A few hours before

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A FEW HOURS BEFORE

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„Coco“, sage ich gestresst ins Telefon, drücke auf die Drucken-Taste und schnelle wenige Sekunden später vom Bürostuhl hoch um wahllos ein paar T-Shirts, Hosen und Unterwäsche in meinen Rucksack zu stopfen.

„Ella, komm mal runter und erklär mir das nochmal für Dummies, bitte“, antwortet Coco skeptisch und ich schüttle abwesend den Kopf, während ich meine Haarbürste suche.

„Keine Zeit!“ Gleichzeitig finde ich das Objekt meiner Begierde und werfe es dazu. Als letztes gehe ich ins Badezimmer, nehme mir meine Zahnbürste und die –Pasta und auch Kopfwehtabletten, weil meine Mutter sagt, dass man die immer gebrauchen kann.

„Dann mach es doch wenigstens kurz!“, versucht es Cornelia ein weiteres Mal und klingt jetzt definitiv genervt, irgendwie auch nervös. Ich stöhne, reisse den Verschluss des Rucksacks nach oben und beginne zu erklären, während ich über den Flur ins Büro laufe, wo unser Drucker steht.

„Ich hab eben ein Last Minute Flugticket nach London gebucht, der Flieger geht um 17:30, also in etwa fünf Stunden. Hat ein halbes Vermögen gekostet, weil die fast ausgebucht sind. Naja, wie auch immer. Ich muss zu Niall. Ich weiss ja, wo seine Wohnung ist und ich wollte dir das sagen, dass du dich nicht wunderst, wo ich bin. Wenn jemand von der Uni fragt, ich bin die nächsten sieben Tage krankgeschrieben.“ Geistesabwesend spreche ich und checke gleichzeitig die Daten auf dem E-Ticket. Stimmt alles. Ich werde ziemlich genau über dem Flügel sitzen, weil die Plätze dort immer relativ lange unbesetzt bleiben – man sieht ja auch nichts von dort aus… Mich soll es nicht stören.

„Und deine Eltern? Was sagen die?“, kommt es geschockt von Coco, ich höre genau, dass sie das alles erst verarbeiten muss. Meine Füsse bewegen sich wie von selbst zurück ins Zimmer und legen das Blatt Papier mit der Bestätigung in ein Mäppchen.

„Denen muss ich das noch beibringen, aber das wird schon schief gehen.“

„Ella!“, meint Coco empört und ich schüttle den Kopf, auch wenn sie es nicht sehen kann. „Du kannst nicht einfach mitten im Tag entscheiden, ob du nach London gehst! Das… Das macht man nicht!“, stösst sie hervor, ihre Stimme klingt höher als sonst. Ich mache ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge und krame auch noch meinen Pass hervor.

„Ist mir egal. Ich muss Niall sehen“, entgegne ich knapp. Und es stimmt. Wenn ich das zwischen uns in den nächsten Tagen nicht glätten kann, dann werde ich daran kaputt gehen. Die letzten paar Wochen waren ein Alptraum, geschnitzt aus Tränen, schlechtem Schlaf und absolut keiner Lust für irgendetwas, auch nicht zum Essen. Wenn ich damit nicht aufhöre, dann… Kann es nur bergab gehen. Und ich bin mir sicher, dass Niall auch nicht zu 100% auf dem Damm ist, wenn er sich so volllaufen lässt. Wie auch immer, uns geht es beiden scheisse, um es auf gut Deutsch auszudrücken und… Übers Telefon kann man solche Probleme einfach nicht lösen.

„…Du bist so verrückt“, versucht es Coco noch einmal, die Empörung in ihrer Stimme ist der Verzweiflung und auch einer Spur Belustigung gewichen. „Was machst du, wenn deine Eltern nein sagen? Wo wirst du in London übernachten? Holt dich jemand am Flughafen ab?“

„Nein. Dann tu ich es trotzdem, ich bin immerhin 19. Hoffentlich bei Niall. Ja, die U-Bahn“, rattere ich so schnell wie möglich herunter, während ich Pass und Flugbestätigung in den Rucksack stecke. Coco am anderen Ende der Leitung lässt einen lauten Seufzer ertönen.

„Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, dann kriegt man das nicht wieder raus, hm?“

Ich lächle humorlos in mich hinein, schliesse das Vorderfach des Rucksacks und meine: „Nein, definitiv nicht.“

On Repeat: Track Nr. 13 || n.h.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt