Kapitel 1

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Dunkelheit waberte um mich herum. Sehen konnte ich nichts, jedoch hörte ich leises Atmen und gelegentliches Wimmern um mich herum. Wo auch immer ich hier war, ich war nicht allein.

Ich versuchte, mich auf meinen Geruchssinn zu konzentrieren, der mich noch nie im Stich gelassen hatte. Langsam öffnete ich meinen Mund einen Spalt breit und sog die Luft tief ein. Verschiedene Gerüche drangen auf mich ein, doch ich filterte jene, die mir als unwichtig erschienen, raus und konzentrierte mich nur auf die interessanten Gerüche. Wie zum Beispiel das Blut. Der Geruch nach frischem, aber auch nach altem und schon längst geronnenen Blut, lag überall um mich her in der Luft. Der Geruch erregte etwas in mir, ließ meinen Jagdinstinkt erwachen. Mit einem leisen Knurren ignorierte ich den Drang, zu Jagen. Vorerst. Erst da fiel mir auf, dass ich auf vier Pfoten lief, statt auf zwei Füßen. Ich schüttelte mich, als würde es helfen, all meine Gedanken abzuschütteln und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Auch andere Gerüche konnte ich erkennen. Ein Geruch nach Wald und Erde, übertönt von abgestandener Luft, Erbrochenem und Fäkalien. Wieder schüttelte ich mich, diesmal aus Ekel. Doch da war noch etwas anderes. Ein bekannter Geruch. Einen, den ich jeden Tag roch. Werwolf. Wieder atmete ich tief ein, konnte aber nicht beurteilen, ob ich diesen Wolf kannte, oder nicht. Der Gestank verwirrte meine Nase. Verdammter Mist aber auch!

Ein Knarren richtete meine Aufmerksamkeit auf etwas hinter mir. Knurrend fuhr ich herum, um die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen. Ein schmaler Lichtstreifen, der sich zunehmend vergrößerte, war zusehen. Das Licht bahnte sich seinen Weg durch den Raum und traf auf Eisengitter, die sich im ganzen Raum befanden. Die Gitter bildeten mehrere Käfige, die im ganzen Raum angeordnet waren. Auf die schnelle konnte ich zwölf Käfige zählen, die etwa zwei mal zwei Meter groß und an den Wänden angeordnet waren, sechs Käfige auf jeder Seite. In der Mitte war ein schmaler Durchgang, in dem ich stand. In den Käfigen selbst befanden sich merkwürdige Gestalten. Zuerst vermutete ich irgendwelche Tiere, doch mit einem Schaudern wurde mir bewusst, dass es Menschen waren. Elf Menschen waren auf die Käfige verteilt, nur ein Käfig war leer.

Nun betraten weitere Menschen den Raum. Ich versuchte, sie zu erkennen, jedoch blickte ich gegen das Licht, das mich blendete, wodurch ich nur ihre Silhouetten erkennen konnte. Insgesamt zählte ich drei Silhouetten. Zwei von ihnen waren kräftig gebaut, waren fast so breit wie hoch, doch ich war mir ziemlich sicher, dass es nur Muskeln waren. Die dritte Gestalt, die zwischen den beiden anderen lief, war schmaler. Ich konnte weiblich Rundungen erkennen. Sie war ziemlich klein, wobei zwischen den Gorillas rechts und links an ihrer Seite wahrscheinlich jeder klein wirkte.

Die drei waren Menschen, wie mir mein Geruchssinn mitteilte. Jedoch konnte ich keine individuellen Gerüche an ihnen feststellen, und das war ungewöhnlich. Normalerweise hatte jeder Mensch einen eigenen Geruch. Auch bei allen anderen in dem Raum konnte ich keinen eigenen Geruch herausfinden. 

Die drei Menschen hatten sich nun von der Tür weg bewegt und natürlich kamen sie direkt auf mich zu. Bisher hatten sie mich wohl noch nicht entdeckt, doch jetzt schien mich einer der Gorillas zu bemerken und kam direkt auf mich zu. Ich duckte mich, halb winselnd, halb knurrend. Mein Gegenüber ließ sich davon nicht einschüchtern. Er hob den Arm und streckte ihn in meine Richtung. Etwas silbernes blitzte kurz auf, als es das Licht streifte. Ein Knall ertönte, einstechender Schmerz loderte in meiner Schulter auf, dann wurde alles um mich her still.

Schwitzend und zitternd schreckte ich aus dem Schlaf. Bebend sog ich die Luft ein und schmeckte die besondere Kombination von Gerüchen, die es nur bei mir zu Hause gab. Die frisch gemähte Wiese, die sich hinter dem Haus erstreckte, der feuchte Wald, der an die Ränder der Wiese grenzte, der beißende Geruch des Asphalts vor dem Haus, sogar den Geruch nach Fett, der seit dem Abendessen im Haus hing, konnte ich riechen.

Silver TearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt