Touch / h.s

Touch

„Können mich die anderen Geister berühren, beziehungsweise, darf ich sie berühren?", forscht Cecile zum gefühlt tausendsten Mal nach und lässt somit den Mann rechts neben sich laut aufseufzen. Harry verlangsamt seine Schritte, da sie den zahlreichen Lichtern, die die Nacht erhellen sollen, immer näher kommen.

„Wie ich es dir schon öfters gesagt habe, bin ich der Einzige, der unter keinen Umständen von einem menschlichen, lebendigen Lebewesen angefasst werden darf. Halte dich bitte dennoch mit Berührungen zurück, bewahre am Besten einen gewissen Sicherheitsabstand, es sei denn, die Geister kommen direkt auf dich zu", erklärt er und bleibt schließlich komplett stehen. Das Mädchen an seiner Seite macht es ihm nach und dreht sich zu ihm. Ihr Gesicht wird bereits von der Beleuchtung der Lichtung angestrahlt, all ihre Züge, an denen sie gerne Kritik übt, werden perfekt sichtbar gemacht.

Unwillkürlich beginnt Harry zu lächeln, seine rechte Hand – in der sich ausnahmsweise kein Stock befindet – zuckt für einen Moment nach oben, will die einzelne, kastanienbraune Strähne hinter ihr Ohr schieben. Doch wie immer kann er sich zurückhalten und grinst sie lediglich so breit wie die Katze aus ‚Alice im Wunderland', was nebenbei eine ihrer Lieblingsgeschichten ist, an.

„Habe ich irgendetwas an mir kleben?", fragt Cecile unsicher nach, sein Blick brennt sich förmlich in ihre Haut. Kopfschüttelnd saugt der Mann jedes Detail an ihr auf, um sich an diese Nacht so gut wie möglich erinnern zu können.

Während er sich einprägt, wie das weiße, langärmelige Kleid ihren Körper perfekt einhüllt, versichert er ihr: „Es ist alles in Ordnung." „Dann starr mich doch nicht so eindringlich an", kichert das Mädchen und wendet sich von ihm ab.

Mit einem Kopfnicken deutet sie auf die Lichtung vor ihnen und forscht nach: „Wieso ist noch niemand hier?"

Tatsächlich umzingeln die langsam grün werdenden Bäume einen leeren Platz, der von kurzen Grashalmen bewachsen wird, hin und wieder kann man zwischen den Stämmen kleine Blüten erkennen, die zu dieser Jahreszeit aus dem Boden sprießen. Beinahe könnte man meinen, dass Harry gelogen hat, was das Fest angeht, allein die altmodisch aussehenden Laternen beweisen Cecile das Gegenteil.

„Habe noch etwas Geduld, Kleines", beruhigt der Mann sie und macht einige Schritte auf den fast kreisrunden Platz zu. Erst einige Sekunden später eilt sie ihm nach und als hätte er einen Schalter betätigt, treten zahlreiche Wesen in ihr Sichtfeld.

Aus allen Richtungen strömen Geister, in Form von den Tieren des Waldes oder von Menschen, auf die Lichtung. Sie alle schweigen, als würden sie auf etwas warten und Harry setzt sich wieder in Bewegung, hält Cecile jedoch mit einer schlichten Geste davon ab, ihm zu folgen.

Gleichzeitig mit ihm betritt ein strahlen oranger, unnatürlich edler Fuchs den Platz und abrupt wenden sich alle Wesen zu ihm. Er schreitet stolz in die Mitte, lässt sich einige Sekunden Zeit, bis er seine Gestalt wandelt und nun wie ein Mensch aussieht.

Seine strahlend violetten Augen stechen durch die blasse, beinahe weiße Haut hervor. Seine Lippen besitzen einen zarten Rosaton und seine Körper ist schlank sowie langgezogen. Er erkennt jeden einzelnen anwesenden Geist mit einem flüchtigen Blick an, während er ruft, seine Stimme autoritärer, als Cecile es je zu Gesicht bekommen hat: „Ich, Muna, will euch in dieser Nacht willkommen heißen, dies ist unser Fest!"

Zustimmendes Rufen und Jubeln ertönt, bis der Mann die rechte Hand hebt. Augenblicklich verstummt jedes einzelne Wesen und er dreht sich in Zeitlupe zu Harry. Doch sein Blick gilt nicht dem Toten, sondern dem Mädchen, das sich wenige Meter hinter diesem befindet, am Rande der Bäume. Er kneift die violetten Augen zusammen und macht mehrere, langsame Schritte auf sie zu, als er in derselben Lautstärke wie vorher fortsetzt: „Doch dieses Jahr gibt es eine Besonderheit. Es wurde eine lebendige Seele gebracht, hierher, zwischen all den toten, verloren, die wir diesen Wald bewohnen."