5. Kapitel - Veränderung

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Drei Wochen, sieben, zehn. Viktors Geburtstag ging vorbei, der Jahreswechsel, Januar, Februar. Yuuris Zustand blieb gleich. Auch die Besuche wurden weniger, nur noch selten kam jemand vorbei, um sich nach Yuuri zu erkunden.
Nur Viktor ging seiner stumpfen Routine nach, die hauptsächlich aus Besuchen bei Yuuri bestand.
Doch langsam machte sich auch in ihm Hoffnungslosigkeit breit.
Wie lange konnte er noch so weiter machen?
Der Russe wusste, dass es ihn kaputt machte, Yuuri so zu sehen, man konnte es gar nicht übersehen. Und doch zwang er sich, jeden Tag wieder aufzustehen und ins Krankenhaus zu fahren.

"Yuuri.. Langsam werde ich wirklich wütend. Ist eine kleine Reaktion denn zu viel verlangt?", redete er vor sich hin. Natürlich bekam er keine Antwort, wie auch.
Einmal hatten Yurio und er Mokker mit ins Zimmer geschmuggelt, weil Viktor der Meinung war, dass Yuuri bestimmt auf eine feuchte Hundeschnauze reagieren würde. Leider erfolglos und schlussendlich ist Mokker auf den Flur gerannt, wo Yurio ihn gerade noch einfangen und unter seiner Jacke verstecken könnte, bevor eine Krankenschwester ihn sah.
"Weißt du, mittlerweile kann ich Yurios Essen nicht mehr sehen.. So übel macht er sich gar nicht, aber an dein Essen kommt er einfach nicht ran. Gestern hat er viel zu viel Pfeffer reingetan, nur um mich zu ärgern, wirklich", erzählte er Yuuri, um die Stille im Zimmer mit irgendwas zu füllen. Gedanken verloren strich er mit seinem Daumen über Yuuris Hand.
Hatte er sich gerade das eingebildet? Erschrocken sah der Russe auf. Die schmale Hand, die in seiner eigenen lag, zuckte kurz, drückte die von Viktor. Nur leicht, fast nicht zu spüren, aber es war da gewesen. "Yuuri? Yuuri, kannst du mich hören?"
Für einen Moment war Viktor überfordert. Was sollte er tun? Wie hypnotisiert starrte er auf Yuuri. Nur langsam realisierte er, dass sich nicht nur seine Hand bewegt hatte.
Der Körper des Schwarzhaarigen fing an sich zu bewegen. Erst war es nur ein leichtes zucken, doch es wurde schnell stärker.
Panik stieg in Viktor hoch. Blindlings hetzte er zur Tür und riss sie auf.
"Hilfe! Helft mir.. Yuuri.. Ich mein es geht ihm nicht gut!" Seine Stimme klang harsch, er duldete keinen Widerspruch. Aber das hatte er auch nicht zu befürchten. Von der anderen Seite des Fluges kam ihm eine Krankenschwester und ein Arzt entgegengeeilt. "Was ist passiert?", fragte ihn der dunkelblonde Arzt, während er sich an Viktor vorbei ins Zimmer drängte.
"Ich..ich weiß es nicht. Doktor, helfen sie ihm!"
Doch dieser schien ihn schon gar nicht mehr gehört zu haben. Er gab der Schwester kurz ein Zeichen und beugte sich dann über Yuuri, dessen Anfall in den paar Sekunden um einiges schon geworden war.
"Kommen Sie bitte. Sie können momentan nichts machen." Die junge Frau trat in sein Blickfeld und schob den älteren Russen bestimmt aus dem Zimmer, während weitere Ärzte und Helfer an ihnen vorbei liefen.
"Wir sagen Ihnen Bescheid, wenn er wieder stabil ist."
Als Viktor auf schaute, war sie schon verschwunden.
Kraftlos ließ er sich auf einen der harten Plastikstühle sinken, die hier Flur standen. Was hatte das zu bedeuten? Wochenlang kam nichts und jetzt auf einmal?
Er vergrub sein Gesicht in den Händen; die Hände, die eben noch Yuuris gehalten haben.
Bin ich dazu verdammt, dich hier zu verlieren? schoss es ihm durch den Kopf.
Er war sich komplett ausgeliefert. Die Stunden vergingen, Stunden, in denen er seinen Gedanken nachhing, die alle in einem Punkt zusammen liefen. Er würde Yuuri hiernach nie wieder sehen.
"Herr Nikiforov?"
Träge hob Viktor den Kopf als er angesprochen wurde. Vor ihm stand der dunkelblonde Arzt, der vorhin als erstes zu Yuuri gelaufen ist.
"Wir haben es geschafft, Herrn Katsuki wieder zu stabilisieren. Wir mussten eine Notoperation durchführen, aber es gab glücklicherweise trotz seines Zustandes keine Komplikationen."
Im ersten Moment war ihm die Bedeutung der Worte nicht wirklich bewusst. Nur langsam dämmerte es dem Silberhaarigen. Yuuri lebte. Er würde ihn noch nicht verlieren.
"Herr Nikiforov? Geht es Ihnen gut?"
Erst jetzt viel ihm auf, dass der Arzt noch vor ihm stand.
"..Ja. Wie geht es ihm jetzt?"
Der Arzt nickte und fuhr dann fort: "Wir haben ihn auf die Intensivstation gebracht, um ihn weiterhin beobachten zu können. Die nächsten vierundzwanzig Stunden kann noch eine Menge passieren, aber momentan ist er stabil. Sie können zu ihm, wenn sie möchten."
Jetzt war es wieder Viktor, der nickte. Langsam erhob er sich, seine Beine waren eingeschlafen und sein Rücken tat weh, doch die Sorge, die immer noch über ihm hing, ließ ihn gar nicht darauf achten. Der Arzt führte ihn zwei Etagen höher, in einen Bereich, den man nur als engsten Angehöriger oder Angestellter betreten durfte. Durch große Glasscheiben konnte man auf die Betten und Maschinen sehen. Es waren kaum Patienten hier und nur wenig Krankenhauspersonal lief geschäftig durch die Flure. Vor einem dieser Räume verabschiedete der Arzt sich und ließ Viktor allein in der erdrückenden Umgebung zurück.
Er brauchte einen Moment, bis er die Kraft fand seinen Blick durch die klare Scheibe zu richten.
Yuri lag, an unzählige Schläuche und Geräte angeschlossen in einem ähnlichen Bett wie zuvor. Sein Kopf war zur Seite gerutscht, sodass ihm seine Haare leicht ins Gesicht gefallen waren. Jedenfalls die wenigen Strähnen, die unter dem hellweißem Verband hervorschauten.
Ein schmerzvoller Ausdruck huschte über Viktors Gesicht.
Langsam öffnete er die Tür. Es kostete ihn fast seine letzte verbleibende Kraft einen Schritt vor den anderen zu setzen. Er setzte an etwas zu sagen, doch seine Stimme versagte ihm und so schloß er seinen Mund wieder. Er hatte eh nicht gewusst, was er sagen wollte.
Neben dem Bett blieb er stehen. Das einzige Geräusch war das stetige Piepen irgendwelcher Maschinen und Yuris leise Atemzüge.
Sanft, als könnte er ihn zerbrechen, strichen Viktors Finger, über Yuuris Wange.
Das alles hier.. diese ganze Situation.. es wurde langsam zu viel für den sonst so zähen Russen.
Yuuri war seine zweite Hälfte und ihn hier so schwach zu sehen, war als ob all seine Bemühungen ihn stark zu machen, umsonst gewesen waren.. Und ausgerechnet jetzt konnte er nichts machen um das zu ändern..
Noch bevor er wirklich drüber nachgedacht hatte, war er aus dem Krankenhaus gelaufen und hatte sich in sein Auto gesetzt.
Es grenzte fast an ein Wunder, dass er unbeschadet zu Hause ankam.
Yurio war nicht da, aber daran verlor der Ältesten auch keinen Gedanken.
Er wollte einfach nur raus.
Er hatte sich immer eine Veränderung gewünscht, aber das..
Fast schon Mechanisch nahm er eine Flasche Alkohol aus dem Schrank. Was genau er da trank war egal, Hauptsache das scharfe Brennen in seiner Kehle betäubte alles andere.
Schwer ließ er sich auf das große Sofa sinken und setzte erneut die Flasche an die Lippen.

Als Yurio am Abend die Wohnung betrat, in der er jetzt seit fast zwei Monaten lebte, hatte er gleich das Gefühl, dass es etwas falsch war. "Oi, Viktor! Bist du schon da?" Eigentlich kam sein Mitbewohner erst lange nach ihm, nach Hause. War was mit dem Schweinchen geschehen?
Als er in das halb offene Wohnzimmer trat, hörte er bereits das leise Schnarchen von der Couch. Auf dem Tisch standen zwei leere Flaschen, auch wenn eine umgekippt und ziemlich viel Inhalt verschüttet war. Viktor selbst hielt eine weitere fast volle noch in seiner Hand.
"Ts, was hat er jetzt schon wieder angestellt?" Den Kopf schüttelnd räumte er die Flaschen beiseite. Viktor in sein Bett zu bringen würde wohl kaum möglich sein, aber das hatte sich in den letzten Wochen eh meistens Yurio unter den Nagel gerissen.
Obwohl Viktor einen friedlichen Gesichtsausdruck hatte, konnte der 18-Jährige erkennen, wie er sich quälte. Viktors Wangen waren ein wenig eingefallen und allgemein sah sein Gesicht mager aus. Seine Züge waren leicht angespannt, selbst im Schlaf, und Yurio hätte schwören können, dass er ein paar Falten erkennen konnte. Aber er würde Viktor erst morgen fragen, was für seinen Zustand gesorgt hatte, so taktvoll war er dann doch. Mit einem letzten Seufzen warf er eine Decke halb über den Silberhaarigen und ließ ihn dann in Ruhe. Solange Viktor betrunken war, bekam er eh nichts aus ihm raus.
"Wehe du hattest nicht einen wirklich guten Grund dazu, alter Mann", murmelte er und verschwand ins Schlafzimmer. Das Training und zusätzlich dieses unselbständige Kleinkind hier, zerrten mehr an seinen Kräften, als er gedacht hätte.
Er schaffte es nur kurz noch mit Otabek zu schreiben, was ihm immerhin ein kleines Lächeln aufs Gesicht zauberte, bevor ihm selbst die Augen zu fielen.

мое сокровище - YoI FF/ViktuuriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt