Unsere Geschichte beginnt in einem kleinen, beschaulichen Dorf in Deutschland, nicht weit von Berlin. Knapp 500 Einwohner, eine Grundschule, ein Sportverein, ein Restaurant. Es war ein bewölkter Freitagnachmittag im September, dementsprechend wenig war los, auf den Straßen. Ein paar verirrte Senioren, die die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe hier bildeten, dicht gefolgt von den Katzen, die auch an diesem Tag wieder vereinzelt um die Häuser streunten. Auf dem Marktplatz begegnete ihnen der ein oder andere Hundebesitzer auf dem Weg zum Wald, doch sonst ließ sich keine Menschenseele blicken.
Alles andere als ruhig war es jedoch die Straße runter am Rand des Dorfes, in einem der kleinen Häuser, die an den Wald grenzten. 'Järvi' stand auf dem Klingelschild, neben dem, schon etwas morschen Holztürchen, das durch den, von Rosen überwucherten Vorgarten zum Haus führte. Im Erdgeschoss befand sich das Wohnzimmer, das an eine kleine Küche mit Vorratskammer grenzte, sowie das Bad. Die Treppe nach oben, man beachte die Bilder, die hier, so wie im gesamten Haus im Überfluss hingen, im ersten und gleichzeitig obersten Stockwerk fanden sich zwei Schlafzimmer, eines rechts und eines links des Aufgangs. Das linke war das einer Dame, die unerheblich zur Überalterung des Dorfes beitrug und, wie unschwer zu erkennen war, eine Vorliebe für das Züchten von Rosen hatte. Ihr Name war Esther Järvi. Das rechte, war das ihrer Enkelin, Emma. Es war kleiner als das ihrer Großmutter, doch das machte Emma nichts aus, denn sie hatte hier alles, was sie brauchte. Ihr Bett, daneben Schrank und Schreibtisch und ein Bücherregal, das bis unter die Decke reichte. Das waren ihre Schätze, die fernen Welten, in denen sie sich so oft verlor, wenn sie in der, in der sie lebte nichts mehr zu halten schien. Die schwarze Akustikgitarre neben ihrem Bett war die andere und wie sie selbst fand, viel zu selten gewählte Alternative, um dem Alltag zu entfliehen.
An der Wand darüber, über der alten blau-lila Blümchentapete, hing das einzige Bild in ihrem gesamten Zimmer. Es zeigte eine junge Frau, mit langen braunen Haaren und dem strahlendsten Lächeln, das Emma je gesehen hatte. Die junge Frau auf dem Bild war Emmas Mutter. Der Grund, warum es das einzige Foto war, das in Emmas Zimmer hing war, dass ihre Mutter seit mehr als fünfzehn Jahren tot war. Vom einen auf den anderen Tag hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Warum, das wusste Emma nicht. Sie hatte oft versucht es zu verstehen, die verschiedensten Menschen hatten versucht es ihr zu erklären und das auf alle erdenklichen Arten und Weisen, doch für Emma blieb es ein Rätsel. Doch sie hatte sehr wohl verstanden, dass man die Zeit nicht zurück drehen konnte und obwohl sie erst zwei Jahre alt gewesen war, als ihre Mutter sie verlassen hatte, war sie glücklich darüber, sie gehabt zu haben. Doch vergessen, das wollte Emma nicht. Das wäre angesichts der unzähligen Fotos, die ihre Oma nach dem Tod ihrer Tochter im gesamten Haus verteilt hatte wohl auch kaum möglich gewesen. Es waren sogar so viele, dass sie beinahe denen von Esthers Ehemann Konkurrenz machten.
Emma hatte ihren Großvater Leo zwar nie kennengelernt, doch Oma Järvi sprach oft von ihm, viel öfter, als über ihre verstorbene Tochter. Sie sprach darüber, wie er in den Siebzigern mit seinen Brüdern nach Deutschland gekommen war, eine Tatsache, die Emma nie ganz nachvollziehen konnte, und wie er sie in das kleinen Dorfkino, das vor ein paar Jahren dem Rathaus weichen musste, eingeladen hatte und sie seitdem unzertrennlich gewesen waren. Esther erzählte ihrer Enkelin diese Geschichten, wie es eine Frau im Altersheim mit den Pflegern tun würde, dabei war sie erst vor einigen Tagen 61 geworden. Aber Emma liebte die Art, wie ihre Oma kein Detail in ihren Erzählungen ausließ, sodass man sich alles ganz genau vorstellen konnte. Und das auf ihre eigene Weise. Genauso, wie sie ihr Leben hier liebte. Nur sie und ihre Oma, der mit Abstand liebste Mensch auf diesem Planeten.
So störte es sie auch nicht im Geringsten, dass sie ihren Vater nicht kannte, ja, nicht einmal wusste, wer er überhaupt war. Immerhin gab es sicherlich einen Grund, warum er kein Teil von Emmas Leben war. Wer weiß, vielleicht war er ja genauso mausetot wie ihre Mutter. Aber darüber machte Emma sich keine Gedanken. Für nichts in der Welt hätte sie ihr, in ihren Augen perfektes Leben aufgegeben. Doch das lag, so schien es, schon lange nicht mehr in ihrer Hand...
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Suomi, hei!
FanfictionWas, wenn du dein kleines perfektes Leben auf einmal komplett über den Haufen schmeißen müsstest? Was, wenn sich alles verändert und das nur, weil du zur falschen Zeit am falschen Ort warst und auf jemanden triffst, den du eigentlich für tot gehalte...