Der Dienstagnachmittag wie der Mittwoch verliefen ohne besondere Vorkommnisse, oder peinliche Situationen. Was eigentlich doch ein besonderes Vorkommnis war, weil es mit mir echt viele peinliche Situationen gab. Alex und ich saßen nebeneinander im Englisch-Leistungskurs. Anscheinend hatte er die selben Lk's wie ich, und war daher bei fast allem in den selben Kursen. Die einzigen Ausnahmen waren, dass er sich anstatt für das mündliche Prüfungsfach Philosophie, was ich gewählt hatte, für Politik entschieden hatte. Außerdem hatte er Physik anstatt von Biologie gewählt, weil er fand, dass das einfacher sei. Obwohl ich nicht verstehen konnte, wie man es als einfach befinden konnte, mit wenigen Zahlen und Buchstaben das gesamte Universum zusammen zu fassen. Aber das war nur meine Meinung. Von Physik verstand ich sowieso nicht viel. Herr Fährmann lispelte langweiliges Oxford Englisch vor sich hin und versuchte uns die Schrecken der "Jim Crow Era" verständlich zu machen, ein Thema, das mich bestimmt interessiert hätte, wenn es nur nicht Donnerstagmorgen gewesen wäre, und dazu noch ein so blöder Lehrer. Ich seufzte leise und ließ den Kopf auf den Tisch sinken, nur, um ihn sofort wieder anzuheben und zum Lehrer zu sehen. Den Kopf auf den Tisch zu legen war schlecht, erweckte einen schlechten Eindruck, und konnte vor allem zu peinlichen Situationen führen, wenn der Lehrer dachte, dass man schlafen würde. Dazu kam, dass es gut sein konnte, dass ich während der nächsten Minuten einschlafen würde. Ich steckte mir in meinen Gedanken zwei Streichhölzer zwischen die Augenlider, wie sie es in den Cartoons immer machten und zwang mich, wach zu bleiben. Herr Fährmann stellte gerade wieder irgendeine Frage. Es war eine einfache, man sollte verschiedene Methoden der Segregation aufzählen. Geschenkte mündliche Punkte. Also meldete ich mich, während ich gleichzeitig die richtigen Worte zurecht legte, um mich nicht völlig zu blamieren. Ich feilte an meiner Beteiligung, bis sie perfekt war, ich dran genommen wurde, und meine Antwort verkünden konnte. Ich nannte meinen ersten Punkt, und wollte gerade zum nächsten übergehen, als der Lehrer mich unterbrach und den nächsten dran nahm. Na toll. Er wollte nur einem Punkt hören. Und ich hatte den schwächsten genannt. Den unwichtigsten. Verdammt. Ich sah auf die Tischplatte vor mir. Mein Block, mein Buch und meine Federmappe lag dort drauf. Und ein kleiner zusammengefalteter Zettel. Stirnrunzelnd nahm ich ihn, faltete ihn auseinander und las.
"Mach das nicht.
-Alex"
Mehr stand nicht drauf. Aber immerhin wusste ich, von wem der Brief kam. Ich sah zu Alex, der direkt neben mir saß. Er grinste. Ich schnappte meinen Stift und antwortete.
"1: Wieso schreibst du? Wir sitzen nebeneinander. Und Briefe sind schon nach der 4. Klasse out gewesen.
2: Was soll ich nicht machen?"
Ich schob den Zettel zurück zu Alex, der den Zettel schnell durchlas und seinerseits wieder antwortete. Mir fiel auf, das er eine relativ kleine, geschwungene Handschrift hatte, die für einen Jungen relativ mädchenhaft war. Als er mir den Zettel endlich zurückgab, konnte ich es kaum erwarten, seine Antwort zu lesen. Ich hasste meine Neugier.
"1: Ist einfacher so. Einige Dinge sind leichter über Papier zu sagen, außerdem hab ich keine Lust von Herrn Fährmann angeschnauzt zu werden.
2. Wenn dich jemand mitten im Satz unterbricht, sieht es beinahe so aus, als wolltest du dich dafür entschuldigen, dass du gerade dann geredet hast, als er etwas sagen wollte. Mach das nicht."
Verwirrt sah ich zu ihm. Er sah mit festem Blick zurück. Ich schnappte mir den Stift und das Papier und schrieb eine Antwort.
"Toll. Was soll ich machen? Meinen Lehrer schlagen? Würde ich gerne, aber ist illegal."
Als Alex den Zettel gelesen hatte, grinste er, bevor er zurückschrieb.
"Wie du Herrn Fährmann schlägst, würde ich gerne sehen. Aber es geht nicht um deine Reaktion. Es geht um deine Einstellung dabei. Sieh es nicht so, als wärst du daran schuld, dass du geredet hast. Sieh es so, als wäre es die Schuld der anderen, dass sie dir nicht bis zum Ende zugehört haben."
Erstaunt sah ich wieder zu ihm. Er schien meine Gedanken lesen zu können. Nur um das zu prüfen, dachte ich an französische Schwulenpornos und versuchte, eine Veränderung an seinem Gesicht wahrzunehmen. Nichts. Entweder machten ihm französische Schwulenpornos nichts aus, oder er war ein guter Schauspieler, oder aber, was mir jeder vernünftige Mensch sagen würde, er konnte keine Gedanken lesen und besaß einfach nur eine verdammt gute Menschenkenntnis. Egal was es war, ich wusste nicht, ob ich es gut oder gruselig finden sollte. Wahrscheinlich eine gesunde Mischung aus beidem. "Alex, Jay, would you please head your precious, little attention towards me?", fragte Herr Fährmann auf seiner hässlichen, schmierigen Art. Sofort starrten alle uns an. Einige lachten gehässig, ich vermutete, dass gleich noch ein Fernsehteam über diese Peinlichkeit berichten würde. Aber es kam kein Fernsehteam, und wahrscheinlich hat auch niemand gelacht, zumindest nicht über uns. "I'm terribly sorry", antwortete Alex in perfektem Englisch und mit einem netten Lächeln. "I am new and I needed to catch up to your teaching, and the easiest way was to ask Jay about it. Please be aware that it wasn't my intention to disturb your lesson." Es gab einen Moment der Stille, nachdem Alex beendet hatte, was er sagen wollte. Die Schüler sahen gespannt zu, während Herr Fährmann sich eine Antwort überlegte. "Fine", sagte er schließlich. "But you could've asked me about it or you could've used the breaks to talk to Jay." Alex nickte und damit war das Thema beendet. Der Unterricht ging weiter.
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Die Geschichte vom dreifachen "W"
Adventure"Das dreifache W ist eine Frage. Eine der richtig schlimmen Sorte, denn sie verändert Dinge. Sie beginnt und beendet Kriege, sie macht Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern. Sie öffnet Türen und lässt sie zugleich mit einem schallenden Knaller zufalle...