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Der Hofball der englischen Königsfamilie war atemberaubend. Die Creme de la Creme der Londoner Gesellschaft war hier versammelt. Es wurde Tanzmusik gespielt und überall sah man Frauen, die Kleider trugen, von welchen eines schöner war als das andere. Hätte ich nicht etwas zu erledigen gehabt, hätte ich diese ganze Pracht vielleicht genossen. Langsam ließ ich meinen Blick über die Menge schweifen, bis er an einem rothaarigen Mann hängen blieb, der mit dem Rücken zu mir stand und sich mit einer Gruppe Politiker unterhielt. Unter ihnen war der Premierminister. Auch, wenn ich sein Gesicht nicht sah, wusste ich, dass ich meine Zielperson gefunden hatte. Nun musste ich mir überlegen, wie ich das ganze anstellte. Mir persönlich war es ja egal, ob er lebte oder starb, aber der Adel der Unterwelt wollte nun mal Tote sehen, ebenso wie mein Vater. Obwohl er sich zur Ruhe gesetzt hatte, wodurch ich nun den ganzen Schwachsinn an der Backe hatte, erwartete er, dass ich der Familie keine Schande machte und meinte überall seinen Senf dazu geben zu müssen. 'Am besten lieferst du den Fürsten einen großen Fisch. Dann wird niemand deine Autorität in Frage stellen, Lucia.', waren seine Worte gewesen. Am liebsten hätte ich ihm erklärt, dass mir eigentlich ziemlich egal war, was die von mir hielten und, dass er seinen Job auch gerne zurück haben konnte. Schließlich hatte ich nicht darum gebeten, dass er abdankte. Von mir aus hätte mein Leben so weiter laufen können wie bisher. Zumindest konnte ich weiterhin in London leben, meiner Lieblingsstadt auf der Erde. Der Kronprinz war noch immer in sein Gespräch vertieft. Vielleicht konnte ich ihm folgen, wenn er irgendwann den Saal verließ. Wir befanden uns in Windsor Castle, der Sommerresidenz der Königsfamilie. Der Ball würde noch eine Weile andauern, der Abend war schließlich noch jung. Vielleicht konnte ich mich ja doch etwas amüsieren. Als ich mir einen Weg durch die Menge bahnte, um mir ein Glas Champagner zu holen, schauten viele Gäste bewundernd auf mein royalblaues Kleid, welches aus Seide bestand und sich in fließenden Bahnen bis zum Boden an meinen Körper schmiegte. Besonders der Rückenausschnitt, der knapp über meinem Po endete, zog die Blicke auf mich. Das gab dem schlichten Kleid das besondere Etwas. Insgesamt wirkte es sehr edel. Auch vorne war es ausgeschnitten und ich trug ein Diamantencollier um den Hals. Meine braunen Locken hatte ich vorne zurückgesteckt, hinten fielen sie offen über Schultern und Rücken. Als ich mir gerade ein Glas von einem der silbernen Tabletts genommen hatte, sprach mich auf einmal eine tiefe Männerstimme an: 'Sind Sie nicht Lucia Hall?' Ich drehte mich zu dem Mann und antwortete 'Genau die bin ich.', während ich mein Gegenüber musterte. Er hatte blonde Haare, braune Augen und war relativ groß. Ich kannte ihn, mir fiel nur nicht ein woher. 'Jason Melbourne', meinte er und streckte mir die Hand hin, welche ich lächelnd ergriff, als mir klar wurde, dass er der Cousin des Kronprinzen war. Zudem war er ein erfolgreicher Investmentbanker. 'Freut mich Sie kennenzulernen', sagte ich während ich seine Hand schüttelte. 'Die Freude ist ganz meinerseits', erwiderte er. 'Ich bewundere sie und ihre Arbeit', gestand er. Ich lächelte. Kein Wunder. Immerhin war ich Geschäftsführerin eines international erfolgreichen Consultingunternehmens. In meinem jungen Alter war das durchaus ungewöhnlich, vor allem, weil ich das Unternehmen selbst gegründet hatte und nicht geerbt. Auch die Tochter des Teufels musste sich beschäftigen. Außerdem sicherte mir mein Erfolg das Ansehen in den hohen gesellschaftlichen Kreisen und somit Zugang zu Veranstaltungen, wie diesem Ball. 'Vielen Dank', entgegnete ich auf Jasons Kompliment. 'Ihr beruflicher Erfolg ist aber auch bewundernswert', bemerkte ich. 'Danke, aber den größten Anteil dieses Erfolges verdanke ich den Generationen vor mir', erklärte er. 'Sie hingegen haben sich alles selbst erarbeitet', fügte der Cousin des Prinzen mit einem Zwinkern hinzu. Flirtete er etwa mit mir? Die Bestätigung auf meine innere Frage, bekam ich einen Moment später, als er plötzlich fragte: 'Hätten Sie vielleicht Lust zu tanzen?' 'Gerne, warum nicht.', antwortete ich und nahm seinen Arm, den er mir anbot. Warum sollte ich nicht auch mal ein bisschen Spaß haben? Es sprach ja wohl nichts dagegen. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich die neue Herrscherin über die Hölle war und somit tun konnte, was ich wollte. Auf der Tanzfläche angekommen, zog mich Jason zu sich heran und begann mich die ersten Schritte über den Pakettboden zu führen. Dabei lächelte er mich die ganze Zeit anzüglich an. Er tanzte gut. 'Sie sind eine sehr schöne Frau, Lucia', meinte er, während wir uns zur Musik bewegten. Dann beugte er sich zu mir herunter und raunte mir ins Ohr, sodass ich seinen Atem spürte: 'Ich mag schöne, mächtige Frauen. Sie versprechen Abenteuer. Und das in jeglicher Hinsicht.' Beim letzten Satz zog er mich so nah zu sich, dass sich unsere Körper berührten. Er grinste. Wenn der wüsste, wie mächtig ich war. Ich wusste welchen Ausgang der Abend seiner Vorstellung nach nehmen sollte, aber ich hatte etwas zu erledigen und der Kerl war mir zu sehr von sich selbst überzeugt. Wahrscheinlich hätte ich ihn einfach umgebracht, wenn ich mit ihm fertig gewesen wäre. So gesehen, war heute sein Glückstag. Aber ich konnte ihn ja ein wenig quälen. Also spielte ich sein Spielchen mit und presste mich eng an ihn. Das gefiel ihm und ich merkte, dass er mehr wollte. Als der Tanz vorbei war, entschuldige ich mich jedoch mit der Ausrede jemand wichtiges gesehen zu haben, bevor er den Vorschlag machen konnte, mit ihm irgendwohin zu verschwinden. Seine Frustration war deutlich zu spüren und ließ mich beim Weggehen diabolisch grinsen.

