Seven

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"Alsoooo... möchtest du mir erklären, wer das war oder soll ich raten?", frage ich Luke vorsichtig als wir vor meinem Haus ankommen. "Tut mir leid, muss los Großauge, man sieht sich." Er steigt wieder auf sein Motorrad und ist verschwunden, ehe ich auch nur die Chance habe, etwas zu erwidern. Man sieht sich? Ist das der gleiche Typ, der mich praktisch genötigt hat, mich mit ihm zu verabreden? Andererseits...wenn ich mit so einem Berg von einem Mann zusammenleben und er mir befehlen würde, sofort zurückzukommen , würde ich mich höchstwahrscheinlich auch schnell vom Acker machen.

Wer das wohl war? Und was geht eigentlich bei denen im Keller ab? Gedankenverloren trete ich durch die Haustür und stehe quasi Auge in Auge mit einer vor Wut schnaufenden Mutter, die die Hände in die Hüften stemmt. Sie holt tief Luft und schreit: "Was hast du dir dabei nur gedacht! Mit einem fremden mitzufahren! Gleich nach der Schule! Ohne ein Sterbenswörtchen!" Oweia, an meine arme Mutter hätte ich schon noch denken müssen, ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und stelle fest, dass der Akku leer ist, ich will gar nicht wissen, wie oft sie versucht hat, mich zu erreichen, nachdem ich den ganzen Nachmittag wer weiß wo gesteckt habe. "Hey Ma, tut mir leid, da hätte ich echt dran denken müssen, das war Luke, mein neuer Mitschüler, er hilft mir bei Mathe und ich ihm im Gegenzug beim Einstieg in der neuen Schule." Meine Mutter schnaubt jetzt nur noch und scheint etwas besänftigt zu  sein. "Ich will seine Eltern kennenlernen.", fordert sie. "Wer seinem Kind so ein Gefährt aus der Hölle erlaubt und vielleicht sogar noch kauft, kann nicht normal sein!" Ich schiebe mich schmunzelnd an ihr vorbei ins Haus und murmele in meine Jacke: "Hatte Pa in dem Alter nicht schon zwei von den Dingern auf dem Gewissen?" "Was?!" "Was?", frage ich unschuldig und verschwinde in mein Zimmer.

Dort angekommen sehe ich, dass Christopher es sich schon auf meinem Bett bequem gemacht hat und fröhlich einen Gegner nach dem anderen auf unserer gemeinsamen Konsole verdrischt. "Na, was umschwirren denn da für Gerüchte meine zarten, unschuldigen Ohren?", fragt er mich abgelenkt. Genervt werfe ich meinen Rucksack auf die Couch und schnappe mir den zweiten Controller. "Stirb!", schreit mein Bruder, während er über den letzten Feind hinwegmäht. Auf dem Bildschirm erscheinen die Worte "#1 Victory Royale" und Christopher steht auf, um ein Mehrspielergame einzulegen. "Ich weiß nicht, was du meinst.", antworte ich vorsichtig, während ich die Kissen in meinem Rücken zurechtlege.

Christopher hat sich inzwischen für Need for Speed entschieden und kommt zurück zum Bett. "Nanana, du sollst keine Lügen erzählen.", widerspricht er mir mit einem diebischen Grinsen. "Nette Anspielung du HP- Besessener, aber ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst.", versuche ich es weiter. Er startet das Spiel und wir beide suchen uns jeweils ein Auto aus, meins ist schreiend pink, tiefer gelegt und hat hübsche Bommeln am Innenspiegel hängen.

 "Na gut, wenn du nicht reden willst okay, aber safety first, du Wilde, hab dir ne Schachtel Anti-Baby-Gummis in den Nachttisch gelegt, falls das in dem Tempo so weiter geht. Keinen Bock auf so nen schreienden Unfall, nach neun Monaten.", grinst er und startet das Spiel. Vor Schreck lasse den Controller los und promt falle ich mit meinem Fehlstart auf die vierte Position zurück. "Also entschuldige mal, bist du jetzt verrückt geworden ich gehe doch nicht mit ihm ins Bett?!" "Aha, also jetzt weißt du doch Bescheid?", fragt er sarkastisch und stoppt das Spiel. Ergeben seufze ich und versuche meine Gedanken zu ordnen, man kann einfach zu gut mit ihm reden.

"Jaa, er sieht gut aus und bisher war er auch wirklich freundlich zu mir. Weiß auch nicht, was mit mir los ist.", murmele ich betreten. Rückblickend kommt mir das Kennenlernen und Essen mit Luke und meine frühzeitigen Gefühle ziemlich suspekt und auch ein wenig lächerlich vor. Aber, dass der Umgang mit ihm nach den anfänglichen Startschwierigkeiten super natürlich und einfach war, lässt sich nicht von der Hand weisen. "Hey, ist okay, ich versteh schon, du bist verknallt in das Neue und Interessante... und das ist auch gar nichts Schlimmes, sondern voll normal", rudert er zurück, als er meinen entgeisterten Blick bemerkt. "Nein ehrlich, alle Weibchen der Schule träumen gerade davon, an deiner Stelle zu sein. Genieße, dass du die Glückliche bist, aber bevor du dich auf was Festes einlässt, lern ihn erstmal besser kennen." Damit ist die Seelsorge à la Christopher beendet und ich fühle mich tatsächlich besser. So flapsig er sein kann, er erfasst die Situation tatsächlich doch auf den Punkt. 

Er startet das Spiel neu und ich fahre ihn frei nach dem Motto "Wer bremst, verliert!" in Grund und Boden. Ich  weiß zwar, dass er mich gewinnen lässt, das tut meiner Freude aber keinen Abbruch, denn auch wenn mein Verstand dem rasenden Tag und den dazugehörigen Gefühlen erstmal hinterherkommen muss, weiß ich doch, dass mein Bruder mir mit Rat und Tat zu Seite stehen wird, egal, was demnächst auf mich zukommt. 

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