Die Wahrheit

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Die Wahrheit

„Wie hast du das gemacht?“, fragte mich Alec am nächsten Tag in der Chemiestunde. „Was gemacht?“, fragte ich verwirrt. „Du weißt schon“, meinte er. Als ich ihn immer noch verdutzt ansah, fügte er hinzu: „Im Sportunterricht. Du konntest den Ball nicht sehen, den ich auf dich geworfen habe und trotzdem hast du dich genau in dem Moment umgedreht und ihn abgefangen. Wie ist das möglich?“ „Du gibst also zu, dass du extra auf mich geworfen hast?“, fragte ich zurück. Verdammt! Ich wollte doch nicht mehr mit irgendwem reden! Ich musste ihm aus dem Weg gehen! „Lenk nicht ab. Ich habe dich was gefragt!“ Ich drehte mich demonstrativ von ihm weg. Dann konzentrierte ich mich auf den Unterricht und blendete ihn völlig aus. Als es klingelte war ich schnell an der Tür und hatte den Schulhof vor allen anderen erreicht. Ich lief irgendwo entlang und kam schließlich an einem riesigen Baum an. Ich sah mich um und kletterte in Vampirgeschwindigkeit hinauf. Perfekt! So konnte ich alles sehen, wobei niemand mich sah. „Gabrielle?“, fragte eine Stimme von unten. Na toll! Zu früh gefreut! „Oh mein Gott, wie bist du da so schnell hochgekommen?“ Es war Alec. Mal wieder. Ich antwortete nicht. Dann spürte ich ein kurzes Rucken von dem Ast auf dem ich saß. Alec versuchte zu mir hinauf zu kommen, doch zu meiner Freude schaffte er es nicht. Er kam noch nicht mal einen Meter hoch. Die Äste waren zu weit auseinander, als das ein normaler Mensch hier hoch kommen konnte. Wie hatte er mich entdeckt? Verdammter sei er. Er sollte sich von mir fern halten! Warum kapierte er das nicht? Musste ich ihm es erst klar und deutlich unter die Nase reiben? Mittlerweile kam der Rest seiner Jungs zu uns und sahen sogleich auch nach oben und entdeckten mich. „Was macht sie denn da oben?“, fragte Dean seinen Kumpel. Alec schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, ich weiß nur, dass sie verdammt schnell darauf gekommen ist.“ Ich rollte mit meinen Augen und machte es mir gemütlicher. Der Ast auf dem ich saß wurde ein wenig weicher und bequemer und ich flüsterte dem Baum ein leises: „Danke“ zu. „So, ich setze mich jetzt hier unten hin und warte, bis du wieder herunterkommen bist!“, sagte Alec und setzte sich auf einen der untersten Äste. Ich grinste in mich hinein und kitzelte den Baum einmal ein wenig da, wo ich den Ansatz des Astes vermutete, auf dem Alec saß, weil dieser fast bis zum Boden reichte. Der Baum zuckte ein wenig und der Ast auf dem Alec saß wurde einmal umher geschüttelt. Alec fiel herunter und riss einen kleinen Ast mit sich. Ein Schreien, welches sich breit machte, hallte durch meinen Kopf. Dann fing es an zu brennen. Ich hatte das Gefühl mein Kopf stünde in Flammen. Ich ließ die Äste los, an denen ich mich festgehalten hatte und fasste mir an den Kopf. Dabei schrie ich meinen Schmerz nach außen. „Hör auf!“, rief ich, „Hör auf! Bitte!“ Plötzlich schoss noch mehr Schmerz in meinen Kopf und ich spürte, wie meine Beine sich lösten und ich fiel. Ich wusste, dass ich weich landen würde. Als Vampir war ich ziemlich leichtfüßig. Doch ich kam gar nicht auf dem Boden auf. Ich wurde von zwei starken Armen aufgefangen. Der Baum schrie weiter vor Schmerz, weil er einen Ast verloren hatte. Mein Gehirn fühlte sich immer mehr so an, als würde es gleich explodieren. Schweißtropfen liefen meine Stirn hinab und immer wieder hörte ich meine eigenen Worte: „Hör auf, hör auf!“ Ich schrie es dem Baum entgegen,doch ich war nicht laut genug. Zwischendurch hörte ich nur eine andere Stimme: „Gabrielle, was ist los? Ich mach doch gar nichts. Was ist mit dir?“ Ich konnte nicht antworten. Die Schmerzen waren zu groß. Ich nahm nochmal all meine Kraft zusammen und schrie: „HÖR ENDLICH AUF!“ Augenblicklich herrschte Stille und die Kopf schmerzen verschwanden. Dann brach ich in mich zusammen. Alec saß immer noch neben mir. Doch er hielt endlich mal seine Klappe. Langsam hob ich meinen Kopf und stellte glücklich fest, dass es mir wieder fiel besser ging. 'Toll, Gab.', dachte ich, 'dann erkläre Alec mal, warum du so geschrien hast. Er hat im Gegensatz zu dir nämlich nicht den Baum gehört.' „Was ist bloß los mit dir?“, fragte Alec. Seine Stimme war leise und kaum zu hören. Er rückte ein Stück weg von mir. „Was bist du?“, fragte er weiter. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich durfte nicht. „Du bist stark, du hast enorme Sprungkraft, verdammt schnelle Reflexe und kannst innerhalb höchstens fünfzehn Sekunden dort hoch klettern.“ Ich hätte ihm ja jetzt sagen können, dass es bloß 1 Sekunde gebraucht hatte, aber das würde ihn nur noch mehr irritieren. „Warum?“, fragte er wieder, „Und warum hast du gerade so geschrien?“ Ich brauchte Erklärungen! Jetzt! Und zwar welche, die man mir abkaufen konnte. „Du bist kein normaler Mensch oder?“, fragte Alec und sah mich ängstlich aber zugleich auch trotzig an, „Aber was bist du dann? Bitte sag es mir!“ „Was, Alec?“, fragte ich ihn wütend, „Was genau soll ich dir denn sagen? Wie wärs mit: Nein, tut mir echt leid, ich bin ein Alien. Ist es das, was du willst, was ich sage??“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Nein!“, sagte er entschieden, „Ich will einfach nur die Wahrheit wissen.“ Der Ton in seiner Stimme war ausschlaggebend für das, was mir jetzt entfuhr. „Du willst es nicht wissen.“, fauchte ich und stand auf. Er tat es ebenfalls. „Dein Arm war vorgestern vollkommen mit Blut überströmt.“ Er nahm meinen Arm und zeigte auf die Stelle. „Siehst du das? Nein? Ich auch nicht, denn die riesige Wunde die da war ist verschwunden!“ Ich entzog Alec meinen Arm und schubste ihn von mir weg. Eine Träne lief mir über die Wange. „Du wirst mir so oder so nicht glauben!“, schrie ich ihn an. „Das einzige bei dem ich mir über dich sicher bin“, er machte eine Pause und schob seinen Pullover zurück, „ist, dass du komisch wirst, wenn du Blut siehst.“ Mit den Worten nahm er ein Messer aus der Tasche und machte einen kleinen Schnitt in den Arm. Augenblicklich begann mein Magen zu knurren und ich spürte, wie sich meine Zähne ausfuhren. Schnell drehte ich meinen Kopf weg, doch der Geruch stieg mir weiterhin in die Nase. Ich musste hier weg! Mit Vampirgeschwindigkeit kletterte ich bis in die Krone des Baumes und sah hinunter zu Alec, der verwundert hinauf sah. Er schob seinen Pullover wieder über die Wunde, die er sich zugefügt hatte und ich stand wieder neben ihm. „Was bist du?“, wiederholte Alec seine Frage. „Ich bin ein Vampir, Alec.“, erwiderte ich.

Der Auftragskiller || not editedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt