"Ich dachte, ich hätte einen Knall vernommen."
Verwundert drehte ich mich um. Gerade eben war ich noch alleine am Waldrand gestanden, doch jetzt stand nur wenige Meter von mir entfernt ein Mädchen.
Ihre Haare waren silber-weiß aber weil auch ihr Kleid, das einen etwas seltsamen Schnitt hatte, dieselbe Farbe hatte, konnte ich nicht erkennen, wie lange sie waren.
Ihre Augen waren auf mich gerichtet, doch der Blick war leer und es schien, als würde sie durch mich hindurch sehen oder mich nicht wahrnehmen.
"Wie ein Schuss..."
Ihre Stimme war leise und hatte etwas Träumerisches, aber trotzdem wirkte sie kraftvoll.
"Vielleicht sind sie wieder auf der Jagd."
Ich wagte mich einen Schritt vor. Weg vom Waldrand und näher an sie.
"Wer ist wieder auf der Jagd?"
Sie drehte den Kopf etwas und kicherte leise.
"Na die Jäger, wer sonst?"
Mit schreitenden Schritten kam sie auf mich zu, ging jedoch dann an mir vorbei und starrte in den Wald.
"Hast du denn noch nie von den Jägern gehört?", fragte sie mich, nachdem ich mich neben sie gestellt hatte.
"Hat man dir nie als kleines Kind von ihnen vorgesungen?"
Langsam schüttelte ich den Kopf.
"Nein, ich bin nicht von hier."
Leise begann sie zu summen.
Und schließlich sang sie mit glockenheller Stimme und einer betörenden Melodie:Die Jäger, sie ruhen nie.
Die Jäger, sie ruhen nie.Sie reiten auf ihrem Pferde
Für sie sich können zurück holen
um sich zu sammeln die Herde,
Die ihnen einst wurde gestohlen.Als sie fertig war fragte ich: "Sag, fremdes Mädchen, was genau jagen die Jäger denn?"
Mit großen Augen sah sie mich an: "Mein Name ist nicht Fremdes Mädchen."
"Wie heißt du denn?"
"Mein Name ist nicht Fremdes Mädchen."
Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.
"Willst du mir denn deinen Namen nicht sagen?", versuchte ich erneut, zu erfahren, wie sie hieß.
"Mein Name ist nicht Fremdes Mädchen."
Frustriert zog ich meine Augenbrauen zusammen.
"Geht das Lied noch weiter?"
Sie drehte ihren Kopf zurück Richtung Wald und nickte.
Nach einem Moment der Stille begann sie wieder zu singen:
Und wenn der Tag ist verklungen
Und wenn dann die Nacht ist verblüht
Dann haben sie viele errungen
Denn ihre Rache nie verglüht.Dann war es eine Zeit lang still. Aus diesem Lied wurde ich nicht schlau, aber es war wohl nur eine Art Märchen, das man den Kindern hier vor sang. Und deshalb hatte ich auch das Gefühl, dass es noch nicht zu Ende war.
"Dieses Knallen, von dem du am Anfang geredet hast - Ich habe es nicht gehört...wie jagen die Jäger denn? Und was jagen sie?"
Sie wandte mir wieder ihren Kopf zu und sah mich lange an.
Irgendwann wurde mir klar, dass sie wohl auf etwas wartete.
Also seufzte ich und meinte: "Kannst du mir bitte das ganze Lied vorsingen?"
Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen.
"Natürlich."
Es dauerte noch einen Moment, bis sie wieder in den Wald starrte und anfing zu singen.Die Jäger, sie ruhen nie.
Die Jäger, sie ruhen nie.Sie reiten auf ihrem Pferde
Für sie sich können zurück holen
um sich zu sammeln, die Herde
Die ihnen einst wurde gestohlenUnd wenn der Tag ist verklungen
Und wenn dann die Nacht ist verblüht
Dann haben sie viele errungen
Denn ihre Rache nie verglühtAufmerksam horchte ich dem Klang ihrer Stimme und beobachtete sie ganz genau. Das Lächeln auf ihren Lippen war noch nicht verschwunden. Irgendwann schloss sie die Augen und etwas an ihrer Stimme veränderte sich.
Die Fremden, die locken sie an
Bringen sie, um sie zu jagen
Jede Frau und ein jeder Mann
Kein einziger bringt sie zum zagen.Und wie der Mond die Sonne hetzt.
Wie die Nacht den Tag vertreibt.
So kommen sie. Vielleicht auch jetzt.
Doch keiner von ihnen den Morgen verbleibt.Sie kommen auf dem hohen Rosse.
Pfeile und Bogen die ihren Geschosse.
Es pfeift, es zischt, es knall und es kracht.
Das alles einzig über die dunkelste Nacht.Fürchte sie nicht. Es wird dir nichts nützen.
Versuche auch nicht, deine Liebsten zu schützen.
Je stärker die Bande, desto früher sie kommen.
Und haben die Liebsten bald mitgenommen.Die Jäger sie horchen und finden sobald
Sie Streifen durch Wälder und Büsche
Man weiß nicht, sind sie jung oder alt
Man sagt, der Tod der sie küsste.Wenn du ihnen am nächsten bist,
Wirst du es nicht einmal merken
Bis du in ihrer Falle sitzt
Vollbracht sind ihre Werke.Es dauerte einen Moment, bis ich Begriff, dass das Lied zu Ende war. Das Mädchen stand immer noch mit geschlossenen Augen da. Doch das Lächeln war verschwunden.
Jetzt hörten sich die Jäger nicht mehr wie ein Märchen an. Und auch nicht, als würden die Kinder, die hier lebten, es schön finden, wenn man ihnen davon vorsang.In meinen Ohren surrte es, als ich einen Schritt vom Wald und dem Mädchen weg machte.
Bei dem Geräusch des raschelnden Bodens unter mir öffnete sie die Augen. Mit einer schnellen Bewegung stand sie mit dem Rücken zu den Bäumen. Ich konnte mich nicht bewegen, als sie wieder dahin ging, wo ich sie das erste Mal gesehen hatte. Ihre schreitenden Schritte erweckten den Eindruck, dass sie schweben würde.
An dem Platz, an dem sie aufgetaucht war, stand nun ein nachtschwarzes Pferd, dem sie den Hals streichelte.
Ich wagte mich einen weiteren Schritt nach vorne, doch das Surren wurde stärker.
Das Mädchen schwang sich mit einer eleganten Bewegung auf ihr Pferd und kam in meine Richtung geritten.
"Das Lied warnt Menschen vor den Jägern. Man solle sich vor unüberlegten Handlungen schützen."
Als sie genau neben mir stand, konnte ich erkennen, dass am Sattel ein Bogen mit einem Köcher von Pfeilen befestigt war.
Ich öffnete den Mund, um sie danach zu fragen, doch meine Stimme versagte mir und mein Kopf wurde von höllischen Kopfschmerzen geplagt. Einen Augenblick lang verschwamm mir die Sicht und ich versucht durch Blinzeln wieder besser zu sehen.
Als ich meinen Blick wieder hob, war das Mädchen weg.
Die Blätter unter mir raschelten, als mir mein Körper versagte und ich unsanft auf dem Boden aufkam.
Und dann hörte ich es.
Ein Geräusch, wie ich es noch nie gehört hatte.Ich dachte, ich hätte einen Knall vernommen.
DU LIEST GERADE
Sammlung von Kurzgeschichten
Kısa HikayeDas ist eine Ansammlung von Kurzgeschichten, Dialogen und Monologen. Sie haben nichts miteinander zu tun und die Personen, die darin vorkommen sind frei erfunden. Dieses Buch ist nur dazu da, um in meinem Kopf für Platz zu sorgen. Manchmal tauchen...