Prolog

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"Jonathan? Clary?", rief Jocelyn die Treppe zum Trainingssaal hoch, woraufhin drei Gesichter am oberen Ende erschienen. "Nenn mich nicht so.", antworteten zwei der drei Gestalten wie aus einem Mund. Jocelyn seufzte. "Na, schön. Jace, Sebastian, es tut mir leid. Nur das sind nunmal eure Namen und es ist wirklich leichter, zwei Namen statt drei zu rufen. Wie auch immer." Sie schüttelte den Kopf.  Zwei Jonathans im Haus, einer potenziell gut, einer böse, beide verkehrten mit ihrer Tochter und dann noch die verwirrende Tatsache, dass einer davon ihr Sohn war, den sie tot geglaubt und ehrlich gesagt auch gehofft hatte, der nun einen anderen Namen trug und vorgab, ein neuer Mensch zu sein. "Ihr habt Besuch." Die drei eilten die Treppe herunter, wobei Jocelyn ein paar Schritte zurückwich, als die beiden Jungen an ihr vorbei huschten. Es war zu viel passiert, was es ihr schwer machte, ihnen nah zu sein. Aber Clary bedeuteten die Jungen eine Menge, weshalb Jocelyn ihre Gegenwart ihr zu liebe erduldete. Jace hatte Clary ohne groß nachzudenken auf etliche gefährliche Missionen mitgenommen, ohne dass sie vorher eine ordentliche Ausbildung absolviert hatte. Ihr Leben lang hatte Jocelyn nichts anderes gewollt, als ihre Tochter von dieser Welt voller Gefahren fernzuhalten und Jace hatte genau das auf seine leichtsinnige Art und Weise mit Füßen getreten und Clary nicht nur einmal in Lebensgefahr gebracht. Und Sebastian? Nun, der hatte den Jungen, dessen Namen er nun trug, auf gewaltsame Weise umgebracht und mit seinem Dämonenheer erst für all diese gefährlichen Missionen, auf die die Schattenjäger des New Yorker Instituts Clary mitgenommen hatten, gesorgt. Dämonenheer, Dämonenblut, dieser Junge war die Ausgeburt des Bösen. Doch niemand außer Jocelyn schien das so zu sehen. Alle glaubten, der Junge habe sich 'geändert'.

Clary folgte den Jungen in die Eingangshalle. Dabei wäre sie fast in Jace gelaufen, der zurückwich, als Sebastian plötzlich stehen blieb. Sie linste zwischen den beiden Jungen hindurch und sah zwei vertraute Gestalten. "Bruder Zachariah!", freute sie sich. "Du weißt doch, nur noch Zachariah.", lächelte der Mann mit den dunklen Haaren und den ebenso dunklen Augen, die aufleuchteten, als er Clary erblickte. "Naja.", räusperte sich die junge Frau neben ihm, "Er nimmt immer mehr seinen alten Namen an. Hallo Clary." Clary fiel auf, dass sie seit Bruder Zachariah wieder zum Schattenjäger geworden war noch nie gehört hatte, wie jemand seinen echten Namen sagte. Nur wenige kannten seinen Namen. Und auch sie selbst kannte ihn nicht. Sie wusste, dass nur die Menschen, die vor seiner Verwandlung in einen Stillen Bruder mit ihm zu tun gehabt hatten, Bescheid wussten. Darunter auch Magnus Bane. Doch er hütete seine Zunge und verriet nichts. Und auch die junge Dame neben ihm war eingeweiht. Ihr Name war Clary allerdings gut bekannt. "Hey, Tessa. Was führt euch zu uns?"

"Bittet uns doch erstmal herein und dann erklären wir euch alles.", warf Zachariah ein und fokussierte dabei Sebastian, der sich dadurch scheinbar angesprochen fühlte. "Na dann folgt uns mal." Er grinste breit und drehte sich um. Clary ging einen Schritt zur Seite und ließ die beiden Jungen mit den Besuchern im Schlepptau an sich vorbei gehen. Im Vorbeigehen musterte sie die beiden genau. Sie sahen wirklich noch sehr jung aus. Kaum älter als sie selbst. Doch sie wusste, dass das nicht stimmte. Tessa war eine Hexe, somit unsterblich, und auch Zachariah war in seiner Zeit bei den Stillen Brüdern nicht gealtert. Doch geboren waren sie im neunzehnten Jahrhundert. Getroffen hatten sie sich dann in jungen Jahren am Londoner Institut. Und nach allem, was Clary wusste, lebten sie heute wieder dort. Immerhin war Tessa selbst auch halb Schattenjägerin.

"Jem, hältst du das wirklich für eine gute Idee? Das könnte böse enden.", hörte sie Tessa flüstern. Jem? Das könnte eine Abkürzung für James sein, dachte Clary. Sie beschloss, später in alten Büchern über die ehemaligen Bewohner des Londoner Instituts zu lesen und dort vielleicht mehr herauszufinden. "Ich weiß es nicht.", antwortete er, "Aber es muss sein. Sie können nicht zusammen bleiben."

Sebastian führte die kleine Gruppe in die Bibliothek, wo sie sich seiner Meinung nach am besten unterhalten konnten. Nacheinander nahmen sie Platz. "Ich denke, ich komme direkt zur Sache.", begann Zachariah, nachdem sich alle gesetzt hatten. "Na dann los. Ich will weiter trainieren.", meldete Jace sich zu Wort. Tessa sah ihn das erste Mal an diesem Tage richtig an. Sie blickte ihm tief in die Augen, woraufhin er sich entspannte und sich tief in den Sessel, in dem er saß, zurücklehnte. Zufrieden lächelte sie.

Der ehemalige Stille Bruder wandte sich ihr  zu. "Tessa, es ist nicht nett, die Gefühle anderer Schattenjäger zu beeinflussen. Gib nicht so an.", scherzte er. "Also, was wir zu sagen haben, betrifft dich, Sebastian. Es wurde angeordnet, dass du nach London kommen- oder sollte ich sagen zurückkehren- sollst. Aus Sicherheitsgründen." Clary klappte der Mund auf, doch ein Blick zu Sebastian bedeutete ihr, dass er völlig gelassen schien und nicht vorhatte, irgendwo hin zu gehen. "Letztes Mal bin ich aufgrund meines Dämonenblutes nicht einmal bis zur Haustür gekommen, um meine Dämonen hereinzulassen. Wegen irgendeiner Art Geist." Clary erschauderte bei dem Gedanken an Sebastians Angriffe auf sämtliche Institute. Doch Tessa grinste nur. "Jessamine." Zachariah sah sie an. "Tess, was weißt du darüber?" "Erinnerst du dich an Jessamine, die junge Schattenjägerin, die damals mit uns im Institut lebte? Sie hasste es, Schattenjägerblut zu haben und verabscheute uns. Sie ging sogar damals gegen uns vor und wollte uns vernichten, so sehr wünschte sie sich das bürgerliche Leben. Als sie dann starb wurde sie dazu verbannt, etwas für die Schattenjäger zu tun. Als Geist sollte sie das Institut vor feindlichen Angriffen schützen. Will erzählte mir das alles. Sie starb in seinen Armen. Ave atque vale, Jessie." Sie wischte eine Träne beiseite. "Deswegen konntest du nicht ins Institut. Sie hat dich nicht gelassen. Doch sie ist fort. Sie hat ihre Aufgabe erfüllt. So hat sie es Will prophezeit. Sie wandelt zwar noch ab und an durch die Flure, aber hat keine Schutzwirkung gegen Angreifer mehr."

"Wer ist Will?", fragte Jace, der nun nicht mehr ganz so entspannt wie vorher in seinem Sessel saß. Es dauerte einen Moment, bis Tessa antwortete, so als habe sie gehofft er würde vergessen, dass er gefragt hatte. "Mein Ehemann. Der Vater meiner Kinder und dein Vorfahre. William Herondale." "Und mein Parabatai.", fügte Zachariah zögernd hinzu. "Tessa, das heißt ja, wir sind..." "Verwandt.", beendete Tessa Jace' Satz. "Das erklärt auch eure Verbundenheit und Treue zu den Herondales.", schlussfolgerte Clary. Zachariah und Tessa blickten sich nur schweigend an. Hatten sie zu viel gesagt?  "Das tut jetzt gar nichts zur Sache.", sagte Jace und sah dabei aus, als müsste er noch verdauen, dass eine seiner Vorfahren gerade quicklebendig vor ihm saß und auch ihn überleben würde, "Ihr seid hier um ihn mitzunehmen." Er deutete mit dem Finger auf Sebastian. Sein bisher gut versteckter Hass ihm gegenüber kam nun ohne Zurückhaltung zum Vorschein. "Dann nehmt ihn mit. War das dann alles?" "Jace!", brachte Clary aufgebracht hervor.

"Was ist denn hier los?", ertönte eine Stimme hinter ihnen. Magnus stand in der Tür und schnippte mit den Fingern. Daraufhin war es schlagartig still. "Ab jetzt redet nur noch derjenige, dem ich es erlaube.", verkündete er so feierlich, als würde er jemandem zu toasten. Er blickte einem nach dem anderen in die Augen. "Tessa meine Liebe!", rief er euphorisch und ging wild gestikulierend auf sie zu, um sie zu umarmen. Sie erwiderte seine Umarmung und schien sich in seiner Gegenwart etwas zu entspannen. "Was führt euch aus London hierher?" "Wir sind hier, um Sebastian mitzuteilen, dass das Londoner Institut ihn erwartet. Er wird versetzt." Magnus legte den Kopf schief und sah Tessa eindringlich an. Diese atmete tief durch und nickte zögerlich. Magnus, der gerne sowohl mit Gestik als auch mit Mimik etwas übertrieb, sah ehrlich geschockt und eingeschüchtert aus als er sich zu den anderen umdrehte. Er deutete mit seinem langen Zeigefinger, auf dem der Familienring der Lightwoods steckte, auf Sebastian. "Du verlässt dieses Institut. Und wenn ich dich persönlich ausquartieren muss. Keine Widerrede. Pack deine Sachen. Erklären werden wir das später. Es bleibt keine Zeit." "Nein!", meldete Clary sich zu Wort, "Wenn er geht, gehe ich mit!" Schützend stellte sie sich vor ihren Bruder, was ein merkwürdiges Bild abgab, weil sie einen ganzen Kopf kleiner war als er. Doch ihre Ausstrahlung hätte jeden von ihr ferngehalten. Außer  Magnus, dessen Katzenaugen leuchteten, als er sich ihr näherte. Er packte sie fest bei den Schultern und blickte eindringlich auf sie herab. "Die Dämonen, sie haben ihn gefunden!"

Demon with WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt