Kapitel 3 - Es ist deine Entscheidung

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Abwesend spielte Samu mit dem halbvollen Glas, das vor ihm auf dem Tisch stand, während er angestrengt versuchte, ein paar Gesprächsfetzen, die dumpf durch die Wand zum Flur drangen, zu entziffern. „Ist alles okay?", fragte er, als Esther wieder das Wohnzimmer betrat. Sie nickte langsam. Nachdenklich legte sie den Kopf leicht schief und musterte Samu. „Was?", fragte er, als er bemerkte, wie sie ihn ansah. Sie atmete einmal tief ein, bevor sie meinte: „Ich habe es ihr noch nicht erzählt. Ich wusste nicht wie ich so was angehen sollte. Aber...wenn du willst...jetzt ist sie hier.". Esther deutete mit dem Daumen zur Treppe. Völlig perplex starrte Samu sie an, denn darauf war er nun wirklich nicht vorbereitet gewesen. Aber...sollte er? Etwas in ihm drängte ihn in diesem Moment dazu, jetzt sofort aufzustehen und diese Treppe zu nehmen...aber er konnte nicht. Seine Beine wollten sich keinen Zentimeter bewegen. Wie festgefroren saß er da, den Blick starr an die Wand gerichtet. Und anders als sonst, wusste Esther diesmal sofort was in ihm vorging. „Denk darüber nach. Es ist deine Entscheidung.", sagte sie, als sie sich wieder auf ihrem Stuhl niederließ. Noch immer regungslos starrte Samu auf diese potthässliche orangene Tapete, in der Hoffnung, sie könnte seine wirren Gedanken irgendwie ordnen. Eine Weile beobachtete Esther ihn dabei, bis sie vorsichtig meinte: „Ich glaube, es wäre keine schlechte Idee.".

Jetzt kam allmählich wieder Leben in ihn. Mit einem Ruck wandte er sich von der Wand ab und schüttelte langsam, kaum merklich den Kopf. Er war noch nicht so weit, nein. Er war einfach noch nicht bereit Vater zu sein. Sein Blick sank auf die Tischplatte. „Ich kann das nicht.", flüsterte er und wollte aufstehen, doch Esther griff blitzschnell nach seinem Arm und hielt ihn an Ort und Stelle. „Samu, du musst das nicht tun, wenn du nicht willst.", sagte sie und fuhr nach einer kleinen Pause fort: „Aber Mira hätte es so gewollt.". Resigniert schloss er die Augen, er wusste genau, dass sie recht hatte. Wenn sie so mit ihm sprach, erinnerte sie ihn irgendwie an seine eigene Mutter. Was würde sie wohl denken, wenn sie wüsste, wo er gerade war oder was er hier tat? Und was würde sie erst denken, wenn er eines Tages mit einem Kind vor ihrer Haustür stünde? Seinem Kind? Er kniff die Augen zusammen und stützte den Kopf in die Hände. Esther konnte sehen, wie er förmlich mit sich rang, mit ihren Worten in seinem Kopf. Wissend, dass sie heute sonst gar nichts mehr aus ihm herausbekommen würde, verkniff sie sich einen weiteren Kommentar. „Okay.", meinte er schließlich nach einer halben Ewigkeit. Überrascht über seinen plötzlichen Sinneswandel sah sie ihn an. Seine tiefblauen Augen sprachen Bände und Esther wusste genau, dass das hier nicht seine, sondern ihre Entscheidung gewesen war. Deshalb bekräftigte sie ihn erneut in dem Glauben, er müsse nicht, wenn er nicht wollte, doch jetzt bestand er darauf. Fest entschlossen, das hier durchzuziehen, erhob er sich und wollte gerade den ersten Schritt in Richtung Treppe machen, als diese Stimme, die er an diesem Morgen zum ersten Mal gehört hatte wieder an sein Ohr drang: „Oma, hast du meinen Pulli gesehen?". Samu hielt inne und eh er sich versah, stand sie auch schon in der Tür. Abrupt blieb sie stehen, als sie den großen blonden Mann, der da etwas verloren mitten im Wohnzimmer stand, wieder erkannte. 

Warum stand er in Omas Wohnzimmer? Was wollte er hier? „Äh...", stammelte Emma, während sie verwirrt zwischen Oma Järvi und dem Mann im Raum hin und her deutete. Sie war sichtlich verwirrt, was auch Samu nicht entging. Und er war sich sicher, dass man auch ihm ansehen musste, wie er gerade die Nerven verlor. Obwohl er angestrengt versuchte ruhig zu wirken, herrschte in seinem Inneren gerade das reinste Chaos. Jedes Mal, wenn er dieses Mädchen sah, sah er Mira. Wie sie in Fleisch und Blut vor ihm stand. Sein Herz raste, sein Blut schoss in atemberaubender Geschwindigkeit durch seine Adern und wie sehr er es auch versuchte, so ließ die Erinnerung sich einfach nicht verdrängen. Hilfesuchend sah er zu Esther, die ihm jedoch nur mit einem leichten Kopfnicken bedeutete, seine wohl doch recht offensichtliche Angst zu überwinden. Also fasste er sich, zum zweiten Mal an diesem Tag ein Herz, atmete noch einmal tief ein und ging einen Schritt das Mädchen mit dem ihm nur allzu bekannten Gesicht zu. 

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