ihn würdest du immer noch aussehen, wie frisch aus der Leichenkammer entflohen. Jetzt wirkst du immerhin nur fast tot.“

„Dora, was tust du denn da? Sei jetzt bitte still“, forderte nun der Lehrer, der natürlich nur mich verdächtigte, aber das war ich ja schon gewohnt.

„Zieh doch dahin, wo der Pfeffer wächst!“, fluchte ich leise in Marvins Richtung, setzte mich jedoch schnell gerade hin, als der Lehrer mir erneut einen warnenden Blick zuwarf.

„Sei nicht traurig“, zischte mir Mike gehässig zu. „Irgendwann musst du dich damit abfinden. Tja, mal verliert man, mal gewinnen die anderen.“ Der Spruch war seit neustem sein Lieblingsspruch und es war nicht das erste Mal, dass ich ihn aus seinem Mund hörte und ihm dafür am liebsten einen Tritt verpasst hätte. Trotzdem blieb ich gerade sitzen und starrte stur nach vorne.

Endlich klingelte es zur Mittagspause und mit erleichterten Gesichtern flohen die Schüler aus dem Klassenzimmer. Ich nahm mit etwas mehr Ruhe meinen halben Keks (die andere Hälfte hatte ich bereits vorher vor lauter Langeweile verputzt) und ein Buch, womit ich dann in die Pausenhalle schlenderte und mich dort auf den Sitzstufen niederließ. Hier schlug ich mein Buch auf, biss einmal halbherzig in den Keks und begann zu lesen – von diesem Moment an vergaß ich nicht nur die spärliche Mahlzeit in meiner Hand, sondern auch alles um mich herum. So ließ ich vor Schreck beinahe meinen Keks fallen, als jemand mich ansprach.

„Du scheinst ja nicht sonderlich Hunger zu haben.“ Es war Marvin. Ein Wunder, dass er alleine auftauchte, manche Mädchen aus unserer Klasse hatten es sich nämlich anscheinend zum Hobby gemacht, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Behutsam ging er vor mir in die Hocke, sodass wir auf gleicher Höhne waren.

Das letzte TorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt