Tage verändern dich

276 7 1
                                    

"Alles Gute zum 11. Geburtstag, mein Sohn!" dankend lächelte ich meinem Vater zurück. Als er ein kleines Päckchen aus seiner Hosentasche holte, wurde mir heiß und kalt zu gleich, da ich wusste wie arm wir sind und uns keine größeren Ausgaben leisten konnten. "Das kann ich nicht annehmen!" doch meine Mutter sah mich ein bisschen flehend und bittend an, sodass ich schweren Herzens das kleine Päckchen an nahm. Als ich das in Zeitungspapier gepackte Geschenk öffnete, entdeckte ich darin eine kleine, metallische Pfeife. "wenn du mal in Gefahr bist, dann lass einen Triller los und es wird dir jemand helfen!". Ich konnte meinem Vater nicht in die Augen schauen, weil ich es nicht für richtig hielt, dass er mir, -dem kleinen Dümmling der Familie- was schenkte.

Einen Tag darauf luden wir unsere Verwandten ein, um meinen Geburtstag zu feiern. Es war der 26.07.1914 der Tag vor dem schwersten Urteil der Menschheit. Als endlich alle eingetroffen waren, aßen wir Kuchen und redeten über die Politik, wie sich alles an dem Mord an Thronfolger Franz Ferdinand aus Österreich-Ungarn auswirkte. Ein paar meiner Verwandten arbeiteten in Reichen Herrenhöfen und verdienten somit mehr Geld, womit sie mich auch beschenkten. Die Geschenke waren Zinnsoldaten zum spielen, Uniform und Marschtrommeln. Es waren keine schönen Geschenke, da sich alles ums kämpfen und morden handelte. Bei den Gesprächen, bei denen es um Serbien und Österreich-Ungarn ging, hörte ich nicht genau zu. Doch dies war ein Fehler, da ich schon bald zu spüren bekommen sollte, wie sich das auf unsere Familie ausbreitete.

Am Abend fragte ich meinen Vater, ob er nicht die Zusammenfassung schildern könnte, was heute bei uns am Tisch besprochen wurde. Mein Vater jedoch war müde und wollte es mir Morgen Früh sagen. Doch eine Frage stellte ich ihm noch: "Warum gibt es Krieg?". Er wurde Nachdenklich und zuckte mit den Schultern. "Vielleicht weil die großen Mächte beweisen möchten, dass sie ein wunderbares Volk haben!", "Und was wäre, wenn sie sich an einen Tisch sitzen und darüber streiten? Warum muss das Volk darunter leiden?". Einen Augenblick wurde es still in meinem kleinen Kämmerchen, das sehr erbärmlich aussah jedoch für mich reichte. "Ich weiß es nicht, mein kleiner Dümmling" er gab mir einen Kuss auf die Stirn und diesen Satz hörte ich noch in meinem Traum, der von einer Wiese abspielte, auf der meine ganze Familie freudig und ausgelassen rumtobte.

Ich wurde schon bald wieder aus dieser Sehnsucht gerissen, denn meine Mutter stand gehetzt neben mir in meinem Kämmerchen. "Dümmling steh auf, wir müssen weg! Die Welt beginnt einen großen Streit! Wir müssen weg!". Schlafbetrunken torkelte ich aus meinem Bett und zog mir ein beiges Hemd an, das mir meine Mutter vorher schon hergerichtet hatte. In der Küche stand unser weniges Gepäck mitten im Raum. Anita kam weinend aus ihrem Kämmerchen gekrochen (sie war erst fünf Jahre alt), als auch mein kleiner, sowie mein großer Bruder lachend aus der Scheune kamen, in der sie genächtigt hatten. "Wo ist Vater?" frage Ich. Peter meinte nur kühl: "Er ist schon weg, um als Held wieder zu kommen." besorgt wollte ich wissen, was diese unachtsame Antwort bedeuten sollte, doch in diesem Moment wurde ich von meiner Schwester gebissen, die anscheinend mal wieder schläfrig eine Karotte von meinem Finger nicht unterscheiden konnte. Mutter hetzte umher, sodass sie nicht meine blutende Wunde verbinden konnte. Als dank dafür gab ich Anita einen Klaps auf den Hintern und sie johlte auf. Müde gab sie ein "tut Anita leid." Mutter kam schimpfend auf mich zu. "Seit ihr denn immer noch nicht vor der Tür? Onkel Josef und Tante Anegret holen uns gleich mit ihrem Planwagen ab. Raus, raus vor die Tür! Aber vergesst mir bloß nicht euer Gepäck!"

Nach geschätzten zehn Minuten kam ein Planwagen mit zwei braunen Kaltblütern vorgespannt die Straße hochgefahren. "Tante Anetret, Tante Anetret!" Anita sprang auf und ab, wobei man sie mit ihrem Schnuller im Mund kaum verstehen konnte. "Wo fahren wir hin? Der Streit ist doch überall!" gespannt wartete ich auf eine Antwort meiner Mutter, die sich aber gerade überhaupt nicht um uns kümmern konnte, da Sie das Gepäck auflud. "Dümmling halt den Schnabel und steig auf!" Dies war die schrille und genervte Stimme meines Onkels, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. "Wollten wir nicht schon alle mal gerne Urlaub machen? Ab heute verbringen wir unsere Zeit in Dänemark, damit uns nichts passiert." Meine Geschwister freuten sich sofort, doch ich war mal wieder beim grübeln. "Dümmling hör auf zu denken und freu dich!" schmetterte Onkel Josef mir zu. " Euer Vater kommt auch dorthin wenn er an der Front alle Russen fertig gemacht hat." *Ja ja* dachte ich mir nur *vielleicht hast du recht*

An der Grenze zu Dänemark angekommen, waren wir schon acht Tage unterwegs gewesen und der Krieg war schon im vollen Gange. "Kinder absteigen!" Die freundliche und nervöse Stimme meiner Mutter vertrieb alle Sorgen und Ängste, die ich während der ganzen Fahrt hatte, ob uns eine Handgranate oder ein Schütze treffen und uns ins Himmelreich katapultieren könnte. Doch wir hatten die Fahrt überlebt und ich war wunschlos glücklich. "Aber wo wohnen wir jetzt?" Ich war mal wieder der einzige, der sich sorgen um alles machte. "Dümmling, beruhige dich. Wir sind heil an der Grenze angekommen und nun werden wir auch den Rest schaffen. Schau doch nur noch ein bis zwei Tage und wir haben ein kleines Häuschen, das für uns reserviert wurde." Meine Tante strich mir durch die Haare und mit ihrer sanften Stimmen schaffte sie es tatsächlich, mich zu beruhigen. *aber wie kann Vater uns finden? weiß er, dass wir hier wohnen?* mir schwebten hunderte von Fragen in meinem Kopf. Auf der Fahrt zu unserem sicheren Versteck bemerkte ich viele Zugwagons, die Sprüche wie "auf zum Preisschießen in Paris" oder "Einmal Paris - Berlin und zurück" darauf stehen hatten. Vater sagte immer, dass ein Krieg nichts schönes sei, wobei mein Onkel und er dann immer Meinungsverschiedenheiten hatten, bei denen sie meistens Handgreiflich wurden. Onkel Josef währe gerne an der Front, um die Russen zu erledigen, doch er hatte wie gesagt seine besten Jahre schon hinter sich. Mein Vater aber würde lieber gerne in unserer Familie als Feigling leben anstatt als Held andere Menschen zu töten, die vielleicht auch Familie zu Hause hatten. "Geht es denn nicht schneller? Beeilen sie sich mal mit dem passieren!" Dieses Geschrei brachte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Als wir dann endlich bei unserem kleinen Häuschen standen, wunderte ich mich, wie unser Vormieter dieses schöne Häuschen nur "schäbig" fand. Es war wunderschön. Mit Balkon und einem dichtem Dach, einer Terrasse und einer kleinen Nebenhütte für die Pferde. "Das ist ja ein Traum! Ich will nie mehr wieder zurück nach Deutschland!" mein großer Bruder bekam vom staunen den Mund nicht mehr zu. *Und was ist mit unseren Freunden? leben die alle noch in unserer alten Heimat?*

Mittlerweile sind wir schon zwei Tage hier, als der Postbote einen kleinen, mit Dreck beschmutzten Brief vorbei brachte. Ich nahm ihn an und lief ins Haus. Meine Mutter riss mit Tränen in den Augen das Kuvert auf und las laut vor: "...Denn wenn man im Graben steht und sich nicht regen darf, wenn Mienen und Granaten kommen, so ist das wohl Kampf, aber keine lebendige Tat, sondern das grauenhafte Gegenteil davon. Das ist überhaupt das Scheußlichste in dem jetzigen Kriege - alles wird maschinenmäßig, man könnte den Krieg eine Industrie gewerbsmäßigen Menschenschlachtens nennen ..." Sie fing an zu weinen und Anita verstand überhaupt nicht warum. Sie ging mit Mutter in ihr kleines Zimmer und kuschelte sich zu ihr (nach einer Stunde fand ich sie beide schlummernd im Bettchen liegend).

Tage verändern dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt