Kajereleiter

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Vor 5 Monaten und 2 Tagen
"Hi"
"Hi"
"Also...? "
"Also?"
"Was kannst du mir über dich erzählen?" Für einen kurzen Moment war ich verwirrt. Wieso sollte ich ihr etwas über mich erzählen? Da viel mir unser Gespräch von letztem Mal ein und ich begriff wovon sie sprach.
Blöd eigentlich, dass ich mir gar keine Gedanken mehr dazu gemacht hatte, sonst hätte ich mir vielleicht ein paar spannende Fakten über mich zurecht legen können. Doch so schien es, als müsste ich ins kalte Wasser springen.
Für einen kurzen Augenblick wurde mir bewusst, dass es mir tatsächlich wichtig war, was sie von mir hielt. Dass ich wollte, dass sie mich ebenso faszinierend fand, wie ich sie. Doch der Gedanke war schnell wieder verflogen.
"Tja, lass mich einen Augenblick nachdenken... " ich tippte mir mit meinem Zeigefinger gegen die Lippen und ließ es zu, dass sie mich belustigt musterte.
"Also, was gibt es spannendes über mich zu erzählen? Wäre ja peinlich, wenn sich da nichts finden ließe!" überlegte ich laut.
"Oh, ich bin mir ganz sicher, dass du was findest. Tatsächlich glaube ich, dass es keine Person auf der Welt gibt, die nicht mindestens eine spannende Sache über sich zu erzählen hat."
"Hm, also erzählen könnte ich dir viel, nur »spannend« ist ja definitions Sache."
"Dann erzähl mir das, was deiner Meinung nach spannend ist. Ich finde alles interessant."
"Na, wenn du so leicht zufrieden zu stellen bist...:" Ich sammelte kurz meine Gedanken, dann fuhr ich fort. "Mit 15 wurde ich mal Jugendchampion im Kickboxen. Mit 16 hab ich mir meinen Knöchel gebrochen und darf ihm seid dem leider keiner zu großen Belastung mehr aussetzen. Das wars dann mit meiner Kajere als Sportler. Danach war es für mich erst mal schwierig einen weiteren Sinn in meinem Leben zu sehen. Ich hab die Schule vernachlässigt und bin ein wenig auf die schiefe Bahn geraten - bis ich für zehn Tage in den Knast musste. Ein Glück würde ich heute sagen. Die Zeit, und vor allem die Menschen dort, haben mir klar gemacht, dass ich so nicht enden will. Ich hab mich zusammengerissen und mein Abi mit Bravour bestanden. Ich hab sogar ein Stipendium bekommen, welches ich allerdings ablehnte, weil mir schon bald klar war, was ich wirklich machen wollte: Wenn ich schon nicht selber kämpfen konnte, so war ich doch immer noch in der Lage es anderen beizubringen. Also habe ich meinen eigenen Fightclub aufgemacht. Es hat eine Weile gebraucht bis die Sache ins Rollen kam, doch inzwischen habe ich 12 Angestellte und einige lernbegirige Schüler, wie auch Schülerinnen. Ich... "
"Kleinen Moment" unterbrach sie mich und fuchtelte mit ihrem Zeigefinger vor mir herum "und wie alt sagtest du bist du?"
"24"
"Oje," Sie starrte mich mit einem entsetzten Ausdruck im Gesicht an. Ich überlegte, was ich wohl falsches gesagt haben könnte. Doch dann kratzte sie sich am Kinn.
"Ich habe gerade das drängende Bedürfnis ganz schnell etwas zu unternehmen, wenn ich es in meinem Leben jemals noch zu etwas bringen möchte!"
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie verdrehte die Augen. "Ach komm: ich erzähl dir, ich esse für mein Leben gern Blaubeermuffins und du erzählst mir, du hast bereits deinen eigenen Fightclub eröffnet. Es ist wohl nicht schwierig zu erraten, wer sich weiter oben auf der Kajereleiter befindet..."
Ich musste Lächeln. Es gefiel mir, dass sie kein bisschen neidisch sondern einfach nur beeindruckt wirkte. So empfanden die wenigsten Menschen heutzutage . Aus dem Grund viel es mir auch leicht einzugestehen;
"Tja, leider hatte ich dafür die letzten Jahre nicht besonders viel Zeit für mein eigenes Privatleben. Ich wette was das betrifft befindest du dich einige Sprossen über mir. In meiner Wohnung kannst du nicht mehr finden als ein Bett zum schlafen und einer Pfanne für meine morgendlichen Pancakes." Ich hielt inne. Mir war nicht entgangen wie ihr Gesicht sich bei dem Wort "Privatleben" verdüstert hatte und ein wenig von dem traurigen Mädchen, dass ich neulich im Fahrstuhl vorgefunden hatte, wieder in ihr zum vorscheinen kam. Was auch immer es war, ich schien sie mit meinen Worten daran erinnert zu haben.
"Entschuldige, ich wollte nicht..."
"Schon okay" unterbrach sie mich und lächelte mich wieder an. Doch war es lang nicht so strahlend wie davor. Sie schien sichtlich erleichtert als der Fahrstuhl zum Stehen kam und die Türen sich öffneten.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 10, 2017 ⏰

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