4. Kapitel - Warten

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Sanft hielt er die leblose Hand in seiner. Sein Kopf war gesenkt. Ausdruckslos blickte Viktor auf die weiße Bettdecke, die einen schmalen Körper bedeckte. Die schwarzen Haare bildeten einen starken Kontrast zu dem hellen Bezug, während sein Gesicht so blass war, dass es fast durchsichtig schien. Doch diesen Anblick mied Viktor meistens. Die vielen Schläuche, das krankaussehende Gesicht und der breite weiße Verband, erinnerten ihn überdeutlich an den Unfall.
Die Bilder, wie sein Mann reglos auf dem Eis lag, ein Bein merkwürdig verdreht, während sich um seinen Kopf langsam eine Blutlache bildete.. Sie verfolgten ihn im Traum und blitzen auch so immer wieder vor seinen Augen auf. Er hatte sich nicht regen können. Er hatte nichts tun können.
Erst als die Sanitäter den verletzten Eisläufer wegtragen wollten, war wieder etwas Leben in Viktor gekommen. Auch da hatte er nach der Hand des Schwarzhaarigen gegriffen, genau wie jetzt, war neben der Trage hergelaufen bis zum Krankenwagen. Er hatte nicht mitreingedurft, doch er machte auch keine Anstalten dazu. Reglos war er stehen geblieben. Erst als die blinkenden Lichter verschwunden waren, hatte er sich von Yakov wegführen lassen.

"Zehn Tage.. Wie lange willst du mich noch warten lassen?", murmelte er mit brüchiger Stimme. Er ertrug die Bilder nicht länger.
Wieder versuchte Viktor sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Auf die vielen Blumen rund um das Bett, viele von anderen Läufern, die Yuuri gute Besserung wünschten. Sie waren neben der blassgelben Tapete der einzige Farbklecks in dem ansonsten steril wirkenden Zimmer.
Doch in diesem Moment wirkten sogar die leuchtenden Blüten traurig und farblos.
Es klopfte und Viktor war fast schon dankbar für ein bisschen Ablenkung, bis er erkannte, dass der behandelnde Arzt ins Zimmer getreten war. "Herr Nikiforov? Guten Tag", begrüßte er Viktor freundlich.
Dieser nickte nur kurz und murmelte ein leises "Hallo", bevor er sich wieder zu Yuuri drehte.
Der Arzt, ein junger Mann mit hellbraunen Haaren und dunklen Augen, trat näher an das Bett und begann ein paar übliche Untersuchungen zum Zustand seines Patienten zu machen. Er hatte sich daran gewöhnt, dass der silberhaarige Mann, der fast immer neben dem Bett saß, selten mit ihm sprach.
Nach einigen Minuten richtete er sich wieder auf und notierte etwas auf einem Block, den er bei sich trug.
"Nun, die Wunde an seinem rechten Knie verheilt zwar, aber den Ergebnissen von gestern nach zu Urteil habe ich trotzdem keine guten Nachrichten für Sie. Der Nerv scheint irreparabel beschädigt worden zu sein. Natürlich können wir nichts genaues sagen, solange er im Koma liegt, doch ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen." Er machte eine kurze Pause, um zu sehen wie Viktor auf seine Worte reagierte, doch dieser nickte nur knapp und zeigte sonst keine Reaktion auf die Nachricht.
"Nun", fuhr der junge Doktor fort. "Wir hoffen einfach, dass sich sein Zustand bald ändert. Es liegt ganz bei ihm, wann er wieder aufwacht. Bis dahin müssen wir uns noch gedulden." Er lächelte noch einmal aufmunterd und verließ dann das Zimmer wieder.
Als die Tür hinter ihm zu fiel, hatte Viktor schon wieder verdrängt, was der Arzt zu ihm gesagt hatte. Es waren keine neuen Nachrichten gewesen und so galten seine Gedanken einzig und allein seinem Ehemann, der so zerbrechlich neben ihm lag.

In den folgenden Tagen verließ Viktor wie auch schon zuvor nur selten seinen Platz an Yuuris Seite. Abends ging er spät und kam meistens schon am frühen Vormittag wieder zurück. Ab und an musste er sich einen Vortrag von Yakov oder Yurio anhören, dass er auch an sich selbst denken musste, was nur stumm wirkungslos an ihm abprallte.
Nachdem Yuuri aus Kanada nach Russland verlegt wurde, war Yurio sogar vorübergehend in Viktors und Yuuris Wohnung gezogen, auch wenn er es abstritt, wenn man ihn darauf ansprach.
Yurio kochte für seinen russischen Teamkollegen und Makker hatte einen neuen Spielkameraden in Yuris Katze gefunden.
Doch es war trotzdem schwer Viktor für irgendwas zu begeistern. Die Sorge um Yuuri hing überall in der Luft, aber für die anderen ging der Alltag trotzdem weiter.
Als die Katsukis für ein paar Tagen kamen, verließ Viktor nicht sein Schlafzimmer, obwohl Yurio fast die Tür eingetreten hatte. Auch wenn der Ältere etwas von Grippe gemeint hatte, war sich der blonde Russe sicher gewesen, dass sein Teamkollege sich selbst Vorwürfe machte und deswegen der Familie des Schweinchens nicht unter die Augen trat.
Als sie wieder abgereist waren, war Viktor von seinem Bett aufs Sofa gezogen, wo er sich stundenlang alte Bilder aus den letzten Jahren ansah. Erst als Yurio drohte sie alle zu zerreißen, hatte er angefangen ein wenig zu essen und war dann schließlich für ein paar Stunden eingeschlafen.
Im Krankenhaus ertrug Viktor die Besuche der anderen meistens stillschweigend.
Wenn er alleine war, redete er viel mit Yuuri, bat ihn darum doch bald wieder aufzuwachen.
So grausam es auch war, ziemlich schnell war der Ablauf für Viktor zu einer Routime geworden. Aufstehen, nach meist schlaflosen Nächten, eine Kleinigkeit essen, ins Krankenhaus fahren. Erst nach Einbruch der Dunkelheit, machte er sich wieder auf den Rückweg, um von Yurio dazu gezwungen zu werden etwas zu Essen und dann wieder ins Bett zu kriechen.
Es waren eintönige Tage, die sich dahinzogen, endlos langsam.
Während Viktor an Yuuris Seite saß, hing er unfreiwillig seinen Gedanken nach. "Ich hätte besser aufpassen sollen. Yakov meinte, du sahst irritiert aus, nur ganz kurz bevor du ge-" Er brach ab, schüttelte den Kopf. Er führte seinen Gedanken nicht laut zu Ende. Es war nicht das erste Mal, dass er so dachte, aber er fühlte irgendwie, dass es seine Schuld war. Yuuri war abgelenkt gewesen, aber warum? Hatte er auch die Rowdys gesehen, die versucht haben Steine auf die Eisfläche zu werfen? Oder war er von Viktor irritiert gewesen? In den drei Jahren, die sie sich kannten, hatte der Russe schließlich noch nie sein Versprechen gebrochen. Seine Augen waren während jedem Lauf auf seinen Partner gerichtet. Aber Viktor war so wütend auf diese dummen Jugendlichen gewesen.
"Was es auch war, es ist ein echt blöder Grund, um jetzt einfach nicht mehr aufzuwachen", machte Viktor einen Scherz, auch wenn kein Humor in seiner Stimme mitschwang.
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. Es klang traurig, aber da war kein Vorwurf in seiner Stimme zu hören. "Du hättest dich nicht ablenken lassen dürfen.."
Ihm kam eine Szene in den Sinn, es war bestimmt schon Monate her, da hatte hätte er Yuuri etwas ganz ähnliches gesagt.

"Autsch, das tat weh!" Yuuris Stimme hallte durch die fast leere Eishalle. Mit schmerzverzogenem Gesicht, rappelte er sich wieder auf und rieb sich den Hintern.
"Du hast selber Schuld", antwortete der silberhaarige Russe ihm, hielt seinem Partner aber seine Hand hin, um ihm hoch zu helfen.
"Entschuldige.. Aber es tut echt weh."
"Du hättest dich eben nicht ablenken lassen dürfen. Woran hat du denn nur wieder gedacht?" Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen, während die Wangen seines Partners einen sanften Rosaton annahmen.
"A-an gar nichts", stammelte er leicht verlegen. Nein, die Chance konnte sich der Russe jetzt nicht entgehen lassen. Mit einem Schritt war er nah an Yuuri getreten und hatte eine Hand auf dessen rote Wangen gelegt.
"Komm schon, verrat es mir, неудобные свиней~"
Die tiefe Stimme und ein russischer Spitzname halfen immer, wenn Viktor etwas wollte. Yuuri schmolz nur so dahin.
Erst mied er die ozeanblauen Augen, doch als er sprach, suchte er automatisch diesen fesselnde Blick.
"Ich.. Irgendwie hast du mich abgelenkt. Weißt du eigentlich, dass du echt schön aussiehst, wenn du auf dem Eis läufst?"
Viktors Grinsen würde breiter. "Du bist soo süß, Yuuri~" Fest knuddelte er den Japaner und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. "Aber du musst trotzdem besser aufpassen. Schließlich kannst du mich nicht mehr bewundern, wenn du im Krankenhaus liegst." Obwohl seine Stimme ernst klang, wich das amüsierte Lächeln nicht von seinem Gesicht. Er löste sich von Yuuri, während dieser über Viktors Selbstverliebtheit lachte.
"Genug Pause gemacht. Wir machen mit dem Training weiter", meinte Viktor schließlich und Yuuri übte, diesmal konzentrierter, weiter seine Sprünge.

Seufzend lehnte Viktor sich auf seinem Stuhl zurück. Die Erinnerung an diese alltägliche Szene, kam ihm so weit weg vor. Er hatte es seinem Schützling so oft eingeredet, auf dem Eis muss man sich konzentrieren. Aber am Ende hatte es dann doch nicht gereicht.
"Ich vermisse dich, mein geliebtes неудобные свиней."

мое сокровище - YoI FF/ViktuuriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt