Kapitel 3

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Im Wohnzimmer war es absolut ruhig, nur das leise Atmen von sechs Personen war zu hören. Jeder hing seinen eigenen Gedanken hinterher. Ich blickte der Reihe nach jeden von ihnen an. Als ich bei Aiden ankam, stockte mir kurz der Atem. Seine Augen leuchteten in einem hellen Gold.

Ich erhob mich vom Sofa und ging zu ihm hinüber. Mit der einen Hand hielt ich die weiche Wolldecke um meinen Körper geschlungen, mit der anderen strich ich sanft an Aidens Arm auf und ab. Es dauerte fast fünf Minuten, bis ich merkte, wie sich die Muskeln in Aidens Arm entkrampften. Als ich aufsah, sah ich statt den goldenen Augen nur noch die normalen grauen Augen. Aidens Blick war nachdenklich auf mich gerichtet.

Nervös schluckte ich, nahm meine Finger von seinem Arm und trat einen Schritt zurück. Normalerweise kam ich dominanteren Wölfen nie so nah.

„Dieser Vorfall darf nicht ungerächt bleiben!", erklang plötzlich ein leises Knurren neben mir. Ich drehte den Kopf. Auriana hatte sich neben mich gestellt und starrte Aiden an, jedoch darauf bedacht, ihm nicht in die Augen zu sehen. Einem dominanten Wolf in die Augen zusehen, kam immer einer Herausforderung gleich.

Langsam bewegte Aiden den Kopf auf und ab. Er richtete seinen Blick auf Jesper. „Was meinst du?", fragte er ihn.

Jesper blickte auf, seine Augen blitzen kalt. „Du weißt was ich denke.Wir hätten es niemals soweit kommen lassen dürfen. Gestern haben sie nur auf unserem Territorium gejagt, heute haben sie zwei von uns angegriffen. Unprovoziert. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie uns auch getötet hätten, wenn wir sie gelassen hätten."

Ein Schauder ließ mir über den Rücken. Ich wusste, das Jesper recht hatte, doch seine Worte hatten einen herausfordernden Unterton.Offenbar hatte er es selber gemerkt, denn er legte den Kopf leicht zur Seite und offenbarte seine Kehle. Aiden nickte kurz, er nahm es ihm nicht übel. Es gab Alphas, die hätten dies als Herausforderung gesehen und Jesper angegriffen. Zum Glück war Aidens Macht in unserem Rudel gefestigt. Niemand würde auf die Idee kommen, ihn als Alpha anzuzweifeln.

„Ich bin dafür, dass wir das morgen mit dem gesamten Rudel besprechen. Bis dahin sollte niemand allein rumlaufen. Außerdem sollte wir uns vom Wald fernhalten.", warf Auriana ein.

„Das wird nicht funktionieren.", erwiderte Jesper mit finsterem Blick.„Morgen ist ein normaler Arbeitstag, da ist im Prinzip jederallein."

Nun richtete sich Aiden zu seiner vollen Größe auf. „Jeder wird normal zur Arbeit gehen. Ich will, dass sich jedes Rudelmitglied einmal pro Stunde bei mir meldet und mir bestätigt, dass es ihm gut geht. Morgen Abend werde ich mich mit Robb treffen. Auriana und Jesper, ihr werdet mich begleiten."

Damit war die Entscheidung getroffen. Fügsam senkten wir alle vor unserem Alpha die Köpfe.

„Lasst es auch die anderen im Rudel wissen.", befahl Aiden, dann drehte er sich um und ging. Auriana folgte ihm, ebenso Liam. Ich hörte, dass sie sich noch Klamotten holten. Imogen und ich bewahrten diese in einer Truhe im Flur auf. Dann öffnete sich unsere Wohnungstür und schloss sich wieder mit einem leisen Klonk.

Nun waren nur noch Imogen, Jesper und ich übrig. Imogen stand neben der Tür, Jesper lehnte an der Wand neben dem Fenster, gegenüber der Tür und ich stand mitten im Raum, wie bestellt und nicht abgeholt. Erst als wir unten auch die Haustür ins Schloss fallen hörten, regten wir uns. Imogen warf die Haare in den Nacken, warf mir einen bösen Blick zu – wofür auch immer – und rauschte aus dem Zimmer.

Also nur noch Jesper und ich. Ich schluckte nervös. Ich war allein in einem Raum mit dem dritten in unserem Rudel. Dominante Wölfe machten mich nervös. Ein dominanter Wolf verliert viel leichter die Beherrschung als ein unterwürfiger Wolf und ist sehr leicht reizbar. Das hatte ich schon früh gelernt. Um auf mein Beispiel mit Aurianas Klamotten zurück zu kommen: Sie hatte mich danach volle 24 Stunden durch den Wald gejagt. Dabei hatte sie mir keine fünf Minuten Pause gegönnt.

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