Lucía
Lucía! Lucía! Langsam machte ich meine müden und noch von Schlaf bedeckten Augen auf. Meine kleine Schwester stand aufgeregt vor meinem Bett und schrie meinen Namen. "Was ist denn los Elena?", fragte ich sie und gähnte herzhaft dabei. "Mama geht es nicht gut!", schluchzte Elena. Sofort war ich hellwach und sprang aus meinem alten und rostigem Bett auf. Ich rannte so schnell wie ich konnte raus über unseren kleinen, und im Moment sehr schneebedeckten Hof, in die Hütte, in der meine Eltern und meine Schwester schliefen. Als ich im Schlafzimmer meiner Eltern ankam, sah ich meine Mutter in ihrem Bett liegen. Sie sah sehr blass und müde aus und ihr Gesicht schien eingefallen zu sein. Seit Tagen ging es ihr nicht so gut, jedoch schien es heute besonders schlimm zu sein. Immer wieder plagten sie starke Kopfschmerzen, Husten und Schnupfen. Ich holte das letzte bisschen Medizin aus dem alten Küchenschrank und gab sie ihr. Ein kräftiger Windstoß kam durch die kleinen Spalten in der Wand und fegte durch das Zimmer, kein Wunder, dass meine Mutter sich eine Lungenentzündung geholt hatte. Ich wusste, dass es so nicht weiter gehen konnte. Mein Vater versuchte jeden Tag uns etwas zu Essen zu besorgen und etwas Geld zu verdienen, indem er Ziegenmilch von unseren Ziegen verkaufte, aber auch diese brauchten ihr Futter, was nicht leicht zu finden ist wenn alles voller Schnee ist. Spanien war eines der letzten Länder, die von der großen Kälte getroffen wurde und trotzdem waren wir nicht vorbereitet gewesen. Erst nach etwa einem halben Jahr gab es Räumfahrzeuge und auch Winterklamotten gab es erst nach einer Weile. Internet-und Telefonverbindung gab es schon lange nicht mehr. Die Essens Vorräte gingen langsam dem Ende zu und die Menschen fingen an zu hungern. Die meisten Leute allerdings verschwanden einfach nach einiger Zeit oder sie erfroren in der eisigen Kälte. Meine beste Freundin gehörte zu denjenigen, die einfach verschwunden sind, allerdings hatte sie mir zum Abschied einen kurzen, jedoch sehr wertvollen, Brief hinterlassen, in dem folgendes stand:
Liebe Lucía,
Ich muss mich kurz fassen, da auf mich gewartet wird. Ich werde nun für einige Zeit in die Schweiz gehen und dort der Armee beitreten. Wann ich zurück komme oder ob ich überhaupt jemals wieder nach hause komme, weiß ich noch nicht. Ich habe Angst aber für einmal am Tag eine warme Mahlzeit und etwas Geld für meine Verwandtschaft, lohnt es sich.
Ich hab dich lieb und werde dich ganz doll vermissen!
Deine beste Freundin Valeria!Das war nun schon etwa ein halbes Jahr her. Ich fand den Zettel mit einer Packung meiner Lieblingskeksen auf ihrem Küchentisch. Mir brach es das Herz und so richtig verstand ich den Brief nie. Was für eine Armee? Und warum in die Schweiz, wo noch viel mehr Schnee liegt als hier? Wie konnte man dieser Armee beitreten? Werde ich sie jemals wieder sehen? Diese Fragen und noch viel mehr stellte ich mir jeden Tag und ich konnte darauf keine logische Antwort finden. An diesem Tag, als ich bei meiner Mutter am Bett stand und über eine Lösung nachdachte, sah ich ein großes, schwarzes Auto draußen auf unserem Hof stehen. Wir bekamen nie Besuch, da unser Hof sehr abgelegen war und durch den vielen Schnee keiner sich die Mühe machte uns zu besuchen. Ich rannte sofort raus um zu gucken wer das war und sah, dass ein junger Mann, um die 25, vor der Tür von meinem kleinen Schuppen stand, den ich im Moment bewohnte. Mir viel sofort sein muskulöser und sehr breiter Oberkörper auf. "Sind sie Lucía Perdones?", fragte er und seine braunen, fast schwarzen, Augen funkelten mich an. "Ja, die bin ich.", bestätigte ich ihm seine Frage und ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er in die kleine Hütte die ich mit ein paar Ziegen und Katzen teilte. "Sie müssen mitkommen!", sagte er und guckte mich ernst an. Sofort tauchten Fragen in meinem Kopf auf: Wohin soll ich gehen? Warum soll ich gehen? Hab ich etwas verbrochen? Und wer ist das überhaupt? Da er meine Verwirrung anscheinend bemerkt hatte, sagte er leise, jedoch mit einer sehr bedrohlichen Stimme: "Du hast den Brief gefunden." Sofort wusste ich was er meinte und Panik brach in mir aus. Muss ich jetzt auch in die Schweiz und in die Armee eintreten? Viel Erfahrung hatte ich nicht mit Krieg, es gab ja auch noch nie einen, jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten, aber früher auf dem Schulhof konnte ich mich selbst gegen die großen Jungen aus meiner Klasse gut durchsetzten und ein warmes Essen und ein kleiner Lohn für die Familie war nicht schlecht. Damit war mein Entschluss gefasst: ich wollte in den Krieg! Oder war es überhaupt ein Krieg? Noch wusste ich es nicht aber wie immer war ich optimistisch, dass es gut gehen wird. "Okay, ich werde mitkommen.", sagte ich, "darf ich mich noch von meiner Familie verabschieden?" Er schüttelte den Kopf und nahm meinen Koffer in die Hand. Wie er an meinen Koffer gekommen ist und wann er ihn gepackt hat, weiß ich bis heute noch nicht. Draußen tobte mal wieder ein Schneesturm und man konnte kaum seine eigene Hand vor den Augen sehen. Unsanft zerrte der Mann mich am Arm in ein schwarzes Auto. Die Tür fiel zu und ich war mit dem Mann alleine. Traurig blickte ich zurück auf unseren kleinen Hof und Tränen flossen über mein Gesicht. Ich wusste, dass ich damit mich und meine Familie vielleicht vor dem Hungertod bewahren konnte aber ich wusste auch nicht ob ich meine Familie jemals wieder sehen würde. Das Auto fuhr los und ich fühlte mich so leer wie noch nie zuvor.
Wir fuhren in einer rasenden Geschwindigkeit den kleinen Berg, auf dem unser kleiner Hof stand, runter. Ungefähr fünf Minuten später hielten wir auf einem kleinem Parkplatz an. Der Mann stieg aus, kramte in einer Tasche, die er aus dem Kofferraum geholt hatte, und machte die Tür neben mir auf. Er hatte eine riesige Spritze, die nun auf mich zukam. Ich fing an zu schreien und zu zappeln aber es nützte nichts. Ich spürte wie die Spritze langsam in meinen Unterarm gedrückt wurde. Die Schmerzen waren unerträglich. Mit einem Ruck zog er sie wieder raus und knallte die Autotür zu. Mein Unterarm pochte und meine Augen wurden langsam immer schwerer, dann wurde mir schwarz vor Augen.
Als ich aufwachte sah ich nur grau. Ich richtete mich langsam auf und sah eine Toilette mit einem kleinem Waschbecken daneben, sonst stand nur das Bett auf dem ich saß in dem grauen, und anscheinend nur aus Beton bestehenden, Raum. Meine Angst wurde immer größer aber mein Glaube, dass alles einen Sinn hat und alles gut enden wird, ließ mich ruhig bleiben. Ich stand auf und wusch mir mein Gesicht an dem Waschbecken. Das Wasser war eiskalt. Ich ging ein bisschen durch das kleine Zimmer und versuchte ein paar Liegestützen zu machen, aber meine Arme gaben nach und ich klatschte mit dem Gesicht auf den Boden. Erst da, fiel mir auf, dass dieser beheizt war und ich beschloss auf ihm liegen zu bleiben. Ich spürte wie erschöpft ich war, meine Augen fielen zu und ich schlief ein.
Gefühlte Wochen war ich in diesem Raum und nichts passierte. Manchmal kamen Leute rein, die mir Essen gaben oder irgendwelche Tests mit mir machen wollten, bei denen ich beweisen musste wie sportlich oder wie intelligent ich war. Einmal brachte mir eine junge Frau ein Buch, was jedoch komplett leer war. Von diesem Tag an schrieb ich Tagebuch, okay ich muss zugeben in dem Loch, wie ich es inzwischen nannte, war es nicht wirklich spannend aber ich schrieb trotzdem jede Kleinigkeit auf. Oft schrieb ich auch von meinem früheren Leben, als die große Kälte noch nicht da war und als es den Menschen noch gut ging. Ich war früher oft mit meinen Freunden weg, wir tanzten, tranken Alkohol und hatten Spaß. Ich vermisste diese Zeit sehr, viele meiner Freunde waren ernst geworden und hatten den Spaß am Leben verloren. Ich meine recht hatten sie ja, viel Hoffnung gab es nicht für uns Menschen, aber ein kleinen Funken Hoffnung gibt es immer.
So vergingen die Tage und irgendwann verlor ich die Geduld, ich hielt es nicht mehr aus in dem Raum. Wie besessen begann ich gegen die Wände zu klopfen und schrie mir die Seele aus dem Leib. Ich wollte nur noch da raus. War das die sogenannte Armee? War das der Krieg? Nein ich wollte nicht mehr, mir hat es gereicht. Ich vermisste meine Familie und auch die Freiheit. Verzweifelt setzte ich mich schließlich in eine Ecke und begann zu weinen. Mir flossen die Tränen über mein Gesicht und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Auf einmal öffnete sich die Tür und die junge Frau, die mir auch das Buch gebracht hatte, kam rein. Sie setzte sich zu mir und guckte mich mitleidig an. "Wann darf ich hier endlich raus?", fragte ich sie verzweifelt, jedoch bekam ich keine Antwort von ihr. Sie griff nur einmal in ihre Tasche und holte eine Spritze raus, die so schnell in meinem Arm war, dass ich es erst realisiert hatte, als sie die Spritze wieder rauszog. Verblüfft guckte ich sie an und merkte wie meine Augen wieder langsam schwer wurden und schließlich wieder alles schwarz vor meinen Augen wurde.
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Ewiges Eis
Science FictionEis überzieht die Erde. Nur die Stärksten überleben. Anarchie zählt zur Tagesordnung. Vier Menschen. Vier Schicksale.