Es war nicht das erste Mal, dass ich so viele Menschen auf dem Markt versammelt hatten, doch noch nie hat es etwas Gutes geheißen.
Neugierig kämpfte ich mich durch die unruhige Menge nach vorne. Suchend nach etwas, dass mich ablenken würde.
"Er hat sie einfach niedergebrannt. Ich habe es selbst gesehen! Nichts ist mehr übrig. Selbst eins der Tiere ist gestorben."
"Er war sein Onkel, wie konnte er ihm das antun?"
"... das arme Mädchen. Sie hat alles mit ansehen müssen..."
Das Gerede um mich herum machte mich stutzig. Trotzdem hätte ich nicht weniger überrascht sein können als ich endlich die Menge durchbrach und sah welchen armen Schurken es heute erwischt hatte. Gabor.
Aber wieso? War ich am Ende nicht der einzige, der die beiden zusammen gesehen hatte und Delias Vater war die Sache zu Ohren gekommen? Und forderte dieser nun eine Bestrafung? Nein. Da wäre er wohl selbst bei ihm vorbei marschiert und hätte ihn sich vorgeknöpft anstatt damit sofort an die Öffentlichkeit zu gehen. Das passte alles nicht zusammen! Wie hatte er es geschafft, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, es bis hier oben vor dem Galgen zu schaffen?
Da betrat das Oberhaupt unserer Stadt das Podium und sofort kehrte Ruhe ein. Er kam sofort zur Sache:
"Du Gabor Lemming wirst angeklagt die Scheune deines Onkels Kilian Lemming in Brand gesetzt zu haben. Bekennst du dich als schuldig?"
"Nein!" Ertönte da ein Schrei aus der Menge. Delia. So aufgelöst wie jetzt hatte ich sie noch nie gesehen. Tränen bedeckten ihr Gesicht und auf ihren Wangen zeichneten sich hektische, rote Flecken ab.
"Nein!" Schrie sie abermals "Er kann es nicht gewesen sein, ich war die ganze Zeit bei ihm!"
"Ruhe!" herrschte der Bürgermeister sie an "Du wirst nicht gefragt!" Er wandte sich wieder Gabor zu. "Diese Lampe wurde am Tatort gefunden. Ist es nicht so?"
"Das mag sein..."
"Alle Zeichen deuten auf Brandstiftung hin und du wurdest gesehen wie du aus dem Stall hinaus geschlichen bist..."
Der Bürgermeister wollte mit seinen Beschuldigungen gar nicht aufhören, doch alles um mich herum schien zu verstummen als ich die Lampe sah, mit der Gabor die Scheune in Brand gesteckt haben sollte. Mein Kopf war wie in Watte gepackt, mein Blick von der Lampe gefangen genommen. Ich kannte sie. Natürlich kannte ich sie. Jeden Abend der letzten Jahre hatte ich sie mit mir durch den Stall getragen. Und langsam aber sicher drängte sich mir die unvermeidbare Wahrheit auf: Nicht Gabor hatte den Stall in Brand gesteckt. Ich war derjenige gewesen. Nicht Gabor sollte der oben vor dem Galgen stehen, sondern ich. Ich. Ich, ich, ich! Ich hatte sie fallen lassen, ins trockene Heu. Hatte sie liegen lassen. Ich war so dumm. So dumm!
Mein Blick war verschwommen. Ich sah Delia, wie sie von Wachen zurückgehalten wurde als ich versuchte aufs Podium zu stürzen und nahm sie doch nicht war. Ich sah Kilian, wie er blass und Star am Rand der Menge stand, eine fassungslose Mine im Gesicht und sah ihn doch wieder nicht. Ich sah Gabor, der selbst nicht begreifen konnte, wie er in diese Lage hatte geraten können. In seinen Augen Angst.
Der Henker betrat das Podium, warten auf ein Urteil. Warten auf seinen Einsatz. Aber das war falsch! Ich wusste es und konnte mich doch nicht rühren. Gabor war nicht der Schuldige. Ich war es! Ich sollte das aufklären! Aber was dann? Würde ich dann an seiner Stelle gehängt werden? Hieß es er oder ich?
Ich musste an Henry denken. Er wäre allein ohne mich. Wer würde sich um ihn kümmern? Sollte ich überhaupt was sagen? Das hier war Gabor! Ich hatte mir nie etwas sehnlicher gewünscht als ihn endlich loszuwerden. Aber zu was für einem Menschen würde mich das machen? Und was war mit Delia? Ich würde ihr nie wieder unter die Augen treten können. Ich sah wie der Bürgermeister sich dem Henker zuwandte und wusste, es lag alles bei mir. Es war meine Entscheidung. Henry oder Delia. Gabor oder ich. Schuld oder Recht. Leben oder Tod.
DU LIEST GERADE
Leben?!
RomanceGus lebt in einer Zeit, in der man für Verbrechen noch an den Galgen kommen und endliche Verluste durch die Pest erleiden kann. Doch nicht nur der Schwarze Tod kann einem Personen nehemen, die dir am Herzen liegen...