Ein Junge kommt selten allein

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Ein Junge kommt selten allein

Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Es lag nicht daran, dass ich es nicht konnte. Es war nur einfach so: Ich wurde nie müde. Vielleicht mussten Vampire nicht schlafen. Um kurz vor acht stand ich auf und blitzschnell war ich umgezogen. Ich trug meine schwarze eng anliegende Hose und mein rotes T-Shirt. Ich hatte diese Sachen die ganzen letzten Tage auch schon getragen; ich hatte noch nichts anderes. Ich schlüpfte in meine schwarze Lederjacke und ebenfalls schwarzen High Heels. Ich liebte schwarz. Kombiniert mit dem roten T-Shirt war es einfach perfekt. Ich setzte die Sonnenbrille auf und glättete meine braunen langen Haare. Jetzt war es zehn vor acht. Zeit für die Schule. Ich sprang aus dem Fenster im ersten Stock und landete elegant auf dem Fahrersitz meines neuen Autos. Der Motor sprang an und ich raste mit enormer Geschwindigkeit zur Schule. Ich parkte auf dem Parkplatz vor dem großen Gebäude. Die letzten Nachzügler rannten gerade hinüber in ihre Klassen. Ich hörte Klassenzimmertüren knallen und ging schnellen Schrittes in Richtung Sekretariat.

Die Frau vor mir sah mich irritiert an. „Müssten Sie nicht im Unterricht sein?“, fragte sie. „Oh, ich bin neu, hier!“, sagte ich amüsiert und wollte gerade meine Gedankenkontrolle anwenden, als sie sich wegdrehte und fragte: „Hast du dich schon angemeldet?“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte erneut Blickkontakt aufzunehmen. „Füllen Sie bitte das hier aus und lassen Sie es einen Erziehungsberechtigten unterschreiben.“ Ich sah ein, dass ich das Formular ausfüllen musste und war nach einer Minute damit fertig. Sogar das Schreiben ging jetzt schneller und auch meine Gedankengänge waren klarer als normal. Ich gab das Formular ab und jetzt sah sie mir endlich in die Augen. *Ich gehe jetzt in den Unterricht. Stellen sie keine weiteren Fragen und geben sie mir meinen Stundenplan* Damit verließ ich das Zimmer und sah hinab auf meinen neuen Stundenplan. Ich hatte auf dem Formular angegeben, welche Fächer ich besuchen wollte und hatte nun einen perfekten Überblick. Verdammt! Ich hätte sie fragen sollen, wo sich der Chemie-Raum befand. Jetzt musste ich ihn wohl oder übel selber suchen gehen. Kaum fünf Minuten später hatte ich die ganze Schule durchsucht und den Raum noch immer nicht gefunden. Doch ich gab nicht auf. Ein Gang war da noch, den ich noch nicht abgesucht hatte. Ich ging in Menschengeschwindigkeit den Gang entlang. Das Klacken meiner Absätze hallte von den Wänden zurück. Ganz am Ende des Ganges war der Raum. Der Raum den ich jetzt schon sehr lange suchte. Zumindest kam es mir so vor. Ich hatte bisher eigentlich bloß 6 Minuten mit suchen verbracht. Es hatte auch seine Vorteile, dass ich die ganze Schule durchsucht hatte. Jetzt hatte ich ein bisschen mehr Plan, wo ich nach der Chemiestunde hin musste. Nervös stand ich vor dem Raum. Ich schüttelte mich einmal innerlich, straffte meine Schultern und klopfte. Dann betrat ich den Raum und lächelte den dort stehenden Lehrer breit an. „Entschuldigen Sie, dass ich zu spät bin, ich bin neu hier und habe den Raum nicht gefunden.“, sagte ich immer noch lächelnd. Der Lehrer nickte freundlich. „Kein Problem, mir wurde nur nicht mitgeteilt, dass ich eine neue Schülerin bekommen würde.“ „Es war alles sehr kurzfristig!“, erwiderte ich und warf nun einen ersten Blick in die Klasse. Alle, niemand ausgenommen, starrten mich an. Dann ertönte eine Stimme aus der letzten Reihe. „Das ist ja Gabrielle.“ Ich kannte diese Stimme. Oh nein! Der Zeitung nach war ich tot. So wie meine Eltern. Aber das war bloß die Zeitung aus der anderen Stadt. War jemand hier, den ich vor meinem Tod gekannt hatte? „Du kennst sie?“, fragte eine andere Stimme erstaunt. Es war ein Junge mit braunen, vom Kopf abstehenden Haaren. Zu meiner Erleichterung saß neben ihm der Junge den ich am wenigsten erwartet hätte. Ich dachte, es wäre jemand von meinen alten Bekannten gewesen, aber es war: der Junge aus dem Möbelladen. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Was hätten die Menschen hier gemacht, wenn sie gewusst hätten, dass ich eigentlich tot bin? Oder besser: Was hätte ICH gemacht, damit sie ihre Klappe halten? Ich sah dem Jungen direkt in die Augen. Er sah zurück und winkte mich zu sich herüber. Ich brach den Augenkontakt augenblicklich ab und wandte mich wieder dem Lehrer zu. Dieser schien mich die ganze Zeit zu beobachten. „Setz' dich doch bitte nach hinten zu Alec, wenn er dich schon so bittet.“, sagte er. Ich ging durch die Tischreihen hindurch bis ganz nach hinten. Ich ließ mich langsam auf den Stuhl sinken und legte meine Handtasche neben den Tisch. Ich zog einen Block und einen Kugelschreiber hervor und fing an mir Notizen über den Unterricht zu machen. Alec, der Junge aus dem Möbelladen, beugte sich zu mir herüber. „Also, du mysteriöse Schöne, wie lautet dein Nachname? Ist er so schlimm, dass du mir ihn nicht mehr sagen konntest? Warum bist du einfach weggefahren?“ Ich sah ihn kurz an, sah dann aber wieder weg. Ich konnte doch nicht meinen alten Nachnamen benutzen, oder etwa doch?! Was, wenn jemand den Artikel über mich lesen würde. Klar, ich hatte mich verändert...Ich sah anders aus, aber meinen vollen Namen zu nennen, wäre trotzdem ein zu großes Risiko, so beschloss ich und antwortete: „Das willst du nicht wissen.“ Irgendwie musste ich ihm doch ausweichen, oder? Er schüttelte widersprüchlich den Kopf. „Doch ich will es eigentlich schon wissen-“ Ich hatte mich wieder dem Unterricht zugewandt und schaltete Alecs Stimme in meinem Kopf ab. Jetzt konnte er mit mir so viel reden, wie er wollte. Ich würde ihm nicht zuhören. Als es klingelte steckte ich den Block in die Tasche und verließ den Klassenraum.

Der Auftragskiller || not editedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt