6// Endlosigkeit

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Ein paar Wochen bin ich jetzt schon auf dem Schiff... Die Zeit vergeht überhaupt nicht, es ist immer dasselbe. Die Piraten behandeln uns wie den letzten Dreck, wir kriegen nicht genug Essen und Trinken, der Raum ist viel zu eng und hin und wieder machen sich ein paar Piraten an die Frauen ran. Anscheinend hat der Kapitän ihnen aber verboten, die Zelle aufzumachen, sie fangen nie wirklich etwas mit ihnen an, was mich sehr erleichtert.
Jeden Tag verspotten sie uns und machen sich über unsere missliche Lage lustig, in die sie selbst uns gebracht haben. Ich will mir das nicht länger bieten lassen! Das ist menschenverachtend! Ich fange an, mir die Abwechslungszeiten der Wache einzuprägen. Nachts wechseln sie öfter, tagsüber sind es oft die gleichen Leute. Ich hebe alte Hünhnerknochen auf und schnitze sie mir mithilfe von Steinen zurecht. Einer der Knochen hat jetzt eine spitze, dünne Stelle an einem Ende, mit dem man zum Beispiel ein Schloss aufkriegen könnte.
Eines Nachts fühle ich mich bereit dazu, meine Idee in die Tat umzusetzen. Nachts warte ich auf die letzte Ablösung vor dem Sonnenaufgang, da genau diese Wache immer einschläft. Um mich herum schlafen anscheinend auch alle. Ich steige vorsichtig über die abgemagerten, schlafenden Körper der anderen Gefangenen und schleiche dann zu dem großen Schloss an der Gittertür. Ich fange an, mit dem Hühnerknochen darin rumzubohren. Nichts tut sich... Na toll!
Ich bin zwar durch das schlechte, wenige Essen mehr abgemagert als Zuhause, aber durch die Gitterstäbe passe ich leider trotzdem nicht. Ich versuche es zwar, aber mein Kopf hat leider zu viel Umfang. Ich konzentriere mich weiter auf das Hühnerknochengebohre und merke nicht, dass die Wache sich regt.
Aus dem Nichts legt sich eine Hand vor meinen Mund und jemand zieht mich von dem Schloss weg. Ich versuche die große Hand wegzureißen, da ich schlecht Luft bekomme, aber derjenige ist größer und stärker als ich. Die Person zieht mich mit sich auf den Boden und hält mich so fest, dass ich mich nicht mehr wehren kann.
„Pssschhht!" Ich höre auf mich zu bewegen. Ich liege halb unter der Person und warte. Man hört nur leises Geschnarche von anderen Gefangenen. Da erst merke ich, dass die Wache längst aufgewacht ist und vor der Zelle umherstolziert. Innerlich danke ich schonmal der Person, die mich hier weggezogen hat und schaue mir diese genauer an.
Es ist ein junger Mann, vielleicht 25,26 Jahre alt, er sieht sehr wohlhabend aus, was wohl der Grund für seine Entführung ist. Die Piraten verlangen wahrscheinlich Lösegeld von seiner Familie. Er hat etwas längere, braune Haare, die an den Spitzen leicht gewellt sind. Konzentriert beobachtet er die Wache, während ich ihn inspiziere. Als sich die Wache wieder hinsetzt, entspannt sich sein Körper. Er rutscht ein Stück zur Seite, damit ich mich wieder bewegen kann. Ich bedanke mich unendlich bei ihm, er bleibt sehr ruhig und sagt kaum etwas.
„Was war denn dein Plan?" fragt er mich nun. Ich erkläre ihm, dass ich eigentlich keinen genauen Plan hatte und erstmal nur versucht habe, mit einem zurechtgenschnitzten Hühnerknochen auszubrechen. Ungläubig starrt er mich an und muss ein bisschen schmunzeln. „Weißt du wie gefährlich das ist?" sagt er vorwurfsvoll. Ich schaue ein bisschen schuldbewusst auf den Boden, dann gucke ich ihn wieder an. „Vor dir hat schonmal ein Junge versucht zu fliehen, aber er wurde erwischt. Niemand hat mitgekriegt wo er jetzt ist, wahrscheinlich haben sie ihn über Bord geworfen oder ihn auf qualvolle Weise getötet.", erklärt er mir. „Wie heißt du eigentlich?" frage ich ihn. „Ich heiße Tony und du?"
„Mein Name ist Elizabeth. Weißt du was Tony?...Lieber schwimme ich mit den Haien, als hier drinnen zu verrotten!" meine ich und laufe fest entschlossen Richtung Tür, wo das Schloss hängt. Mit meinem Hühnerknochen in der Hand...

Uns gehört das MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt