✴ der vierte Schuss - Frau Seitenschlag ✴

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Frau Seitenschlag war immer eine meiner liebsten Lehrerinnen an der Grundschule gewesen. Doch das schützte sie nicht etwa, sondern machte sie zu einem weiteren perfekten Ziel.
Auf sie schoss ich an einem Dienstagmorgen zum ersten Mal.

Eigentlich hatte sie mir nur helfen wollen, das hatte sie immer.
Doch war ich nicht gewillt gewesen, diese Hilfe zu erkennen oder gar anzunehmen.

Frau Seitenschlag hatte als erste die blauen Flecken entdeckt, die meinen ganzen Körper zierten. Die, die ich stets trug, seit diesem einem entscheidenden Moment an dem ich meinen Großvater das erste Mal an sein Trauma erinnerte. Irgendwie musste er mich von da an als eine ständige lästige Erinnerung an etwas gesehen haben, mit dem ich im Grunde nichts zu tun hatte. Nur wegen einer neugierigen, dummen Kinderfrage.
Jedenfalls sorgte er von da an regelmäßig dafür, dass die blauen Flecken auch blieben.

Mir war der Ärmel meines Pullovers hochgerutscht, die ich selbst im Sommer trug, weil es meiner Oma peinlich war, mich so aus dem Haus zu lassen. Sie wollte lieber den Schein der fürsorgenden Großeltern wahren. Meine Eltern waren in der Zwischenzeit gestorben und später sollte ich erfahren, dass mein Vater ein Alkoholproblem gehabt und deswegen oft so ausfallend laut geflucht und sich im Ton vergriffen hatte. Sie waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie mich gerade nach einem weiteren Tag bei meinen Großeltern abholen wollten. Papa war besoffen am Steuer gesessen und hatte einen LKW übersehen, der die Spur wechselte. Es war wohl sicher kein schöner Anblick für die Polizisten und Rettungssanitäter.

Die Lehrerin hatte mich an diesem Dienstag nach der Stunde noch kurz bei sich behalten. Sie quetschte mich über Zuhause aus und darüber, wie es bei meinen Großeltern so war.
Ich log sie an. Erzählte ihr, dass alles bestens sei.

Als sie mich auf die blauen Flecken an meinem Arm ansprach, log ich erneut.
Ich erzählte ihr ich sei gestolpert und die Treppe runter gefallen.

Damit schoss ich unwissentlich ihre gut gemeinten Mühen über den Haufen.

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