Lupus Anima - Kapitel I

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Kapitel I

Eine lange Nacht, in der ich versinke - wie in einem dunklen Meer, ich kann nicht fliehen. Ich ertrinke.

Lautlos geht die Nacht, die Wölfe wittern ihre Beute - jederzeit zum Sprung bereit, warten sie nur auf ihren Moment. Mit Hunger in den Augen - die Zeit stillt ihren Hunger nicht. Zeit tarnt nur ihr Gesicht - versteckt sie vor der Wirklichkeit.

[Lexy]

Renn. Renn. Renn. Renn schneller!

Keuchend und nach Luft schnappend, wie ein verdammter Straßenköter, musste ich so schnell wie möglich fort von hier. Weg von diesem Hafen, weg von diesen unüberblickbaren Kisten und Containern. Wer auch immer war hinter mir her und sie wollten was auch immer von mir. Nichts Gutes - das wusste ich.

Ich hörte sie hinter mir, während ich mir einen Weg durch dieses Labyrinth suchte - ihre schweren Schritte auf dem feuchten Betonboden, die Rufe, das Gelächter und Gepfeife. Als würde ich auf sie hören und einfach stehen bleiben! Brav wie ein kleines Schoßhündchen Sitz machen und abwarten, was als nächstes auch passieren mag. Natürlich, damit ihr mit mir tun könnt, was da auch immer gerade in euren kranken Köpfen vorgehen mag.

Ich wollte das so genau wirklich nicht wissen, deswegen versuchte ich auch, das Visier in meinem Kopf hochzufahren, um mich so vor den Gedanken dieser zwielichtigen Typen zu schützen. Ich bin eine Telepathin und konnte (oft genug auch ohne, dass ich es wollte) die Gedanken eines jeden Menschen hören. Im Moment versuchte ich, die Gedanken dieser widerlichen Männer hinter mir, aus meinem Kopf zu verbannen - mit besagtem Visier.

Das war meine einzige Möglichkeit, mich wenigstens ein wenig vor den vielen Gedankenströmen zu schützen. Gedanken, die mich tagtäglich einholten. Es war eine geistige Barriere, die sehr schwer aufzubauen war und viel Konzentration erforderte. Etwas, was mir schnell mal fernblieb. Das Einzige, wo ich wirklich konzentriert bei sein konnte, war Lesen.

Stellt euch einfach eine durchsichtige undurchdringliche Mauer in meinem Kopf vor und ihr habt zumindest eine bildliche Vorstellung.

Mein Visier war unter den gegebenen Umständen also ein echter geistiger und körperlicher Kraftakt, trotzdem musste ich es versuchen. Sie durften nicht noch weiter in meinen Kopf, es war so schon schwer genug die Gier auszublenden, die ich in ihnen entfacht hatte. Diese Männer waren betrunken und ihre Gedanken wurden beherrscht von Gewalt - Gewalt, die auf mich abgezielt war. Sie durften mich auf keinen Fall einfangen.

Volle Konzentration Lexy… errichte deine Mauer. Es beraubte mich zum Teil auch meiner körperlichen Kräfte, ließ mich aber zum Glück nicht langsamer laufen. Mein Herz schlug noch schneller… Als es dann doch endlich funktionierte und ich die Gedanken abschirmen konnte, hätte ich wenigstens für diesen kleinen Erfolg vor Freude schreien können. Allerdings nur eine Sekunde lang, weil mir dann wieder einfiel, was überhaupt um mich (beziehungsweise hinter mir) los war.

Verdammt, warum musste ich auch so spät noch außerhalb unterwegs sein? Warum auch habe ich nicht ausnahmsweise mal auf Faith gehört?! Immerhin war sie die Ältere, Klügere! Okay, eigentlich hörte ich ständig auf sie, aber nicht, was meine nächtlichen Streifzüge anging! Die gehörten mir, die brauchte ich hin und wieder, um ein paar Dinge zu erledigen, egal was die von Lupus Anima uns dauernd predigten.

"Geht nicht nach neun Uhr abends raus und schon gar nicht ohne Erlaubnis, oder ohne Begleitung Erwachsener! Die Menschen sind grausam, sie verstehen unsere Art nicht! Sie wissen nicht wer und was wir sind und sie werden es niemals verstehen können! Solltet ihr jemals einen von ihnen in die Hände fallen, werden wir nichts mehr für euch tun können!", Nasreen's berühmte Rede. Nett, nicht? Sehr sympathisch diese Frau.

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