Die Königin betrachtete das überbrachte Objekt eindringlich, doch wagte sie es nicht, es aus dem Beutel zu entfernen. Das Gold leuchtete regelrecht, wohingegen der schwarze Stein in der Mitte das Licht zu absorbieren schien. Jedermanns Augen waren auf den wertvollen Inhalt gerichtet, sogar Athelard konnte sein Interesse nicht verbergen. Sie hatte schon in Erzählungen davon gehört, doch hätte sie niemals geglaubt, dass die Legenden wahr wären. Der König hatte es tatsächlich geschafft. Sie bereute es, den Gegenstand seiner Mission so missachtet zu haben. Doch nun war es zu spät, all das Bedauern war umsonst.
Plötzlich durchbrach jemand anderes ihre Gedanken.
„Was ist mit meinem Sohn?" Sie versuchte ihre Verzweiflung nicht nach außen klingen zu lassen.
Jupp Riggers Blick richtete sich wieder auf die Königin und scheinbar wusste er nicht was er antworten sollte.
„Nun?" Ihre Geduld und Nerven neigten sich dem Ende zu.
Sein Atem wurde wieder schwerer und seine Augen suchten den Boden. „Majestät... Die Umstände eures Sohnes... entziehen sich meiner Kenntnis."
Wäre sie nicht so gut erzogen worden, hätte sie ihn wohl auf der Stelle geohrfeigt. Mit ein paar tiefen Atemzügen beruhigte sie ihr Gemüt und ihr Griff um den Beutel wurde wieder leichter. Den Ausdruck in ihren Augen jedoch konnte sie nicht verbergen. Sie wollte sich nicht länger mit diesem unwissenden Ausländer unterhalten, deshalb wandte sie sich an den Vicar: „Odinel. Bereitet unserem Besucher ein Zimmer und schickt den Heiler zu ihm. Und eines der Mädchen, wenn er es denn möchte."
Sie schubste die Katze regelrecht von ihrem Schoß und erhob sich von ihrem herrschaftlichen Sitz. Ihre Hand umklammerte die letzte Nachricht ihres Ehemanns. Kurz bevor sie an dem Überbringer der schlechten Nachricht vorbeiging, kam er doch noch zu Sinnen und ließ sich schwerfällig auf ein Knie fallen. Ihre offensichtlich überraschte Leibgarde hatte beinahe Probleme dabei mit ihr Schritt zu halten.
Sie durchquerte die vielen Gänge mit den groben, dunklen Steinen, welche nur noch schwach beleuchtet waren. Ihre Gedanken wirbelten förmlich durch ihren Kopf. Auf diese Situation hätte sie nichts und niemand vorbereiten können. Als ernannte Regentin wurden ihr natürlich alle möglichen Gesetze, wirtschaftlichen Probleme und sogar laufende Intrigen näher gebracht. Aber niemals hätte sie damit gerechnet, dass sich dieser Dummkopf gefangen nehmen lassen würde. Und was war mit ihrem Sohn passiert? War er überhaupt noch am Leben? Ihr Herz begann immer schneller zu schlagen und ihre gesamte Gesichtsmuskulatur spannte sich an. Sie begann wild an den Nadeln in ihrer Frisur zu ziehen und ihr Haar fiel Strähne um Strähne nach unten. Der Schmerz der reißenden Bewegungen war ihr egal, er lenkte sie zumindest von dem in ihrem Inneren ab. Sie erinnerte sich noch haargenau an die Gesichter ihrer Lieben, als sie sie verließen. Würde sie sie jemals wieder sehen?
Sie kam vor ihrem Gemach zu stehen und ihr Leibwächter öffnete die Tür.
„Ihr könnt nun gehen", verabschiedete sie sich harsch. Natürlich waren damit nur die beiden Hampelmänner gemeint, die sie begleiteten. Athelard würde die ganze Nacht vor ihrem Zimmer ausharren.
Innen angekommen lag die weiße Katze bereits auf den glänzenden, weinroten Decken ihres Bettes. „Du schon wieder." Das Tier rollte sich nur kurz auf den Rücken und die Königin konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Das Feuer im Kamin knisterte und spendete dem ganzen Raum seit einigen Stunden Wärme. Ein heißer Stein war bereits in ihr Nachtlager gelegt worden und kurz überlegte sie, ob sie ihre anerzogene Förmlichkeit kurz beiseite legen sollte und sich einfach zu ihrem Haustier gesellen sollte. Diese Überlegung wurde jedoch jäh von ihren Dienerinnen unterbrochen, die wie aufgescheuchte Hühner durch die Nebentür kamen. Sie nahm vor den großen Spiegel Platz, der ihr wie schon so oft ein unerwünschtes Bild entgegen warf. Scheinbar hatte sich tatsächlich eine Träne über ihr Gesicht gestohlen, die sie nun heimlich wegwischte. Die beiden Zofen - eine blasser und unscheinbarer als die andere - widmeten sich nun ihren Aufgaben und die Königin konnte wie immer nur zusehen und nichts tun. Die Frau, die für ihre Haare zuständig war, ärgerte sich augenscheinlich über deren zerzausten Zustand, was die Königin irgendwie belustigte. Aber diese kurze Schadenfreude wurde ihr wieder genommen, als sie zurück in die Realität geholt wurde, denn es klopfte an der Tür. Es war bestimmt Odinel, jeden anderen hätte ihr Leibwächter verjagt.
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Die Königin
FantasíaSeit Jahrhunderten umfängt die Legende der Steine von Kalladrien den Kontinent. Unter den vielen Geschichten, die man sich erzählt, weiß niemand mehr genau, welche Bedeutung sie eigentlich haben. Auch Königin Yllaria von Septorod ist mit dieser Sage...