Ein unglücklicher Unfall

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John fluchte. Er war seit 327 Jahren im Dienst und verstand immer noch nicht, warum er, ein im Grunde lebloser Körper in Mantel, Schmerz empfinden konnte. Nun gut, leblos war etwas übertrieben, seine Seele war zum Totendienst eingeteilt worden wodurch sein Körper zwar klinisch gesehen tot war, jedoch durch seine Seele am laufen gehalten wurde. John verstand das genau so wenig wie die Tatsache, dass ihm jetzt sein Fuß weh tat weil er wieder gegen einer dieser dummen Beine von einem Tisch gelaufen war. Er stütze sich auf seine Sense und hielt sich kurz den Fuß, bevor er den Schmerz ignorierte und weiter ging. Die berühmten "letzten Sekunden", die die Menschen durchlebten obwohl sie eigentlich schon tot waren rührten daher, dass der Tod sich immer verspätete. Das wiederum gründete auf dem System, mit dem ein Tod erfuhr, dass er gebraucht wurde. Es ging nämlich so: Ein Mensch starb, und in dem Moment, in dem sein letzter Atemzug getan war und der Herzschlag aufhörte, bekam ein Tod per Gedankenpost die Informationen, dass jemand tot war und abgeholt werden konnte. Da ein Tod allerdings selten in der Nähe sterbender Menschen war sondern eher mit seinem restlichen Leben beschädigt war, brauchte er eine gewisse Zeit um anzukommen und die Seele zu ernten. So auch bei John. Er lief durch die Wohnung und fand schließlich den Leichnam den er suchte. Die Seele stand sichtlich irritiert daneben, wie immer bei Toten. "Hallo, mein Name ist John und ich bin hier um dich auf die andere Seite zu begleiten", rasselt John seinen Text runter damit die Seele Bescheid wusste. "Du bist also der Tod?" "Ein Tod", korrigierte John. "Ein Tod? Das heißt es gibt mehrere?" John hatte keine spezielle Lust mit einer Seele die er vermutlich nie wieder sehen würde zu diskutieren und ihr seinen Beruf zu erklären, also lachte er und schüttelte den Kopf. "Ich mache nur Spaß, es gibt natürlich nur einen Tod. Und jetzt komm mit, ich bring dich auf die andere Seite..." John spähte kurz in den Geist seines Gegenübers, "...Karl." Die Seele nickte und folgte John, als er das Haus verließ. Draußen erwartete sie das Abholkommando von den Schiffern. Die Seele dessen Namen John bereits wieder vergessen hatte stieg in das kleine Boot und sah John erwartungsvoll an. "Viel Spaß, Leute", sagte er stattdessen und ging wieder seiner Wege. Er mochte es, die Schiffer zu ärgern indem er den Seelen Informationen gab, die sie verwirrten und die die Schiffer dann erklären mussten damit die Seele nicht vom Boot absprang und verfolgt werden musste. Der Job eines Todes bestand nur darin, die Seelen zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass sie nicht abhauten bevor sie in das Boot stiegen, alles danach war Sache der Schiffer.
John lenkte seine Schritte wieder dahin, wo er vorher gewesen war - zur Bar der Toten. Die Bar hieß so, obwohl dort nicht alle Toten eingelassen wurden sondern nur die Tode die gerade keine Arbeit hatten, aber glücklicherweise zählte John momentan dazu. Auf der Straße vor der für normale Menschen nicht sichtbaren Schänke entdeckte er einen alten Mann, dem er ansehen konnte, dass er noch heute sterben würde, sollte er keine Hilfe bekommen von den Passanten. John schaute sich um und entdeckte schließlich, was er suchte: eine Person mit viel Geld in den Taschen. John schlich sich in ihren Verstand und lenkte ihre Gedanken auf das einzige was er tun konnte - auf den Tod. Er sah, wie sie erschauerte und sich schließlich endlich dazu durchrang dem armen Bettler etwas Geld zu geben damit er noch etwas länger leben konnte. John tat dies nicht aus Güte, gütiger wäre es gewesen, hätte er den Bettler sterben lassen, aber wenn er jetzt starb konnte es sein, dass John zu ihm hin musste um seine Seele abfahrbereit zu machen und darauf hatte er schlicht keine Lust.
So betrat er also doch noch seine Stammkneipe und setzte sich an den Tresen. "Ich bewundere immer wieder, wie schnell ihr das bisschen Arbeit das ihr zu haben scheint fertig macht", wurde er vom Barkeeper begrüßt. "Und ich bewundere, dass diese kleine illegale Kneipe von dir immer noch nicht entdeckt wurde", entgegnete John. "Apropos, mach mir mal n' Bier." Der Barkeeper schüttelte den Kopf. "Wenn man die richtigen Leute da oben kennt bekommt man fast alles ungesehen durch." John bekam sein Bier. "Du weißt, dass du die Klischees über deine Rasse hierdurch mal wieder bestätigst oder?" Der Barkeeper der seinen Namen nie verriet damit man ihn schlechter finden konnte im Himmel schaute verärgert drein. "Nur weil Luzifer sich als Meister des Bösen berufen gefühlt hat, sind nicht gleich alle gefallenen Engel böse!" "Reg dich wieder ab", beschwichtigte John. "Aber du weißt schon, dass es etwas lächerlich ist, dass du mit mir darüber diskutierst während wir in deiner illegalen Bar sind oder?" Der Barkeeper seufzte. "Ja, du hast ja recht. Aber mal was anderes: hat sich deine Fraktion langsam mal entschieden zu wem sie gehört?" "Warum sollte sie?", entgegnete John. "Wir bringen den Tod, das hat mit der Hölle gleich viel zu tun wie mit dem Himmel." "Offiziell bringt ihr den Tod." John verdrehte die Augen. "Wenn wir keine beruhigende Wirkung auf die Seelen hätten und unsere Aufgabe nicht erfüllen würden, dann würden hier Massen von sinnlos aggressiven Seelen rum rennen und die Menschheit sowie auch uns jagen und nerven. Jeder von uns hat nen' Job und der ist in der Regel immer wichtig." In genau diesem Moment meldete sich sein kognitiver Spürsender. Ein neuer Toter. Na super. "Ich hab noch nicht mal das halbe Bier auf...", murmelte John und stand auf. "Neuer Job?", fragte der Barkeeper mit hochgezogener Augenbraue. "Nein", antwortete John schlecht gelaunt, "ich gehe doch immer einfach aus Spaß durch die Weltgeschichte ohne vorher mein Bier auszutrinken." "Soll ich's für dich aufheben bis gleich?" John nickte und verließ die Kneipe. Je eher er wieder mit dem Job fertig war desto eher kam er hierher zurück.

Ein Tag im Leben eines Todes Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt