Silver Tears

Kapitel 5

Grummelnd saß ich am Tisch, in meinen Händen ein Stück Pizza, von dem der Käse auf meinen Teller tropfte. Seit dem Gespräch mit Aiden hatte ich schlechte Laune. Nicht nur, dass er mir befohlen hatte, zu diesem blöden Kurs zu gehen, er war meinem Geheimnis zu nahe gekommen. Wie lange würde ich es noch verbergen können? Wie lange konnte ich noch vor meiner Vergangenheit davon laufen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich es so lange wie möglich heraus zögern musste.

Schon seit einigen Minuten spürte ich einen prüfenden Blick auf mir liegen, weigerte mich aber aufzusehen. Ich hatte sowieso eine Ahnung, wer mich da beobachtete. Als ich vorhin aus dem Wohnzimmer geflohen war, wäre ich beinahe in Jesper gerannt, der im Flur an der Wand gelehnt hatte, den Kopf nachdenklich zur Seite gelegt. 

Erst als ich auch die letzten Käsereste von meinen Fingern geleckt hatte, hob ich meinen Blick. Ich sah auf den Pizzakarton. Der Pizzakarton, der vor etwa sechs Minuten angekommen war und eine Maximum Size Party Pizza enthalten hatte. Der Pizzakarton, der jetzt vollkommen leer war. Grummelnd zog ich die Augenbrauen zusammen. Diese verfressenen Monster!

Als Haily, die neben mir saß meinen Blick bemerkte, brach sie in schallendes Lachen aus. ,,Du bist doch jetzt lange genug ein Werwolf, um zu wissen, dass du beim Essen schnell sein musst, wenn du noch einen Nachschlag haben willst, Freya." Ich warf ihr einen finsteren Seitenblick zu. Schön, dass sie sich amüsieren konnte. Dann fiel mein Blick auf das Pizzastück, dass sie noch in ihrer Hand hielt.

Ohne wirklich darüber nachzudenken, ließ ich meine Hand nach vorne schnellen, schnappte mir das Pizzastück aus ihrer Hand und schob es mir schnell in den Mund. Ungläubig starrte Haily ihre leere Hand an, dann wanderten ihre Augen zu mir. ,,Hast du gerade...?", fragte sie stammelnd. Ich kaute gemütlich, schluckte und grinste sie dann an. ,,Du bist doch jetzt lange genug ein Werwolf, um zu wissen, dass du dein Essen besser verteidigen solltest!", wiederholte ich ihre Worte. 

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Haily mir im nächsten Augenblick an die Kehle springen, dann jedoch entspannte sie ihre Muskeln und lachte. ,,Schätze, das hab ich verdient!" Lachend nickte ich. 

,,Trotzdem zahl ich dir das heim!", bekundete Haily mit einem hinterlistigen Grinsen im Gesicht. ,,Und wie genau willst du das anstellen?", fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

,,Du und ich. MarioKart. Jetzt.", sagte sie vollkommen ernsthaft. Im nächsten Moment war sie auch schon aufgestanden und bewegte sich in Richtung Tür. Lächend folgte ich ihr, die schlechte Laune war fürs erste vergessen. Auch Jespers Blick, der mich bis zur Tür verfolgte, konnte daran nichts ändern.

Es war spät, als Haily den Bildschirm ausschaltete. Wir hatten zwei volle Stunden gespielt und uns in dieser Zeit ungefähr 100 Mal die Freundschaft gekündigt. Ausdrücke waren gefallen, die keine von uns zurücknehmen würde. Aber am Ende hatten wir uns jedoch wieder vertragen.

Noch immer lachend verabschiedete sich Haily und ging mit ihren Mitbewohnern Caleb und Felix nach Hause. Nun waren nur noch Aiden, Jesper, Imogen, Ryan, Dylan, Pablo, Levi und ich da.

Seufzend gesellte ich mich wieder zu den anderen, die in der Küche angefangen hatte, Monopoly zu spielen. Nur Pablo und Levi fehlten. Wahrscheinlich waren sie irgendwo mit etwas anderem beschäftigt.

,,Imogen, es ist spät, wir sollten auch langsam gehen.", meinte ich, während ich an der Tür lehnte. ,,10 Minuten", kam als Antwort. Imogen war voll und ganz auf das Spiel konzentriert. 

Augen rollend sah ich ihnen ein paar Minuten zu, beschloss dann aber, draußen zu warten und verließ das Haus. 

Die kühle Nachtluft umschloss mich und legte sich angenehm auf meine Haut. Ich atmete tief durch, hob den Kopf und sah zu den Sternen. Gedankenverloren stand ich da und starrte nach oben. Genauso wie damals. So wie in der Nacht, in der sich alles verändert hatte. Die Nacht, in der meine Mutter gestorben war und ich meine Familie verloren hatte.