(2) Der Fluch ward gesprochen

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Der Fluch ward gesprochen

 Zu Hause angekommen sagte er seinen Eltern nur kurz Hallo und verschwand dann gleich in seinem Zimmer. Er hatte sich zwar geschworen, nicht mehr darüber nachzudenken, aber die Frau und die Krähen gingen ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.

In der Nacht träumte er noch einmal die Szene vom Nachmittag im Wald. Mit dem Unterschied, dass die Hexe ihn sofort in eine Krähe verzaubert hatte.

Nichts anderes sah er in dieser Frau. Jemand, der allein im Wald lebte und sich nur mit Tieren umgab, musste entweder eine Hexe oder ein Magier sein.

 Für Florian war die Nacht viel zu schnell vorbei. Er hatte viel zu wenig von sich als Krähe gesehen. Er wünschte sich sehnlichst: „Wenn ich doch nur mehr als Krähe erleben könnte. Fliegen wie sie. Den Wind unter sich spüren. Hoch über den Bäumen über die Welt hinweg segeln.“

Seine Mom rief ihn bereits zum dritten Mal, dass er endlich aufstehen sollte. Wie er das hasste! Immer mussten ihm seine Eltern alles verderben. Er wünschte, sie würden ihn endlich einmal in Ruhe lassen!

Nur noch zwei Minuten träumen. Aber daraus wurde nichts. Wenn er zu spät zu seiner Arbeit kam, dann müsste er sich hinterher wieder von seinem Vater anhören, wie wichtig Pünktlichkeit und Gehorsam waren. Wenn er den Erzählungen seines Vaters Glauben schenken durfte, dann war dieser immer ein Musterknabe gewesen.

 „Florian!... Du kommst zu spät!“ klang es genervt aus der Küche. Die Mutter machte sich große Sorgen um ihren Sohn. Obwohl er schon 20 und berufstätig war, musste sie ihn dennoch bemuttern.

In den letzten Tagen häufte es sich auch wieder, dass sie ihn beim Träumen ertappte.

Konnte er nicht auch wie alle anderen Jugendlichen sein? Seine träumerische Liebe zu diesen Vögeln würde ihm irgendwann zum Verhängnis werden!

„Wenn Du in fünf Minuten fertig bist, kann ich Dich mit in die Stadt nehmen.“ Dieses Angebot machte sie nicht sehr oft. Aber sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass er gerade jetzt ihre Fürsorge brauchte. So zerstreut war er zuletzt gewesen als er noch zur Schule ging.

Florian beeilte sich und schaffte es sogar in weniger als fünf Minuten. So eine seltene Gelegenheit musste er ausnützen. Seine Mutter nahm ihn höchst selten mit, da sie meistens ebenfalls pünktlich im Büro bei der Arbeit sein musste.

 Unterwegs war Florian auffallend still. Nicht, weil er noch müde war, sondern weil ihn der Traum, die Krähen und die Frau beschäftigten. Die Mutter fragte mit einem besorgten Seitenblick: „Willst Du darüber reden, Florian?“

Er überlegte einen Moment, schüttelte dann jedoch vehement den Kopf. „Es ist nichts...“ Die Mutter beließ es dabei.

*****

Florian und die KrähenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt