Begegnung in Fahrt

Warten

Vor 6 Monaten und 5 Tagen
Dieses Mal musste ich für sie die Tür aufhalten. Hastig verabschiedete sie sich noch von einer Freundin und sprintet zu mir in den Aufzug, dessen Türen ich, allein mit Einsatz meines gesamten Körpergewichts, daran hindern konnte sich vor ihrer Nase zu schließen. "Vielen Dank!" stieß Sie hervor und Strich sich ihre Locken aus dem Gesicht.
"Wollte nur meine Schuld begleichen" gab ich zwinkern zurück.
Zwei Stockwerke lang sagte keiner von uns mehr etwas. Schließlich bemerkte ich: "Wie ich sehe, hast du dich wohl dazu entschieden die fehlenden Eier in Kauf zu nehmen." und spielte somit darauf an, dass sie nie bei mir vorbei gekommen war um sich offiziell vorzustellen.
"Oh nein, auf meine Pancakes könnte ich niemals verzichten! Ich fürchte du warst nur nicht da als ich meinen Rundgang gemacht habe. Dir sind ein paar sehr leckere Cup Cakes entgangen!"
"Dabei würde ich mir, im Austausch gegen ein paar gute Cup Cakes, sogar extra ein Huhn für deine morgendlichen Eierpfannkuchen anschaffen"
Die Sommerspeossen auf ihrer Nase kräuselten sich, als sich ihre Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen. "Das hört sich verlockend an. Sollte ich mich je wieder dazu durchringen können selber einen Schneebesen in die Hand zu nehmen, werden ich an dich denken"
"Das hört sich ja fast so an, als stünden du mit Cup Cakes seit neustem auf dem Kriegsfuß. "
"Hast du eine Ahnung! Für das Topping musste man ernsthaft Eier über dem Wasserbad mit der Schokolade verquirlen und das war noch nicht mal der komplizierteste Teil! Trotzdem war ich froh, dass ich am Ende nicht ganze Spiegeleier in meiner Schokolade schwimmen hatte!"
"Warum denn eigentlich nicht? Das könnte eine gute Geschäftsidee sein!
"Wenn du meinst. Ich werde gleich morgen ein Patent darauf anmelden!"
Der Aufzug hielt in meinem Stockwerk und ich verabschiedete mich von ihr. Dabei viel mir auf, dass ich immer noch nicht ihrem Namen kannte. Doch ehe ich sie fragen konnte, schlossen sich die Türen auch schon wieder hinter mir.

Vor 5 Monaten und 28 Tagen
Es war nicht so, als würde ich darauf hoffen sie zu sehen, sobald ich den Aufzug betrat. Das kam erst später. Ich musste einfach hin und wieder an sie denken, während ich beim aufzugfahren darauf wartete, dass ich unten ankam und die Türen sich wieder öffneten. Doch sobald ich diesen engen Raum verließ hatte ich auch meist sie wieder vergessen. Falls ich überhaupt den Aufzug nahm. Ich fühlte mich nicht wohl in engen Räumen und bevorzugte das Treppensteigen. Ganz im Gegensatz zu ihr, wie sie mir gegenüber ja schon bei unserer ersten Begegnung erwähnt hatte.
Trotzdem tat sie mir sofort leid, als ich sie diesmal sah.
Wir waren beide auf dem Weg nach unten. Sie befand sich bereits im Aufzug, als ich den schmalen Raum betrat. Obwohl selbst das Wort Raum viel zu schmeichelhaft war, für dass bisschen Platz, dass man hier hatte. Jedenfalls was meinen Geschmack betraf.
Doch auch sie schien sich heute nicht besonders wohl hier zu fühlen. Ihr Blick huschte umher, streifte mich nur kurz und wanderte dann wieder zu den kahlen Wänden. Das Lächeln welches sie mir schenkte, war nicht halb so strahlend, wie das der letzten Male und eigentlich kaum als ein solches zu bezeichnen. Mein "Hallo" erwiderte sie nicht. Ich war mir noch nicht einmal sicher, dass sie es überhaupt gehört hatte. Da sie es ganz offensichtlich vermied zu mir hinüber zu sehen, hätte ich ausreichend Zeit sie zu mustern:
Ihre braunen, lockigen Haare, die ihr bis knapp unters Kinn reichten, sahen heute ziemlich zerzaust aus. Als wäre sie noch nicht dazu gekommen sich zu kämmen. Unter ihren Augen hatte sie tiefe Augenringe und ihre Haut war blass. Zu blass. Die Sommersprossen auf ihrer Nase hoben sich, auf fast gespänstische Weise, von dem hellen Weiß ab.
Ich überlegte, ob ich sie fragen sollte, ob alles okay bei ihr sei, ob ich ihr irgendwie helfen könnte, doch ich wollte nicht, dass sie sich von mir belästigt fühlte. Bevor ich zu einer Entscheidung kommen konnte öffneten sich die Aufzug Türen auch schon wieder und sie hastete an mir vorbei in den Eingansbereich. Als ich sie durch die große Schiebetür nach draußen treten und verschwinden sah, ärgerte ich mich, dass ich den Mund nicht aufgekommen hatte.