Kapitel 3- Lia

51 15 5
                                    

Ich hab es unter Kontrolle. Unregelmäßig füllen sich meine Lungen mit Luft. Wimmernd sitze ich auf dem Boden unseres Badezimmers. Beim Mittagessen musste ich etwas essen, sonst wäre Mum aufmerksam geworden auf mich. Und jetzt musste das Essen genauso schnell wieder raus wie es rein kam. Langsam beruhigt sich mein Körper wieder etwas und ich stehe mit zittrigen Knien auf. Mit etwas Wasser spüle ich mir den Mund aus und betrachte mich anschließend im Spiegel. Kritisch mustern meine Augen meinen Körper. Ich bin immer noch nicht dünn genug. Ich muss weiter abnehmen. Angespannt stelle ich mich auf die Waage, die zweiundvierzig Komma sechs anzeigt. "Ja", entfährt es mir freudig. Gestern hatte ich noch zweiundvierzig Komma neun. Ich hab die Kontrolle.

Später am Abend mache ich gerade etwas Sport in meinem Zimmer als meine Mutter mich von unten ruft. Völlig außer Puste gehe ich die Treppe nach unten. Kurz scheint sich alles zu drehen und ich verharre einige Minuten auf der Treppe, bis ich meinen Weg fortsetze. "Was gibt's?", murmle ich und setze mich zu meiner Mutter an den Tisch. "Lia, ich mache mir wirklich Sorgen um dich". "Sorgen?", verwirrt sehe ich sie an. "Du bist viel zu dünn", setzt sie an. Stolz macht sich in mir breit. Endlich bemerkt jemand meine Bemühungen. "Krankhaft dünn. Ich möchte, dass du in eine Selbsthilfegruppe gehst". Sie ist den Tränen nahe. "Selbsthilfegruppe?", keife ich laut. "Ich bin nicht krank!". "Lia du lässt mir keine Wahl. Entweder du gehst dahin oder ich weise dich in eine Klinik ein. Verdammt ich fühle mich so hilflos". Sie bricht in Tränen aus. "Dann geh ich halt da hin", rufe ich laut und laufe hoch in mein Zimmer.

Eine Woche später ist es soweit. Die Selbsthilfegruppe. Ich geh nur da hin, weil ich nicht in eine Klinik will. Ich bin nicht krank. Ich habe alles unter Kontrolle.

Schatten der GesellschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt