Müde, ich bin einfach nur müde, wie immer wenn sie wieder da ist. Wer sie ist? Sie ist meine Depression. Ich möchte einfach nur schlafen. Alles ist zu anstrengend und ich hab sowieso keine Lust. In der Schule war ich schon lange nicht mehr. Ich sehe keinen Sinn darin in die Schule zu gehen, weil mich dort niemand vermisst und weil ich sowieso zu schlecht bin. Ich kann nicht mithalten mit den anderen. Ich kann nicht dasselbe leisten wie sie. Dafür bin ich viel zu müde, wie für fast alles eigentlich.
Ein Klopfen an meiner Tür reißt mich aus meinen Gedanken. "Was?", meine Stimme klingt genervt. Langsam öffnet sich meine Tür und meine Mum lugt um die Ecke. "Jonas, denkst du daran, dass du heute zur Therapie gehst?", fragend zieht sie ihre Augenbraue hoch. Ein lauter Seufzer entfährt mir. Ist schon wieder eine Woche um? "Ich will heute nicht da hin". Ich ziehe meine Decke enger um meinen Körper. Flehend sieht meine Mutter mich an. Mir ist bewusst, dass sie ziemlich verzweifelt ist. "Jonas bitte. Du warst schon wieder so lange nirgendwo", ihre Augen füllen sich mit Tränen. "Okay". Sie lächelt, aber nicht echt, und verlässt mein Zimmer wieder. Langsam setze ich mich auf. Mir tut alles weh und ich bereue es jetzt schon ja gesagt zu haben.
Mühselig gehe ich ins Bad und wasche mein Gesicht, putze die Zähne und richte meine Haare zumindest etwas. Als ich fertig bin, fühle ich mich als wäre ich einen Marathon gelaufen. Mein gesamter Körper schreit praktisch danach, wieder zurück ins Bett zu dürfen. Doch das geht nicht. Ich ziehe mich auch noch an und gehe dann nach unten ins Wohnzimmer. Das Licht blendet meine Augen.
Wie immer fährt meine Mutter mich zur Therapie. Sie würde mich niemals alleine gehen lassen, weil sie zu große Angst um mich hat.
Mit unsicheren Schritten gehe ich in die Praxis und setze mich ins Wartezimmer. Das Wartezimmer hasse ich immer am meisten an der Therapie. Ich fühle mich wie Versager, der kleine Psycho der zum Seelenklemptner gehen muss. Die Zeit zieht sich und ich sitze eine gefühlte Ewigkeit in dem kleinen, stickigen Raum. Es fühlt sich so an, als würde mich jeder anstarren.
"Hallo Jonas", begrüßt mich mein Therapeut und reicht mir die Hand. Ich ergreife seine Hand und schüttele sie kurz, ehe ich mich hinsetze. "Hallo", presse ich mühsam hervor. Hier zu sein kostet mich eine große Anstrengung. Ich berichte wie es mir geht und was so passiert ist in den letzten Wochen. "Ich würde dir empfehlen, oder besser gesagt es wäre mir sehr wichtig, dass du mal zu einer Selbsthilfegruppe gehst, um Kontakt und Austausch mit Leuten in deinem Alter zu haben". Interessiert beobachtet er jede meine Reaktionen. Ich sehe ihn nur an, als wäre er gestört. "Ich glaube, dass wäre gut für dich". Ich zucke ratlos mit den Schultern.
Eine Woche später ist die erste Sitzung der Selbsthilfegruppe und ich hab verdammt noch mal eine Scheißangst da hin zu gehen, dennoch mache ich mühsam fertig und meine Mum fährt mich hin.
DU LIEST GERADE
Schatten der Gesellschaft
Short StoryPsychische Krankheiten. Depressionen, Magersucht und viele mehr. Tausende Menschen sind davon betroffen, aber dennoch ist es ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, in der es keinen Platz für Gefühle und Ehrlichkeit gibt. Trotzdem sind mehr Leute dav...