Morgen. Morgen würde alles anders werden. Das sagte mein Pflegevater Grant jeden Tag, beinahe stündlich. Dabei schmerzten mich diese Worte mehr als alles andere. Als die Dinge, die er nicht laut aussprach, weil er dachte, ich würde daran kaputt gehen. Ich war längst kaputt gegangen.
Vor genau drei Wochen hatte ich Niall den Laufpass gegeben - nachdem wir uns gerade wiedergefunden hatten. Denn wir hatten uns nicht nur beide in den anderen verliebt, sondern waren durch etwas viel tieferes, viel intimeres mit einander verbunden. Dem Leben. Starb der eine, ging der andere. Ganz einfach. Wie im Winter. Schwand die Kälte, ging der Schnee.
Drei Wochen waren seither vergangen, die ich öfter das Haus verlassen hatte, als ich es zu Beginn dachte. Immerhin fraß man seinen Kummer für gewöhnlich in Form von Tonnen an Schokolade in sich hinein, nicht wahr? Grant erlaubte es mir nicht. Er kannte Niall seit der ein kleiner Junge gewesen war, und er wusste genau, dass er mindestens so sehr litt wie ich. Bloß war Niall ein Meister darin, seiner Gefühle für sich zu behalten. Ich nicht. Einmal hatte ich ihn beim Einkaufen gesehen. Er wirkte wie immer. Dieselben braunen Locken, die ihm bis zu den Schultern reichten, der verwegene Kleidungsstil. Sein gesamtes Erscheinungsbild und die Art und Weise, wie er sich bewegte, erinnerte mich für einen schmerzlichen Augenblick daran, was wir hätten haben können. Wenn ich nur nicht so dumm gewesen wäre.
Wieso war ich auf diesen Schnösel herein gefallen, der an niemanden dachte als an sich selbst? Ves Chestor Hunahuna hatte mir ein Angebot gemacht. Und da ich, naiv und verwirrt durch den Verrat meines ehemals besten Freundes, glaubte, sie hätten Niall vor meinen Augen umgebracht, stimmte ich zu. Illusionen. Diese Menschen erschufen nichts als Illusionen. Sie kontrollierten Körper und Geist, sprachen von Magie und Hokuspokus. Hunahuna und seine Anhänger, dieser verrückte Verbund von Begabten, zu denen ich leider Gottes gehörte, wurde auch kontrolliert. Und zwar von den Vorstellungen, eine eigene Welt zu erschaffen. Ich sollte dazu beitragen. Ich? Natürlich war es ihnen von Vorteil, dass ich, wie nur wenige von uns, anstelle von Kontrolle die Gabe der Sicht in mir trug. Ich besuchte Seelen. Auf täglicher Basis. Mittlerweile empfand ich deswegen nicht mal mehr ein schlechtes Gewissen. Die Menschheit verdiente es nicht anders. Immerhin war sie genauso verkorkst wie der Verbund. Ich hatte soeben die Straße überqueren wollen, da preschte ein Auto auf Vollspeed an mir vorbei. Mein Herz blieb stehen, ebenso meine Beine. Das nächste Auto blieb keinen Meter entfernt von mir stehen. Ein Fenster wurde herunter gelassen.
"Runter von der Straße!", schrie ein Mittvierziger im Anzug. Ich verdrehte die Augen und sparte mir den Besuch in seine Seele. Was würde mich auch erwarten? Ein Kleiderschrank voll identisch aussehender Hemden und Hosen? Nein, danke. Wenn ich recht überlegte, gefiel es mir ganz gut, eine Begabte zu sein. Wäre da bloß nicht der Verbund gewesen.
"Das war knapp, Süße." Als ich die nächste Ampel erreicht hatte, ließ mich eine Stimme zusammen fahren. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Oh nein.
"Sorgst du dich nicht um deinen Romeo?" Ich schnaubte und drängte die Tränen zurück, die sich bei diesen Worten in meinen Augen sammelten. Vor ihm würde ich nicht weinen. Und schon gar nicht wegen meiner eigenen Dummheit.
"Richtig, den hast du ja vergiftet ." Ich atmete tief durch. Die Ampel stieg gerade rechtzeitig auf grün um, damit ich nicht nach ihm schlug. Ich marschierte los.
"Was sind wir so unhöflich, Ruby?" Seine lauten, bestimmten Schritte verfolgten mich. Die Gänsehaut ließ mich nicht los.
"Nik", seufzte ich, weil er mir auch dann noch folgte, als ich längst vor meinem Wohnhaus stand. Das Licht im obersten Stock brannte. Grant war zuhause. Merkwürdig. Normalerweise arbeitete er dienstags bis spät in die Nacht hinein.
"Hast du mich vermisst?" Ich prustete los. Erstens klang diese Frage so absurd. Zweitens waren wir uns in den letzten Tagen tatsächlich häufig über den Weg gelaufen.
"Träum weiter." Mein Blick wanderte hinauf. Eine schemenhafte Gestalt stand am Fenster. Ich zuckte zusammen, als mich eiskalte, leere Augen anstarrten - die nicht zu Grant gehörten. Nik schien meine plötzliche Anspannung nicht zu spüren. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und verzog die Lippen zu einem Grinsen. Ich hasste es, wenn er das tat.
"Das werde ich. Und meine Träume gehen weit über das Vermissen hinaus." Er leckte sich die Lippen. Während ich das Gesicht verzog, fing er an zu lachen.
"Dir ist schon klar, dass du gerade das einzige Verbrechen begehst, das du bisher noch nicht begangen hast?", höhnte ich. Laut Kim, dem elenden Verräter, hatte Nik schon Drogen vertickt, als er in den Windel gesessen hatte. Doch seine Beziehung zu Mitläuferin Daizy Vanderlensen hielt er aufrecht wie eh und je. Womöglich gab es dafür irgendeinen speziellen Grund. Ich wusste ihn nicht.
"Und das wäre?" Er rückte näher. Seine Hand auf meiner Schulter wanderte bedeutend näher zu meiner Brust als mir lieb war. Ich trat einen Schritt zurück.
"Betrug."Das ist also Part 1 des Bonuskapitels/Preview/wie auch immer. Morgen kommt dann nummer 2 usw. Insgesamt sinds btw 4 xxx
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In ihren Augen *Preview
Siêu nhiênRuby hat es faustdick hinter den Ohren. Kaum hat sie Niall wider Willen den Laufpass gegeben, da findet sie sich andauernd in merwürdigen Auseinandersetzungen mit Ekelpaket Nik wieder. Und er will ihr einfach nicht von der Seite weichen. Die Ereigni...