Nachdem ich in der Menge abgetaucht war und Gewissheit hatte, dass Jason mich nicht mehr sah, machte ich mich wieder auf die Suche nach meinem heutigen Opfer. Ich fand den Kronprinzen auf der Terrasse. Dort tat ich so, als würde ich nur kurz frische Luft schnappen. Ich lehnte mich an das steinerne Geländer und sah auf den Garten hinunter. Prinz Matthew stand ein Stück weiter ebenfalls am Rand und starrte gedankenverloren vor sich hin. Als er mich im Augenwinkel wahrnahm, blickte er auf und kam langsam zu mir geschlendert, bis er direkt neben mir stand. Ich lächelte ihn an. 'Guten Abend eure Hoheit.', begrüßte ich ihn mit einem leichten Neigen des Kopfes. Er lachte kurz auf. 'Oh bitte! Nennen Sie mich Matthew.' 'Na schön. Matthew.', entgegnete ich immer noch lächelnd. 'Und Sie sind?', wollte er wissen. 'Lucia Hall', antwortete ich. 'Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Mir war nur nicht klar, wie jung sie sind.', meinte er. 'Darf ich das als Kompliment werten?', fragte ich mit einem kleinen Lachen. 'Ich bitte darum', erwiderte er ebenfalls lachend. Seine grünen Augen funkelten. Er war durchaus attraktiv. 'Wollen Sie mir verraten, worüber Sie gerade nachgegrübelt haben?', fragte ich nun. 'Ich habe mich gefragt, wieso eine so wunderschöne Frau wie Sie mit meinem Cousin tanzt, wo doch seine Absichten so offensichtlich sind.', antwortete Matthew. 'Es erschien mir unfreundlich abzulehnen', erklärte ich. Der Prinz schmunzelte. 'Soso' Ich lachte. 'Haben Sie sich wirklich über ihren Cousin und mich den Kopf zerbrochen?' 'Ehrlich gesagt ja', sagte er ebenfalls lachend und fuhr sich durch die Haare. 'Ich hielt es für unverantwortlich, zuzulassen, dass eine Frau, wie Sie, Lucia, in die Arme eines solchen Schürzenjägers, wie Jason läuft.' 'Wären Sie etwa gekommen und hätten mich gerettet, Matthew?', fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. 'Vermutlich schon', erklärte er in ernstem Ton. Mit einem Lächeln fügte er hinzu: 'Aber wie ich sehe, haben Sie sich selbst befreit.' Einen kurzen Moment sahen wir uns einfach nur lächelnd in die Augen und ich vergaß, weswegen ich eigentlich hier war. Plötzlich ertönte eine Kinderstimme: 'Matthew!' Wir wandten uns beide Richtung Tür, wo ein kleines Mädchen auf uns zukam. Sie hatte die gleichen roten Haare und grünen Augen wie Matthew. Das müsste seine kleine Schwester sein. Ich schätzte sie auf zehn Jahre. Sie sah wirklich hübsch aus in ihrem weißen Kleid. 'Marina, was machst du hier?', wollte Matthew von ihr wissen. 'Es ist schon spät. Geh auf dein Zimmer.', meinte er. 'Aber warum?', sie sah ihn entrüstet an. 'Weil du erst elf Jahre alt bist.', erinnerte er sie. Na da war ich doch mit meiner Schätzung gar nicht so falsch gelegen. 'Kann ich nicht noch ein bisschen bleiben?' Marina sah ihren großen Bruder bittend an. Dieser zog einen Mundwinkel nach oben. 'Noch eine halbe Stunde.', gewährte er ihr. 'Danke Mat! Du bist der Beste!', rief sie und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung und strich ihr übers Haar. 'Aber keine Minute länger!', meinte er streng. Seine kleine Schwester nickte und lief davon. Matthew sah mich etwas verlegen an. Mir allerdings schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: Wie um alles in der hiesigen- und Unterwelt konnte ich diesem süßen, kleinen Mädchen den großen Bruder nehmen?

Queen of HellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt