6. Kapitel - Erkenntnis

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Am nächsten Tag brauchte Viktor lange um sich aufzuraffen. Sein Kopf schmerzte und als er versuchte sich vorsichtig aufzusetzen, hätte es ihn beinahe ins Badezimmer getrieben. Langsam sickerten auch die Ereignisse von gestern durch das unangenehme Pochen in seinem Schädel.
Es war auch nicht sonderlich hilfreich, dass Yurio in unter dem Gebell von Mokker, unsanft vom Sofa schubste um sich selbst mit einer Schale Cornflakes draufzusetzen. Aber ausnahmsweise sagte Viktor nichts dazu.
Schließlich kam er aber nicht drum herum, Yurio zu erzählen was gestern vorgefallen war. Der Jüngere hatte ihn nach dem Essen in die Mangel genommen und es erst sein gelassen, als er wirklich keinen Ton mehr aus Viktor rausbekam. Einer Strafpredigt, dass er sich so gehen ließ, entging er allerdings da Yurio wieder weg musste. "Glück gehabt, alter Mann", rief dieser noch, ehe er die Haustür hinter sich schloß und zu seinem wartenden Opa nach unten lief.
Ein humorloses Lachen entwich Viktors Kehle, während er sich wieder auf dem Sofa verkroch. Glück war bestimmt das letzte was er hatte.
Makker sprang mit Freuden zu seinem Herrchen unter die Decke und selbst Yurios eigenwillige Katze ließ sich dazu herab sie am Fußende zusammen zu rollen.

Erst am späten Nachmittag fand Viktor die Überwindung wieder ins Krankenhaus zu gehen. Es war zwar schmerzvoller, aber auf der anderen Seite war es die einzige Möglichkeit seinem geliebten Partner jedenfalls ein wenig nah zu sein.
Yuuri lag noch auf der Intensivstation und der Arzt erklärte, dass sich das vermutlich auch ersteinmal nicht ändern würde.
Vor der Glasscheibe blieb Viktor stehen. Er sah wie sich der schmale Körper unter der Decke abzeichnete und die schwarzen Haare ein wenig verwuschelter als gestern aussahen. Aber vielleicht bildete er sich letzteres auch ein.
Eine ganze Zeit lang betrachtete er Yuuri durch die Scheibe. Erst als eine Schwester ihn daran erinnerte, dass die Besuchszeit gleich vorbei war, löste der Russe sich von dem Anblick. Er hatte nicht reingehen wollen, vielleicht konnte er es auch einfach nicht.
Schweren Herzens verließ er das triste Gebäude wieder.
Yurio war nicht allein, als Viktor wieder in die Wohnung kam. Schon im Flur hatte er ihn lautstark mit einer Frau streiten hören und als er in die Küche kam, sah er auch Milas rotem Haarschopf hinter der Theke hervorschauen. "Mensch, Yuri, ihr müsst hier doch irgendwo ein Sieb haben!", nörgelte sie gerade.
"Ich.weiß.es.nicht! Hast du's noch nicht kapiert?!"
Yurio saß lässig auf dem Sofa und blickte so genervt zu seiner Teamkollegen, dass der silberhaarige Russe Angst hatte Mila könnte tatsächlich gleich umfallen.
Doch stattdessen tauchte sie jetzt wieder auf und endlich bemerkte sie den Neuankömmling. "Viktor! Dich gibt's ja auch noch! Hätte ich gar nicht mehr gedacht, so selten wie man dich zu Gesicht bekommt." Den letzten Teil betonte sie besonders, indem sich ihre Augen gefährlich verengten.
Der Angesprochene zuckte als Antwort nur mit den Schultern.
"Naja, jetzt kannst du dich auf jedenfall nicht vor meiner Gesellschaft drücken!" Sie grinste breit, während Yuri ihnen zurief: "Glaub mir, die Hexe wird man echt nicht los!"
Auch wenn der Abend Viktor kaum auf andere Gedanken brachte, war es trotzdem auf eine besondere Art und Weise schön.
Mila hatte versucht Nudeln zu kochen und dabei fast die Küche in Brand gesetzt, bis Yurio sie schließlich rausgeschmissen hat und gerettet hat, was ging.
Für ein paar Stunden wirkte das Leben in der sonst so grauen Wohnung wieder fröhlich, jedenfalls solange man keinen genaueren Blick riskierte.
Mila war bis zum späten Abend geblieben und selbst danach war die Stimmung mit Yurio noch einigermaßen harmonisch. Viktor hatte den leisen Verdacht, dass der Jüngere ihn hatte aufmuntern wollen, damit er nicht wieder zum Alkohol griff, aber selbst wenn es so war, ließ Yurio sich das nicht anmerken.

Natürlich war nicht jeder Abend so, aber während der nächsten Woche, schien es Viktor immer mehr eine Erleichterung zu sein, wieder nach Hause zu kommen. Seine langen Besuche im Krankenhaus gehörten seit dem Vorfall der Vergangenheit an und meistens beobachtete er Yuuri einfach nur durch die Scheibe zu seinem Zimmer, wenn er da war.
Aber auch wenn es scheinbar für den Russen wieder bergauf ging, wuchs die Leere in seinem Inneren immer weiter. Das er nicht zu Yuuri in Zimmer ging, lag einfach daran, dass er sich nicht überwinden konnte und in der Nacht lag er lange wach. Sein Kopf zerplatze ihm fast, auch wenn er keinen klaren Gedanken zu fassen bekam.
Langsam ließ Viktor seine Stirn gegen die kalte Scheibe sinken. Er wollte in Ruhe nachdenken, aber hier konnte er das sicher nicht. Er warf einen letzten Blick auf das blasse Gesicht, dann drehte er sich um und lief wieder durch die engen Flure bis er vor dem Krankenhaus stand. Normalerweise wäre er jetzt in sein Auto gestiegen, aber heute trugen ihn seine Beine in die andere Richtung. Einige Minuten lief Viktor einfach nur die Straße entlang. Mit Yuuri war er nur selten in dieser Gegend gewesen, höchstens um mal im nahegelegenen Park spazieren zu gehen.
Genau dorthin zog es ihn jetzt.
Es war erst früher Mittag mitten unter der Woche, wodurch er den Park fast für sich alleine hatte. Nur eine junge Frau mit zwei kleineren Kindern spielte auf der Wiese.
Davon abseits unter einigen Bäumen, ließ Viktor sich auf einer Bank nieder. Für Mitte März war es erstaunlich warm, auch wenn der Wind das silberne Haar ein wenig durcheinander brachte.
Vielleicht kam er hier ja auf andere Gedanken. Oder zumindest auf etwas deutlicheres als das Chaos, das momentan seinen Kopf beherrscht.
Wie lange konnte er überhaupt noch so weiter machen?
Er hatte es schon in seiner Vergangenheit nicht sonderlich leicht gehabt, aber als er dann dieses Video damals gesehen hatte.. Dieser japanische Junge hatte ihm eine ganz neue Welt gezeigt und nur zu gern hatte der Russe diese Chance genutzt um seiner eigenen zu entfliehen. Er wusste nicht mehr, wie genau es so kam, aber Yuuri hatte es in wenigen Wochen geschafft ihm ein gemeinsames Leben zu geben, dass Viktor mehr als alles geschätzt hatte. Er war endlich nicht mehr allein gewesen. Nicht nur im physischen Sinne, nein, Yuuri war sein Partner geworden, sein Geliebter und schlussendlich Ehemann. Er war Viktors zweite Hälfte und das Band das sie verband.. Der Russe hatte nicht gewusst, dass er überhaupt fähig war so stark zu fühlen.
Und jetzt ließ Yuuri ihn alleine.. Nicht absichtlich, er wollte seinem Partner keine Vorwürfe machen, aber gerecht war es nicht, dass ihm sein Glück genommen wird, gerade als er angefangen hatte es mit ganzem Herzen zu genießen.
Gerechtigkeit.. Liebe.. Diese Wörter spukten ihm durch den Kopf. War Liebe denn überhaupt gerecht? Oder war das seine Strafe ein Nachzug seiner egoistischen Vergangenheit?
Aber ist es nicht auch eigensinnig von mir, dich zu bitten bei mir zu bleiben?
Stumm richtete er die Worte an Yuuri. Das hatte er schon öfter überlegt. Vielleicht wusste Yuuri ja, was Viktor hier gerade durchmachte und versuchte sich nur deswegen so fest ans Leben zu klammern, wie Viktor sich an ihn klammert. Wo er auch ist, es ist bestimmt anstrengend für ihn..
Eine der ersten Sachen, die Viktor damals über den Japaner gelernt hatte, war, dass dieser eine Kämpfernatur ist. Vorallem wenn er jemandem etwas beweisen wollte.
Die Worte von dem Arzt kamen ihm wieder in den Sinn. Yuuri würde bleibende Schäden davon tragen. Egal wie er kämpft, er würde nie wieder mit seinem Idol auf dem Eis laufen können. Wäre das nicht die reinste Qual für Yuuri?
Seine Gedanken brachten Viktor zu einem Entschluss. Er hätte nicht gedacht, dass er Mal so denken würde, aber mit einmal wünschte er sich, Yuuri würde nicht mehr kämpfen. Dass er einmal an sich dachte.
Auch wenn Viktor Yuuri wieder in die Arme schließen wollte, diese braunen Augen, die ihn immer in den Bann zogen, wiedersehen wollte, hatte er das Gefühl, dass er Yuuri nicht noch mehr zumuten konnte. Oder sich selbst.
"Yuuri?" Er dachte die Worte nur. Sie waren für seinen Liebsten bestimmt und für niemanden sonst. Aber die Hoffnung, dass sie ihn erreichten, war Viktors einzige Möglichkeit.
"Yuuri, ich bin so stolz auf dich. Du kämpfst so tapfer, genau wie auf dem Eis. Es ist sicher anstrengend. Aber..ich war egoistisch, von dir zu verlangen bei mir zu bleiben. Ich halte dich auf, wohin du jetzt auch gehen willst. Es ist okey, wenn du loslässt."
Er machte eine kurze Pause, schaute Gedanken verloren einem Blatt nach, dass der Wind durch die Luft wirbelte und seine Worte vielleicht auch zu seinem Partner trug.
"Ich werde weiter machen, das verspreche ich dir. Für dich mache ich weiter bis in alle Ewigkeit."

мое сокровище - YoI FF/ViktuuriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt