Mittwoch, 23. Mai, 11:56

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"Das Parlamentarium wird bestimmt totaaal spannend", meinte Jonas ironisch und schaute genervt auf die endlose Autobahn. "Ja, wir lernen endlich mal richtige Politiker kennen", fügte Emily fröhlich hinzu, die seine Ironie offenbar überhaupt nicht verstand.

Seit anderthalb Stunden waren wir nun unterwegs und bisher hatte sich nichts Spannendes ereignet. Ich persönlich hatte keine Erwartungen an Brüssel. Hauptsache kein Unterricht, hatte ich mir bei der Anmeldung gedacht. Und es versprach ein schöner Tag zu werden - die Sonne schien mild auf die belgischen Straßen, der Bus glitt ruhig über die Autobahn und das Klima war angenehm. Sogar die bildungsferneren Raucher ganz hinten hielten ihre Musik leise. Wir hatten noch eine halbe Stunde Autobahn vor uns, als eine Mitteilung über das Radio uns aufhorchen ließ.

"Achtung, Achtung! Die Gesundheitsbehörde meldet, dass bei einem Unfall ein tödliches Virus freigesetzt wurde. Alle Anwohner sind dazu angehalten zuhause zu bleiben, Touristen sollten Kontakt zu Fremden meiden. Attention, attention!..."

Plötzlich sprang Raphael, einer der weniger Intelligenten, auf und rief: "Scheiße, vielleicht ist hier jemand infiziert. Mit drei Freunden lief er zum Busfahrer und bedrohte ihn, sie rauszulassen. Dieser gehorchte, mit der Situation sichlich überfordert, und so sprangen die vier Idioten mitten auf der Autobahn aus dem Bus, kletterten über den Zaun und waren verschwunden. 'Gott sei Dank', dachte ich, 'die hätten ja sowieso nur Probleme gemacht'.

Einige Mädchen begannen zu weinen, sie gingen vermutlich davon aus, dass der heutige Tag ihr letzter sei. Der Busfahrer und die beiden Lehrerinnen berieten die weitere Vorgehensweise und kamen zu dem Ergebnis, ersteinmal weiter auf der Autobahn zu bleiben. Das stellte sich als gute Idee heraus, denn während um uns herum immer weniger Autos zu sehen waren, war die Spur in die Gegenrichtung bereits komplett verstopft.

'The Walking Dead in echt', kam es mir kurz in den Sinn, doch dann verdrängte ich den Gedanken. Zugegeben, aufregend war die Situation durchaus, aber ich wollte nicht so übermotiviert handeln, wie die 4 vorhin. Oft schon hatte ich mir Gedanken gemacht über ein Leben während einer Apokalypse, daher wollte ich versuchen, den Kurs ein wenig zu lenken. Leicht würde mir das nicht fallen, da ich eher schüchtern bin, doch darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen.

Das Wichtigste würde meiner Meinung nach sein, neue Informationen über das Virus zu bekommen. Außerdem zählte ich nach. Unser Kurs, das waren 24 Jugendliche, dazu zwei Lehrer und der Busfahrer, abzüglich der 4 Intelligenzbestien, die sich alleine durchschlagen wollten. Das waren außer mir 22 Leute, um die ich mich kümmern musste. Zum Glück gab es bald neue Informationen:

"Das Virus verursacht eine absolute Lähmung, sodass man durch Ersticken und Herzversagen qualvoll stirbt, ohne sich wehren zu können", erklärte der Nachrichtensprecher mit dramatischer Stimme. "Eine gute Nachricht ist die Folgende: Das Virus kann außerhalb des Wirtes nur 10 Minuten überleben und Menschen sind der einzige Wirt, den dieses Virus  des Typs RH-135 befallen kann. Des Weiteren beginnt die Lähmung etwa 8 Stunden nach Infektion, der Tod folgt dann innerhalb der nächsten zwei Stunden. Wir halten Sie auf dem Laufenden!"

Stille. Es wurden jetzt keine Lieder mehr gespielt, um jederzeit Neuigkeiten senden zu können. Alle saßen in ihren Gedanken versunken da, einige Mädchen lagen sich in den Armen. "Frau Peters wir müssen mal auf Toilette", durchbrach es zögerlich die Stille. Die Lehrerin sah den Busfahrer an. "Ich bin mir nicht sicher ob es eine gute Idee ist, jetzt anzuhalten", antwortete dieser entschuldigend.

"Ist es", sagte ich bestimmt. Nach und nach richteten sich alle Augen auf mich. "So, junger Mann?", hakte der Busfahrer leicht gereizt nach. "Vorausgesetzt, dass dort niemand mehr ist, wäre das eine perfekte Gelegenheit. Wir können zusätzlich tanken und unsere Nahrungsreserven auffüllen. Wenn wir zehn Minuten draußen warten, können wir sicher sein, dass uns drinnen nicht infizieren kann." Das schien allen einzuleuchten und so fuhren wir auf die nächste Raststätte.

Wie erwartet war sie total verweist, mir fiel allerdings sofort auf, dass dort noch ein Auto geparkt stand. Der Busfahrer tankte wärend wir ausstiegen. Lizzie, das Mädchen, das so dringend auf Toilette musste, lief sofort los auf den kleinen Laden zu. Sie war noch wenige Schritte entfernt, als ich eine Bewegung hinter dem Glas wahrnahm. "Liz, nicht!", schrie ich, doch sie riss bereits die Glastür auf. Ein Mann mittleren Alters kam ihr entgegen gehumpelt. Zwischen starken Hustanfällen konnte ich das Wort 'Hilfe' von seinen Lippen ablesen. Dann sank er reglos zusammen. "Aaah ich bin infiziert"  schrie Lizzie in Tränen ausbrechend und lief zurück auf uns zu. 'Scheiße', dachte ich und rief den anderen zu "Lauft weg von ihr!"

"Lizzie bleib stehen!", schrie ich laut und bestimmt. "Lizzie willst du uns alle umbringen?". Doch in ihrer Panik hörte sie nicht. Plötzlich kamen zwei Mädchen aus unserer Gruppe auf sie zugerannt und warfen sie zu Boden. "Lizzie es tut uns so leid, was mit dir passiert ist", erklärten sie schluchzend, "und wir bleiben bei dir, bis es vorbei ist. Aber wir können nicht zulassen, dass du die anderen alle umbringst!" Sie schauten zu mir und ich warf ihnen einen erleichteten und dankbaren Blick zu. Sie hatten uns gerettet!

"Scheiße", schrie ich und ballte meine Hände zu Fäusten. 7 Leute verloren in nur einer einzigen Stunde. Nun waren es außer mir noch 19 Personen, die vor dem Virus flohen. Ich sammelte mich und sagte, mit immernoch leicht zittriger Stimme: "10 Minuten sind um. Wir können jetzt gefahrlos in den Laden. Nehmt eure Rucksäcke und packt so viel haltbare und nährstoffreiche Lebensmittel wie möglich ein." Dann ging ich vor.

Während die anderen die Regale leerräumten, schaute ich die Schubladen hinter der Theke durch. Das Geld interessierte mich nicht, es war wertlos geworden. Mir stockte der Atem als ich die letzte Schublade herauszog. Darin lag eine kleine Pistole. Besorgt schaute ich mich um, dann wagte ich einen genaueren Blick. Geladen mit 7 Schuss. Ich versteckte sie in meiner Jackeninnentasche.

Mein Blick wanderte über die Theke und blieb an einem Schlüsselbund hängen. Ich nahm ihn und lief damit zu Frau Peters. "Wir müssen so flexibel wie möglich sein", erklärte ich, "mit dem Bus kommen wir nicht überall hin, aber es ist wichtig, dass wir zusammenbleiben und geschützt sind. Deswegen werde ich hinter dem Bus herfahren". "Kannst du das denn?", fragte sie skeptisch nach. "Klar, ich hab schon seid 3 Monaten den Führerschein", log ich. Tatsächlich war ich erst einmal auf dem Verkehrsübungsplatz gewesen. Doch da es nun Wichtigeres gab, ohnehin niemand in dieser Richtung unterwegs war und ich schon Erfahrung durch das Motorradfahren hatte, fühlte ich mich in der Lage zu fahren. Nach und nach kamen auch die anderen mit vollen Rucksäcken hinaus und stiegen wieder ein. Zwei Jungs und ein Mädchen entschieden sich, mit mir zu fahren. Ich wollte das eigentlich nicht, doch ich konnte es ihnen nicht ausreden.

Virus RH-135Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt