Kapitel 10 - Was ich will, das zählt nicht

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Genervt warf ich die Hausschlüssel auf die kleine Kommode am Eingang, deren bläuliche Farbe bereits an den meisten Stellen abgeblättert war und das blasse Holz darunter offenbarte. Ich hatte sie einmal besitzerlos auf dem Bürgersteig stehen sehen und mich in das schäbige, aber doch irgendwie charmante Möbelstück verliebt. Obwohl Lasair damals lautstark protestiert und mich angemeckert hatte, dass ich ihn immer öfter als Packesel benutzte, hatte ich sie mit ein paar Seilen auf seinem Rücken befestigt und das hüfthohe Schränkchen so nach Hause bringen lassen. Das war vor zehn Jahren. Heute war in zweiundzwanzig.

Ich war gerade mal zwölf Jahre alt gewesen, als Lasair mit mir von unserem alten Leben bei meiner Mutter geflohen war und mich so vor ihr gerettet hatte. Seit mein Vater gestorben war, als ich kaum ein Jahr alt gewesen war, war meine Mutter wohl nie wieder dieselbe gewesen. Zwar erinnere ich mich nicht daran, wie sie vor dem Tod meines Vaters gewesen war, doch ich hatte mir des öfteren heimlich alte Videos von ihr und meinem Vater angesehen und diese zeigten ein so harmonisches und glückliches Paar, wie es sie nur in Liebesfilme gab. Sie waren wahrlich ein Herz und eine Seele gewesen, die durch die bloße Anwesenheit des Anderen schon vollkommen aufblühten. Selbst durch das flimmernde Hologramm hatte ich die Liebe zwischen den beiden spüren können und ich mochte mir gar nicht erst vorstellen, wie es wohl war in Wirklichkeit neben ihnen zu stehen. 

Nachdem sie dann schließlich ihren geliebten Ehemann verloren hatte, war Surah in ein bodenloses Loch voller Trauer gefallen und nie mehr zurückgekehrt. Die ersten paar Jahre war sie bloß erfüllt von Trauer, redete kaum ein Wort und zog sich immer mehr von der Außenwelt zurück. Sie kümmerte sich zwar um mich, war aber nie vollständig anwesend und die mütterliche Liebe bleib mir erspart.

Mit fünf erwählte ich schließlich Lasair als meinen Beschützer, oder genauer gesagt erwählte er mich. Da meine Mutter sich nur für die nötigsten Dinge mit mir beschäftigte, wurde Lasair schnell meine einzige richtige Bezugsperson. Da er schon wesentlich älter und größer war als ich, entwickelte er sich schnell zu meinem großen Bruder. Magische Beschützer alterten wesentlich langsamer als wir Menschen, weshalb er nun immer noch fast genauso aussah wie früher. 

Ich bemerkte oft, wie meine Mutter mich und Lasair verstohlen beobachtete, während wir spielten und er sich liebevoll um mich kümmerte. Ihre Miene war dabei stets so ausdruckslos wie eine Maske und zeigte kaum eine Regung. Dennoch spürte ich, dass etwas in ihr vorging und sie sich veränderte. Ein dunkler Schatten legte sich über den traurigen Glanz ihrer Augen und sie schien sich mehr denn je von ihrer Tochter abzuwenden, das Letzte, was ihr noch von ihrem Mann geblieben war. 

Aus dieser Abweisung wurde mit der Zeit Abneigung. Aus Abneigung wurde Hass. Als ich neun Jahre alt war, setzte sie ihrem Hass auf mich, ein Ventil und begann mich tagtäglich anzubrüllen und zu verteufeln. Ich hatte mir immer gewünscht, dass sie nicht mehr so still war und mehr mit mir kommunizierte, doch das hatte ich nicht gewollt. Sie beschimpfte mich täglich und verfluchte meine Existenz. Lasair schritt ein, wo er konnte, doch er konnte ihren Hass und ihre Wut nicht zügeln. 

Als ich dachte, schlimmer konnte es nicht mehr werden, begann sie mich zu schlagen und anderweitig sowohl körperlich, als auch seelisch zu verletzen. Sobald Lasair mal nicht in der Nähe war, nutzte sie ihre Chance. Bemerkte Lasair es, warf er sich vor mich und steckte Surahs Schläge, die für mich bestimmt waren, wortlos ein. 

Nachdem ich mein zwölftes Lebensjahr erreicht hatte und meine Mutter mich mal wieder besonders übel misshandelte, legte Lasair sie lahm und floh mit mir. Mit dem Geld, was er heimlich über die Jahre angespart hatte und einem Teil, welchen er von Surah gestohlen hatte, mietete er uns unsere erste Wohnung. Kurz darauf fand ich die kleine Kommode, die unser erstes Möbelstück wurde. Und sie war auch das einzige, was ich von unseren Möbeln mitnahm, wenn wir mal wieder umziehen mussten, weil meine Mutter uns auf die Schliche kam.

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