Ausbruch

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Hinter Tom fiel die Tür ins Schloss. Während er sich die Jacke von den Schultern striff, wurde ihm schlecht.
Wahrscheinlich war sie in ihrem Büro und würde arbeiten. Er atmete noch einmal tief durch. Sie bei der Arbeit zu stören, war nicht schlau, aber wenn er jetzt zögerte, würde er es wohl nie hinter sich bringen.
Während er den Flur entlang ging, wurden seine Beine immer schwerer und der Weg schien nicht kürzer zu werden.
Schließlich legte Tom seine Hand auf den Türgriff. Er strauchelte und hatte das Gefühl, er könnte jeden Moment durch den Boden fallen.
Langsam und zögerlich hob er die zweite Hand und klopfte zweimal kurz, dann machte er die Tür auf.
"Was ist?", ihre Stimme war nicht freundlich, aber ihre Stimme war eigentlich nie freundlich. Zumindest in letzter Zeit.
"Können wir reden?"
Sie schaute ihn immer noch nicht an. Ihr Blick war immer noch auf das Blatt vor ihr gerichtet, als sie antwortete: "Wir reden doch schon."
"Könntest du mich dabei bitte ansehen?"
Seufzend richtete sie sich auf. Den Stift behielt sie in der Hand.
Ihre Augen waren glasig und sie hatte tiefe Augenringe. Die knallroten Lippen standen in starkem Kontrast dazu.
"Was ist los, Tommy?"
Ein weiteres Mal atmete er tief durch. Jetzt war der entscheidende Moment gekommen. Seine Stimme zitterte, als er sagte:
"Ich glaube, ich brauche eine Pause."
Abwartend schaute er sie an, beobachtete ihre Reaktion. Aber die blieb aus. Stattdessen erwiderte sie nur seinen Blick.
"Sue, ich-du...i-ich..." Tom blies Luft über den Mund aus. Er schloss die Augen, fokussierte sich und begann noch Mal.
"Ich weiß, dass sich das jetzt blöd anhört, aber es liegt nicht an dir. Es liegt an mir."
Immer noch sah sie ihn einfach an.
"In letzter Zeit fehlt mir einfach was...i-ich fühle mich irgendwie nicht ausgefüllt. Da-Das ist...ich meine-wir...wo kommen-aber du...und..."
Als das Stottern zu stark geworden war, unterbrach er sich wieder selbst. "Tommy, was genau versuchst du mir gerade zu sagen? Aus deinem Buchstabensalat kann ich nichts rauslesen." Susan war ruhig. Sehr ruhig und vielleicht wirkte sie dadurch auch etwas gelangweilt.
"Ich mach Schluss", platzte es aus ihm heraus. Und in dem Moment schien sich in ihm ein Schalter umzulegen. Plötzlich sprudelte es förmlich aus ihm heraus. All die Gefühle, die er so lange für sich behalten hatte. All die Wörter, die er sich davor so genau zusammen geflickt hat. 

"Ich habe mich einfach verändert und ich passe einfach nicht mehr in das Leben, in das auch du gehört hast. Ich will da raus ich brauche etwas anderes. Etwas das zu mir passt. Du bist perfekt so wie du bist, aber du bist einfach nicht das, was ich brauche. Das was ich will. Zwischen uns fehlt mir einfach das Band, an dem ich mich so sehr festgehalten habe, dass es gerissen ist. Ich habe alles kaputt gemacht und ich glaube, ich habe sogar dich kaputt gemacht, weil ich versucht habe, dich in mein Leben zu schieben. In mein Leben, in das du nicht hinein passt. Ich habe das Gefühl ich platze gleich, weil ich alles in meinem Leben wollte und jetzt wächst mir so viel über den Kopf. Ich muss jetzt einfach mal einen Schlussstrich setzen. Sonst stecke ich hier noch länger fest und ich glaube nicht, dass ich das kann. Dass ich das weiterhin aushalten würde. Es tut mir Leid, aber ich musste das jetzt machen. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass ich dich nicht mehr wirklich lieben kann, dass dafür meine Kraft einfach nicht reicht. Sue, ich liebe dich nicht mehr."

Sie richtete ihren Blick auf das Blatt das vor ihr war und lies ihn dann über ihre ganzen Stifte schweifen. Das Blatt war leer und die Stifte sorgfältig geordnet. Tom fühlte sich wie dieses Blatt. Leer, egal, was man versuchte, daran zu ändern. Egal, wie viel Zeit man aufbrachte, es zu etwas schönem zu machen. Auch wenn Susan versucht hatte ihn zu etwas schönem zu machen, hatte sie es einfach nicht geschafft.

Sie sah wieder zu ihm auf und als Tom den Ausdruck in ihren Augen sah, schreckte er etwas zurück.
Das Glasige war verschwunden. Stattdessen hatten sie nun wieder dieses Feuer, das sie hatten, als er sie kennen und lieben gelernt hatte.
Sofort fühlte er sich an den Tag zurück erinnert, als er sie in dem Café sitzen sah und sie ansprach. An die vielen Tage, die sie miteinander verbracht hatten und in denen das Feuer nie erloschen war.
Doch als sie sich entschlossen hatten zusammen zu ziehen und der Alltag sich allmählich einstellte, erlosch das Feuer.
Susan war jemand der das Unerwartete liebte. Sie ging gerne auf Abenteuer und entdeckt gerne Dinge. Der Alltag machte es ihnen aber schwer möglich dieses Leben so weiter zu führen.

"Ich kann mir denken, was du damit sagen willst", meinte Susan und holte ihn damit aus seinen Gedanken.
"Wir haben uns beide verändert. Wir haben uns auseinander gelebt. Dabei waren wir schon am Anfang weit voneinander entfernt."
Verwirrt starrte er sie an.
"Naja", fuhr sie fort, während sie den Stift bei Seite legte und aufstand: "Du hast dich bei neuen Sachen immer unwohl gefühlt und ich bin förmlich von einem unbekannten Ding zum nächsten gerannt. Als dann alles immer wieder im selben Trott dahin ging, bist du richtig...solide rüber gekommen, aber ich war einfach nicht mehr...ich. Nicht mehr das Mädchen, das ich einmal war. Und du bist eben nicht mehr der Junge, der du warst, als ich dich kennengelernt habe."
Traurig sah sie sich im Zimmer um und auch er betrachtete die kahlen Wände. Nirgends hingen Bilder oder etwas, das der gemeinsamen Wohnung mehr Leben einhauchen würde. Susan hatte sich nicht die Mühe gemacht etwas zu verzieren. Und das, obwohl sie Künstlerin war. Eigentlich hätte sie doch überall Potential sehen sollen, um aus dem kalten Räumen etwas Besonderes zu zaubern.

"Ich glaube ich brauche auch eine Pause. Eine Pause von dem ganzen Alltag hier."
Mit festem Blick fixierte sie ihn.
"Ich werde dann wohl ausziehen, mhm?", meinte Tom mit hängenden Schultern.
"Nein. Ich werde ausziehen. Es hat dich schon so viel Kraft und Überwindung gekostet, unsere gewohnte Lage zu zerstören. Wenn du jetzt auch noch ausziehst, wirst du zusammen brechen. Ich brauche sowieso frische Luft."
Damit ging sie um ihn herum.
"Sue?"
Sie war schon fast aus der der Tür des Büros hinaus, drehte sich aber noch einmal zu ihm um.
"Ja?"
Mit drei großen Schritten, stand Tom unmittelbar vor ihr und schloss seine Arme um sie.
"Danke. Danke für alles."
Sie bewegte sich nicht. Weder erwiderte sie die Umarmung, noch versuchte sie, ihr zu entkommen.
Als er sie wieder los ließ, meinte sie nur noch: "Ich werde in den nächsten Tagen vorbeikommen und meine Sachen holen."
Dann drehte sie sich um, zog sich Jacke und Schuhe an, nahm sich ihre Tasche und ging.

Als die Tür ins Schloss fiel, konnte Tom sich immer noch nicht bewegen. Er war wie gelähmt von dem was passiert war und er war vor allem von ihr gelähmt. Von Susan.

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