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Ich fühlte mich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Die Art, wie Matthew mit seiner kleinen Schwester gesprochen hatte, so fürsorglich, hatte mich irgendwie berührt. Allerdings konnte ich das Gefühl nicht genau einordnen. Immerhin war ich die Tochter von Lucifer. Auch wenn ich schon eine Weile unter den Menschen lebte, kannte ich nur wenige Gefühle aus eigener Erfahrung. Wut ja.Eine gewisse Art der Freude auch. Triumph. Lust, natürlich. Aber das, was ich nun spürte, war vollkommen neu für mich. Verwirrt sah ich den Prinzen vor mir an, der immer noch verlegen schien. Wahrscheinlich teilte er solche Momente mit Marina normalerweise nicht vor anderen Personen. Er wartete anscheinend darauf, dass ich etwas sagte. Also schenkte ich ihm ein warmes Lächeln (jedenfalls hoffte ich, dass es ein warmes Lächeln war) und meinte: 'Ihre Schwester ist reizend.' Seine Mundwinkel hoben sich. 'Ja, das ist sie.' Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens wollte er wissen: 'Und Sie? Haben Sie Geschwister?' Gott bewahre! 'Nein leider nicht. Und Sie können mich ruhig duzen.', antwortete ich. 'Gerne. Wenn du das gleiche bei mir tust.', entgegnete Matthew mit einem Grinsen, bei dem mir eine Reihe perfekter, weißer Zähne entgegen strahlte. Er war ein unglaublich gut aussehender Mann. 'In Ordnung.', erwiderte ich ebenfalls grinsend. Der Prinz war mir sehr sympathisch. Moment. Hatte ich eben allen Ernstes gedacht, dass mir Matthew sympathisch war? Ich war mit der Absicht gekommen, ihn umzubringen! Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Normalerweise fand ich keinen Gefallen an Menschen. Außer zur Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse versteht sich. Ich bin schließlich auch nur unsterblich! Man möge es mir verzeihen! Aber, dass mir ein Mann wirklich gefiel, mal davon abgesehen, ob er heiß war? Das war neu. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, fragte Matthew: 'Würdest du mir eventuell auch einen Tanz schenken, Lucia?' 'Sehr gerne.' Die Worte kamen wie von selbst aus meinem Mund, bevor ich sie aufhalten konnte. Der Prinz strahlte mich an. Als er mich wieder in den Saal führte, lag seine Hand angenehm warm auf meinem Rücken. Das war keine gute Idee, dachte ich nur. Auf der Tanzfläche angekommen nahmen wir die Tanzhaltung ein. Matthew war nicht so aufdringlich und besitzergreifend, wie sein Cousin. Er wahrte den üblichen Abstand, der sich schickte zwischen uns. Ich hatte gedacht, Jason würde gut tanzen, aber Matthew übertraf Jasons Tanzkünste um ein Vielfaches. Sein Tanzstil war einfach göttlich. Wie geschickt und leicht er mich über das Parkett von einer Figur in die nächste führte, und dies in rauschender Geschwindigkeit. Wir blickten uns in die Augen und lachten. In diesem Moment erfuhr ich zum ersten Mal, wie es sich anfühlte, richtig ausgelassen glücklich zu sein und Spaß zu haben. Meine bisherigen Formen von Fröhlichkeit hatten sich meist nur auf Stolz belaufen, womöglich noch Schadenfreude. Aber das hier war echt, das wusste ich instinktiv. Als der Tanz zu Ende war, hielt mich Matthew weiter fest. 'Du bist eine wundervolle Tänzerin, Lucia.', meinte er. 'Danke.' Ich merkte wie ich rot wurde. Ich wurde rot?! Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Plötzlich beugte sich der Prinz zu mir herunter und näherte sich vorsichtig meinen Lippen. Dabei sah er mir tief in die Augen. Mein Herz raste und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich sehnte mich nach seiner Berührung. Als er sich sicher war, dass ich keinen Rückzieher machte, legte er seine Lippen sanft auf meine. Der Kuss war unglaublich behutsam. Mich überkam eine Gänsehaut. In dem Moment als ich den Kuss erwiderte, wurde er etwas leidenschaftlicher und Matthews Zunge drang in meinen Mund. Ich hatte das Gefühl, in meinem Bauch flögen tausende Schmetterlinge herum. Es war unglaublich! Da wurde mir klar, was ich hier eigentlich tat. Das war falsch! Ich war die Königin der Hölle und knutschte auf einem Ball mit dem Kronprinzen von England, den ich eigentlich hatte töten wollen! Vorsichtig löste ich mich von ihm. Unser beider Atem ging schwer. 'Ich muss gehen', keuchte ich, drehte mich um und lief in die Menge, Richtung Ausgang. 'Lucia! Warte doch!', hörte ich Matthew rufen, aber ich war schon an der Tür.
Ich hastete zu meinem Auto, einem weißen Audi R8, riss die Tür auf, ließ mich hinters Steuer fallen, schlug die Tür wieder zu und fuhr los. Ich brauste die Auffahrt hinunter und bog dann links auf die Straße ab, die mich direkt in die Londoner Innenstadt bringen würde. Die Tachonadel zeigte mir, dass ich viel zu schnell fuhr, aber das war mir egal. Was war da eben mit mir passiert, als mich Matthew geküsst hatte? Woher kamen diese ganzen Empfindungen plötzlich? Als Herrscherin der Hölle waren Gefühle ein absolutes Tabu! Gefühle waren die Schwäche der Menschen. Sie waren meistens auch die Gründe, die Menschen zu Taten trieben, welche ihnen schließlich die Fahrkarte in die Hölle sicherten. Ich durfte nicht so empfinden! Die Höllenfürsten würden mich nie anerkennen und mein Vater wäre enttäuscht, wenn er davon wüsste. Aber wie war es überhaupt möglich, dass ich zu solchen Gefühlen fähig war, möglicherweise sogar zur stärksten aller Empfindungen, der Liebe? Nein das war unmöglich! Das durfte nicht passieren! Die Tochter des Teufels war doch nicht in der Lage zu lieben! Sicher war ich mir da allerdings nicht.
Vor meiner Wohnung in einem der angesagten Stadtteile Londons parkte ich den Wagen, stieg aus und schleppte mich zur Tür. In meiner Wohnung streifte ich als erstes meine hohen Schuhe ab. Dann holte ich mir eine Flasche Rotwein und ließ mich mit einem Glas auf mein Sofa fallen. Ich musste überlegen, was ich als nächstes machen sollte. Eins stand fest: Ich war nicht dazu in der Lage, Matthew zu töten. Dann musste ich mir eben einfach jemand anderen suchen, überlegte ich mir. 'Ja. Und dem steckst du am besten nicht die Zunge in den Hals!', ermahnte mich die Stimme in meinem Kopf. Na toll! Jetzt machte ich mich schon selbst runter! Vielleicht war ich ja krank? Konnte man krank werden, wenn man unsterblich war? Ich wusste es nicht. Ich wusste überhaupt nichts mehr. Nach mehreren Gläsern Wein ging ich ins Schlafzimmer, wo ich mich aus meinem Kleid schälte und meinen Schmuck ablegte. Im Bad entfernte ich noch mein Make-up, dann legte ich mich ins Bett. Morgen war bestimmt alles besser.
In dieser Nacht träumte ich zum ersten Mal von Matthew.

Queen of HellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt