Ich lief die letzten drei Stufen runter und bog in die Küche, wo ich Trudi kochen hören konnte.„Ich dacht mir, dass du wahrscheinlich total hungrig bist und hab dir ein paar Nudeln gekocht.“ Ich setzte mich an den Küchentisch und Trudi reichte mir einen Teller. „Du isst doch Nudeln, oder? Ich kann Dir auch was anderes machen.“ „Nein, nein. Passt schon. Wer isst den bitte keine Nudeln?“ „Auch wieder wahr!“ Sie setzte sich an den Tisch und wir begannen zu essen.
Wie ich zu Trudi kam war eine lange und komplizierte Geschichte. Mein Vater hatte früher immer auf Trudis Hof Urlaub gemacht und sie so kennen gelernt. Als ich dann in den Gerichtssaal musste und über meine Zukunft entschieden werden musste, fand man einen Brief meines Vaters in dem stand, dass wenn jemals etwas passiert und niemand von der Familie mehr da ist, er möchte, dass Trudi das Sorgenrecht für mich bekam. Das Jugendamt diskutierte ordentlich drüber, sprach darüber mich in ein Heim zu geben, mein Pferd zu verkaufen, mich in ein Internat zu stecken. Doch der Brief meines Vaters war entscheidend und so wurde Trudi informiert und sagte sofort zu. Damit wurde die Entscheidung gefällt, dass Trudi das Sorgerecht bekam und bis zu meinem 18ten Lebensjahr auch das Geld verwaltet und alles andere, was mir meine Eltern hinterlassen hatten. Trudi hatte dann kurz angerufen und mit mir den Ablauf geklärt. Meistens hatte sie allerdings mit meinem Deutschlehrer geredet, der mir mit allem half und der bis ich zu Trudi kam, auf alles ein Auge hatte. Ohne ihn, würde ich heute noch in der Ecke sitzen und heulen.
Als wir fertig essen waren, räumten Trudi und ich gemeinsam auf und sie zeigte mir voller Stolz ihren Hof. Als letztes kamen wir in den Stall. „Ich lass Dich dann mal mit deinem Süßen alleine“, sagte Trudi. Ich lief zu J'adore, der in der ersten Box stand. Meine Eltern hatten immer ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie so oft auf Geschäftsreisen mussten. Er legte ihren Kopf in meine Arme und ich drückte ihn an mich. „Ach Schatz, die Welt dreht sich gerade einfach viel zu schnell und ich steh einfach nur da und seh alles an mir vorbei ziehen. Wie in einem Zug. Ich möchte einfach nur von ihr abspringen.“
Die Strahlen der Sonne schienen durch mein Fenster. Ich blinzelte und drehte mich auf den Rücken, schaute an die Decke und ließ meinen Blick über den Raum gleiten, der so fremd und doch so vertraut war. Ich fühlte mich sicher und wohl und seit langem konnte ich abschalten und mal nichts tun. Das Zimmer war in einem freundlichen grün gehalten. Ich richtete mich auf und lehnte mich an die Lehne meines Bettes, schaute auf die Uhr und strich mir die Haare auf dem Gesicht. Es war 5 Uhr morgens und ich hatte seit über zwei Wochen nicht mehr so gut geschlafen. Ich zog die Bettdecke ein wenig höher und kuschelte mich in sie hinein. Eigentlich wollte ich aufstehen, aber es war so gemütlich und warm unter meiner Decke, dass ich nicht von dort weg wollte. Nach langem hin und her entschloss ich mich auf zu stehen und zog mir meine Jogging Hose an und lief nach unten. Ich schaute in die Küche, niemand dort. Ich schaute ins Wohnzimmer, niemand dort. Ich lief ins Esszimmer, niemand dort. Trudi war also noch am Schlafen. Ich schaute im Esszimmer aus auf die Koppeln, auf denen die Jährlinge rumtoben und lächelte. Wie prachtvoll sie aussahen wenn ihre Mähne im Wind wehte, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellten und versuchten, den anderen einzuschüchtern. Jeden Muskel konnte man erkennen und ihre braunen Augen glänzten in der Sonne, voll mit Stolz und Mut und Leidenschaft. Sie galoppierten über die Wiese, den Kopf hoch in den Himmel gestreckt, als wollten sie abheben von dieser Welt und los fliegen, in den Wolken spielen. Ich lächelte. Dieses Gefühl von Freiheit durchströmte meinen Körper nur allein bei dem Gedanken daran. Ich erinnerte mich daran, wie ich das Gefühl hatte abzuheben und mit J'adore in den Himmel hoch zu fliegen, weit weg von dieser Welt. Seine Bewegungen hatten sich angefühlt, als würden wir auf Wolken galoppieren. Er hatte seinen Kopf hoch oben gehabt und ich konnte seine Augen glänzen sehen, die voller Stolz und Freude nur so strahlten. Wie sehr ich dieses Gefühl doch vermisste. Ich lief so leise wie möglich wieder nach oben, zog mir eine Jeans an und schnappte mir mein Handy. Dann lief ich die Treppen wieder herunter und schloss die Haustür so leise wie möglich hinter mir, hastete zum Stall. „Hallo?“, rief ich um zu sehen ob ich eine Antwort bekam oder ungestört war. Leise hörte ich die Pferde mümmeln und ab und zu ein Schnauben. Ich lief zu J'adore und öffnete seine Box. Er kam sofort zu mir und ließ seinen Kopf in meine Arme sinken. „Lust auf ein kleines Abendteuer, mein Süßer?“, fragte ich ihn und er schaute mich mit gespitzten Ohren an. Ich schnappte mir sein Halter, dass an der Box hin und zog es ihm an, kratzte seine Hufe aus und putze ihn kurz. „Nun müssen wir ganz leise sein, mein Süßer. Sonst hört uns noch einer.“ Ich versuchte J'adore so langsam wie möglich aus dem Stall zu bekommen, damit man das Klappern der Hufe nicht so hören konnte und er schien zu merken, dass er leise sein sollte, denn er setzte ihre Hufe ganz vorsichtig auf. Auf dem Hof angekommen hielt ich ihn an und band den Führstrick zu zwei Zügeln, dann stieg ich auf die Bank, die neben dem Ausgang des Stalles stand, und schwang mich auf J'adore, der anfing nervös auf der Stelle trabte. „Komm mein Junge, dann wollen wir mal.“ Ich legte meine beiden Beine an und er reagierte sofort und trabte an, den Weg entlang aus dem Tor raus. Ich fand einen Reitweg, der mich zu einem wunderschönen Park brachte. Es war kaum ein Mensch unterwegs und ich konnte tun und machen, was ich will. Ob ich nun im Schritt ritt und J'adore zuschaute, wie er mit seinem Kopf ab und zu nach Schmetterlingen schaute oder im Trab der Sonne entgegen ritt. Doch das Beste war als ich im Galopp einen langen graden Streifen hoch ritt und ich lachen musste, denn das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit kitzelte mich und ich hatte das Gefühl zu Fliegen. Ich ließ die Zügel los und breitete meine Arme aus, als wären sie Flügel und schloss meine Augen und genoss J'adores weite Galoppsprünge. Dann öffnete ich meine Augen wieder, nahm die Zügel auf und parierte ihn durch zum Schritt und klopfte ihm den Hals. Ich schaute umher. Es war so schön grün und der Tau lag noch auf dem Gras und den Bäumen und spiegelte die Sonne wieder. In der Nähe musste etwas wie ein Bach sein, denn ich hörte Wasser rauschen. Keine zwei Minuten später kamen wir an einen kleinen Bach. Ich stieg ab und ließ J'adore trinken und mit seinen Vorderbeinen ins Wasser. Vielleicht war München doch gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Zumindest hatte ich meinen neuen Lieblingsplatz gefunden. „Na, gefällt Dir das, mein Süßer?“J'adore schaute zu mir und stupste mich an. Ich lachte. „Ich glaube aber, wir sollten mal wieder zurück.“ Mit den Worten stand ich auf, streifte ihm die Zügel wieder über den Hals, nahm Schwung und schwang mich auf seinen Rücken, drehte ihn und ritt den Weg zurück und trabte J'adore an. Es war wirklich kaum jemand unterwegs. Eigentlich war niemand unterwegs, aber das machte diesen Ort noch mehr wie ein Paradise. Mein Paradise, an dem ich einfach Mal abschalten konnte und alles vergessen konnte. Kaum zu glauben, dass es so einen Ort gab, aber es gab ihn. Ich ließ meinen Blick schweifen und schaute umher bis meine Augen die Augen eines Joggers trafen, der auf dem Weg stand ungefähr auf meiner Höhe, aber auf der anderen Seite der Wiese. J'adore merkte, dass ich abgelenkt war und parierte durch zum Schritt. Der Jogger fing wieder an zu joggen und ich verlor ihn hinter den ganzen Bäumen. ‚Das war komisch‘, dacht ich mir und trabte J'adore wieder an. Er schnaubte und obwohl ich ihm lange Zügel gab, hatte df eine super schöne Anlehnung. Ich klopfte ihm den Hals und wollte nach rechts als ich den Jogger wieder sah. Er war groß, hatte blond-braunes Haar, ein weißes Fußballtrikot an und schwarze Shorts dazu. Er verlangsamte als er mich sah und lächelte. Er war auf keinen Fall älter als 20, eher 18. Ich lächelte zurück und J'adore fing wieder nervös an zu tänzeln. Er war Stopps auf dem Heimweg nicht gewohnt. Ich verkürzte die Zügel und wollte eigentlich nur an ihm vorbei reiten. „Es sah aus, als ob ihr zwei gleich auf und davon fliegen würdet.“ Ich schaute lächelnd zu ihm und ließ J'adore anhalten. „ Wenn wir könnten, hätten wir es wahrscheinlich getan.“ „Ich habe Dich noch nie morgens gesehen hier im englischen Garten.“ Ich lächelte. „Konntest Du auch nicht. Bis gestern wohnte ich nicht mal hier.“ J'adore fing wieder an nervös zu tänzeln. „Ich muss weiter. Er wird immer schrecklich nervös wenn wir auf dem Heimweg stoppen.“ „Kein Problem, aber bist du morgen auch wieder hier?“ „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Ich lächelte noch einmal und dann ließ ich J'adore antraben. „Ich bin David und wie ist dein Name?“ Ich drehte mich auf J'Adore um und sagte lächelnd: „Noelani.“ Erst als ich um die Ecke gebogen war, erkannte ich, dass David der Taxifahrer von gestern gewesen war.
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Aufgeben kann jeder
Teen FictionNichts ist für immer und Pläne gehen immer schief. Das musste ich selbst schmerzlich feststellen. Nach dem Flugzeugunfall meiner Mutter werde ich nach München geschafft, worauf ich wirklich gar keine Lust habe und dann kommt doch alles anders als ge...