"Mylady, ich soll euch zum Abendbrot geleiten."
Nachdem Tansy mich in das geräumige Zimmer gebracht hatte, war sie sogleich verschwunden und ich hatte nicht lange gezögert und mich in das, mit dicken Fellen überzogene Bett gelegt. Ohne, dass ich damit gerechnet hatte schlief ich tatsächlich ein. Dementsprechend verwirrt blickte ich die blonde Zofe an.
"Ich kann mich so nicht blicken lassen, hast du vielleicht mitgekriegt wo meine anderen Kleider sind?"
Das graue Kleid war knittrig und meine Haare standen in alle Richtungen ab, wie ich in dem Spiegel gegenüber meines Bettes erkennen konnte.
"Es tut mir leid, darüber wurde mir noch keine Auskunft erteilt, Mylady. Wenn ihr es erlaubt könnte ich eure Haare bürsten und versuchen euer Kleid zu glätten."
Ich nickte. Tansy lief zu dem kleinen Tisch unter dem Spiegel und griff nach einer teuer aussehenden Bürste. Ich stand auf um mich dann gleich wieder auf einen Stuhl zu setzen, damit meine Haare leichter durchgekämmt werden konnten. Ich hatte Winterfell anders in Erinnerung. Ich war früher einmal hier gewesen, als die Starks noch an der Macht waren. Überall hingen alte Gemälde und es roch dauerhaft nach Braten und Kartoffeln. Allgemein war es gemütlicher, man hörte auf den Gängen immer irgendwo jemanden lachen oder reden.
"Ihr habt schönes Haar, Mylady."
Kurz lächelte ich. "Mach dir keine Mühe mit Komplimenten, ich weiß wie meine gerade Haare aussehen."
"Entschuldigt", murmelte sie.
Schweigend bürstete sie weiter und ich blickte aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade unter und alles war in orange-rotes Licht getaucht. Einige Wachen standen auf der Mauer und ich konnte erkennen wie ihr warmer Atem die Kälte Luft weiß färbte. Es war so kalt hier oben.
"Ich würde nun versuchen euer Kleid zu glätten, Mylady."
Ohne sie anzusehen stand ich auf und streckte meine Arme nach oben, während sie begann mein Kleid geradezuziehen. Als sie meine Rücken glatt strich, keuchte ich kurz auf. Vater hatte ganze Arbeit geleistet, immer wieder hatte er mich gegen die Wand geschlagen weil ich mich anfangs geweigert hatte den Bastard zu heiraten.
"Ich denke, ihr könnt zum Abendbrot. Folgt mir", erklärte Tansy schüchtern und öffnete die Tür, damit ich ihr auf den Flur folgen konnte.
Der Gang war lang und dunkel, nur jede zweite Fackel war entzündet und dort wo einst die Bilder hingen, waren verstaubte Flecken. Nachdem wir eine Treppe hinuntergingen und ich fast gestürzt wäre, erreichten wir den Speisesaal und Tansy verabschiedete sich. Jetzt musste ich wohl alleine mit den Boltons zurechtkommen. Einer der Wachen vor der Tür stieß diese auf und ich ging mit gesenktem Blick hinein. Nichtmal hier roch es noch nach Braten, eher nach irgendeiner Suppe. Vielleicht Gemüsesuppe?
Ich hob den Kopf und blickte direkt in die kalten Augen von Lord Bolton. "Mylady, setzt euch zu uns", sagte er ohne eine Regung in seinem Gesicht zu zeigen und deutete auf den freien Platz neben dem Bastard, welcher mit nur zulächelte. Selbst ich konnte erkennen, dass dieses Lächeln nicht echt war und meine Menschenkenntnis lag im Minusbereich.
Der schwere Stuhl schabte unangenehm laut über den Boden als ich mich hinsetzte. Gegenüber von mir thronte die Fette Walda, ich hatte schon bei meinem Ritt hierher viel über sie gehört. Im Grunde waren die Eisenmänner was tratschen anging, nicht viel besser als ein paar alte Waschfrauen in Königsmund. Lord Bolton soll von Walder Frey nach Pfund bezahlt worden sein, je fetter die Frau die er sich aussuchte, desto mehr Silbermünzen bekam er. Er schien es nötig zu haben.
"Balon Graufreud schlug uns einen fairen Handel vor. Ich denke nicht, dass ihr davon wusstet", erhob Roose Bolton das Wort. Ohne auf eine Antwort von mir abzuwarten fuhr er fort. "Er fordert die Freilassung von Theon, dafür würde er euer Leben und das der mitgereisten Eisenmänner geben. Außerdem würde er uns ewige Treue schwören."
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich wusste, dass Vater etwas im Schilde führte aber..
"Ich bin mir nicht sicher ob der König der Eiseninseln Stinker wirklich wieder zu sich holen möchte, er kennt den neuen Theon ja noch nicht", mischte sich nun der Bastard ein. Ein verächtliches grinsen lag auf seinen Lippen, als er dann nach seinem Becher gefüllt mit Wein griff.
"Es ist ein weitaus faires Angebot, einen Eunuchen gegen Soldaten und Kriegsunterstützung", erläuterte Roose.
"Wir werden Stinker fragen was er davon hält. Ihr müsst euch sicherlich auch freuen euren lange verlorenen Bruder wiederzusehen nicht wahr, Mylady?"
Ich war wie paralysiert und nicht fähig zu antworten. Starr blickte ich auf den Teller vor mir und hoffte, dass ich gleich aus diesem Albtraum erwachen würde.
"Stinker!"
Wenige Sekunden später ging eine kleine Tür an der Seite des Saals auf und mein Bruder kam hereingestolpert. Seine verfilzten Haare standen in alle Richtungen ab und ein ungepflegter Bart wuchs in seinem Gesicht, welches mit Dreck beschmiert war.
"Mylord?"
"Sieh dir an wer uns besucht. Kailen, deine Schwester! Erkennst du sie denn nicht?", sagte Ramsay und erhob sich. Theon blickte mir kurz ins Gesicht und fing daraufhin an zu zittern. Er sah schrecklich aus. Ich merkte wie mir Tränen in die Augen stiegen.
"Dein Vater hat uns einen wunderbaren Vorschlag gemacht, du gegen deine Schwester. Du kannst also nach Hause", lachte der Bastard und schlug Theon fast schon freundschaftlich auf die Schulter. "Jedoch wirst du bis zur Hochzeit morgen warten müssen, irgendjemand muss sie zum Altar führen."
Als hätte Theon erst jetzt realisiert was geschehen würde, begann er zu schluchzen. Doch anders als ich erwartete nicht aus Trauer, dass er mich nicht retten konnte oder ich mich für ihn opferte, sonder aus Erleichterung. "Danke, Mylord, Danke. Ich b-bin sicher sie wird gut zu e-euch sein."
Nach einer tiefen Verbeugung verschwand Theon wieder und nun begann ich beinahe zu schluchzen. Er ließ mich im Stich. Er war gebrochen, niemals hätte mich der alte Theon hier zurückgelassen. Ich konnte spüren wie der Bastard grinste, jedoch wollte ich ihm die Genugtuung, dass er mich so sah wie ich mich fühlte nicht geben. Mit zusammengebissenen Zähnen griff ich also nach der Kelle und füllte meinen Teller bis zur Hälfte mit der Suppe.
"Wenn es euch beliebt, könnt ihr Kleider von mir haben", sprach nach einigen Sekunden der Stille das erste Mal die Fette Walda. Ihre Stimme war sanfter, als ich erwartet hatte.
"Ich wäre euch sehr dankbar, Mylady", antwortete ich leise und konzentrierte mich auf die Suppe. Jedes Mal bevor ich einen Löffel zum Mund führte pustete ich kurz.
"Ich denke kaum, dass meine Verlobte eure Kleidergröße teilt, Mutter", mischte sich nun wieder der Bastard ein.
"Wir haben einige Schneider hier", sagte Roose Bolton und seine Stimme war so scharf, dass sie keine Widerworte zuließ. Kurz darauf begannen Vater und Sohn ein Gespräch über den nahenden Winter und ich beschloss nicht weiter zuzuhören.
Früher wäre Theon für mich gestorben. Er wäre für jeden aus unserer Familie gestorben. Ramsay Bolton hatte diesen Theon getötet. Zurück blieb nur das armselige Stückchen Elend ohne Penis.
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Somber
FanfictionKailen Graufreud, jüngste Tochter des Balon Graufreud von den Eiseninseln war mit ihren 19 Jahren noch kein einziges Mal verheiratet und glücklich mit dem, was sie den ganzen Tag tun konnte; lesen, jagen und reiten. Ihr sorgloses Leben änderte sich...