quattre.

368 40 7
                                    

"Salut." Rief meine Mutter aus der Küche, als ich die Haustür hinter mir schloss und meine Schuhe von den Füßen kickte.

"Hallo, maman." Grüßte ich gut gelaunt zurück und hängte meine gelbe Regenjacke an den Haken, bevor ich mich von dem köstlichen Geruch des Abendessens in die Küche locken lies.

Hastig lies ich mich auf einen der vier Stühle fallen, die sich um einen schweren Holztisch reihten und tat mir eine Kelle des warmen duftenden Gemüses auf den Teller.

"Wie war dein Tag, chou?" Fragte mich meine Mutter während sie sich die langen blonden Haare zu einem lockeren Zopf hochband und sich dann neben mich sinken lies.
Meine Mutter war wirklich schön.
Ihre langen blonden Haare fielen in sanften Wellen bis zu ihren Schulterblättern hinab, in ihren großen blauen Augen schimmerte noch der Glanz von kindlicher Neugier und ihre Haut war trotz ihres fortgeschrittenes Alters nahezu makellos.

Meine große Schwester Louisa war ein perfektes Ebenbild meiner Mutter, ebenso groß, ebenso schlank, ebenso ein echter Männermagnet.
Ich stattdessen war wohl ganz die Tochter meines Vaters, mal ausgenommen von meiner Haarfarbe. Ich war eher durchschnittlich groß, hatte wildes verrücktes Haar, Rehaugen und ein spitz zulaufendes Kinn.

Wobei dieses Erscheinungsbild bei Männern in Kombination mit dunklen Augenbrauen und Haaren mit den leicht ergrauten Schläfen sogar nicht mal allzu übel aussah.

"Tiana?"
Ich schreckte hoch und blinzelte kurz, bevor ich mich wieder an ihre Frage erinnerte.

"Er war toll." Antwortete ich ihr grinsend, während mir vor meinem geistigen Auge ein lachender Arthur Jackson zuzwinkerte.

"Ich werde Marius definitiv zwingen, mich dahin zu begleiten." sagte Lilian freudestrahlend und nickte in Richtung des grellorangen Plakats auf der bröckelnden Hausmauer des Bäckers.

Auf dem Plakat gaben die schwarzen Schatten eines Jungen und eines Mädchens mit hochgesteckten Haaren eine beeindruckende Tanzposition zum Besten.
Darunter stand in großen dicken Buchstaben: MAT-
MODERN AND TRADITIONAL
am sechsten November, im Forum

"Das ist die ideale Gelegenheit mein neues lachsrosanes Rüschenkleidchen auszuprobieren. Auf normalen billo-Partys kann ich das nämlich nicht tragen!" Sie biss sich auf die Unterlippe. "Ich werde toll aussehen. Vielleicht trage ich einen dunkelroten Lippenstift und Smokey-Eyes dazu, das würde-"

"Lily!" Meckerte ich gelangweilt und stemmte die Arme in die Seiten. "Ich hab Hunger, der Chinese wartet!"
Lilian verdrehte lächelnd die Augen.
"Du Ignorant, Tia. Du wirst doch wohl auch auf das MAT gehen, richtig?" Sie wandte sich langsam vom Plakat ab und setzte sich dann Gott sei Dank endlich in Bewegung.

Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß nich' so genau."
Abrupt blieb Lilian stehen und wandte sich in meine Richtung. Mit empört aufgerissenen Augen sagte sie: "Du wirst da sowas von hin müssen, Tia. Hier ist doch sonst nichts los und sowas ist leider schon selten genug. Das muss man dann doch auch ausnutzen. Einmal so richtig schick feiern gehen und anstatt billigem Bier und Wodka, teure Cocktails und Champagner." Fasziniert schloss sie die Augenlider. "Stell dir doch mal das Szenario vor. Alle lachen, tanzen feiern, dann plötzlich platzen wir herein, heiß wie zwei rattenscharfe Engelchen natürlich, und alle würden uns bewundern." Sie seufzte zufrieden.

"Und um zwölf müssen wir schnellstens in unserer Kürbiskutsche nach Hause, weil uns unsere Stiefmutter sonst Linsen sortieren lässt." Fügte ich spöttelnd hinzu und knuffte meiner beleidigten Freundin dann leicht gegen den Arm.

"Komm schon." Fügte ich beschwichtigend hinzu "Ich geh da doch sicher nicht ohne Begleitung hin. Mit ist doch schon schrecklich auf solchen Veranstaltungen, aber ohne? Erstens wäre das echt traurig und ich würde mich vermutlich mit Alkohol abschießen und die Feier würde in einer Katastrophe ändern, oder ich würde den ganzen Abend alleine mit meinem Champagnerglas an der Theke sitzen und beim Anblick der turtelnden Paare so gut wie möglich versuchen, meine Kotze bei mir zu behalten."

Lilians Gesichtszüge wurden von einem kurzen Grinsen erhellt, und ich war zufrieden, dann aber schüttelte sie den Kopf.
"Du siehst klasse aus, Tiana. Du findest mit Leichtigkeit jemanden, der dich auf den Ball begleitet."
Sie fuhr sich über die raspelkurzen Haare.

Ich musterte sie prüfend, sah dieses gewisse Glitzern in ihren Augen, dann schoss ich hastig hervor: "Ich gehe nicht und niemals mit Namin hin! Schlag dir das sofort wieder aus dem Kopf!"

Namin war ein Junge, der mir in der Grundschule heimliche süße Liebesbriefchen geschickt hatte, aber inzwischen mit den Jahren ein ekelerregendes Faible für gefühlslose One-Night-Stands entwickelt hatte. Und leider sah er mich bereits als zukünftige Zugehörige seiner armen Opferclique, weshalb er mich häufig mit billigen Anmachsprüchen zu erobern versuchte, die Lilian als charmant bezeichnete. Ich bezeichnete sie als gehirnlos.

Lilian seufzte. "Das hatte ich befürchtet. Komm schon, er steht total auf dich und wäre ich nicht schon richtig in Marius verschossen, würde ich mir das Muskelpaket auf jeden Fall schnappen. Er geht pumpen, Tia! Pumpen!"
"Soll er doch, ich pumpe auch. Andere um Geld an."
Meine Witze wurden wirklich immer schlechter.

"Der war scheise." Sie verdrehte die Augen, dann lächelte sie schief. "Überlegs dir einfach nochmal, ja? Er wäre bestimmt keine schlechte Wahl, und ehrlich, ich versteh nicht, warum du dich so sträubst."

Ich verschränkte die Arme und sah meine rothaarige Freundin störrisch an. "Wegen Arthur natürlich!"

Lilian sah aus, als würde mir sie am liebsten den Kopf abreisen.
"Arthur Jackson ist bestimmt göttlich, aber du musst es nunmal einsehen, Tiana! Ein Arthur Jackson will nichts von jemanden wie dir!"

Erschrocken wich ich einen Schritt von meiner Freundin zurück.
"Von jemanden wie mir?"
Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals.

Lilian seufzte. "Jetzt bin ich wieder die böse Hexe. Es tut mir leid, Tia, aber das müsste dir doch längst selbst aufgefallen sein. Wir sind nicht gut genug für jemanden wie Arthur Jackson, aber das ist doch okay. Du und ich, wir sind eben nur okay."

Ich schluckte, meine Gedanken überschlugen sich.
"Er hat mich nach einem Date gefragt..." sagte ich, aber irgendwie klang der Satz, der mir zuvor noch die Welt bedeutet hatte, plötzlich lahm und unwichtig.
Ich sah zu Boden und begann die abgenutzten Pflastersteine zu zählen, die dort zu kleinen runden Mandalas gelegt worden waren.

"Und hat er sich schon bei dir gemeldet?" An ihrer Tonlage erkannte ich, dass sie die Antwort schon wusste. Ich hasste es, wenn Leute Fragen stellten, deren enttäuschende Antworten sie bereits kannten.
Ich hielt den Blick weiterhin auf den Boden gesenkt.

Lilian räusperte sich leise.
"Na siehst du. Sei mir bitte nicht allzu böse, Tia." Sie ging einen kleinen Schritt auf mich zu, drückte kurz meine Schulter, drehte sich dann um und ging.

Einer der Mandalakreise beinhaltete achtundreißig Pflastersteine.

SIMPLEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt