nikolas

27 9 0
                                    

Er will mir etwas von seinen Süßigkeiten reichen, doch ich drehe mich von ihm weg. Mit großen braunen Rehaugen sieht er mich durch die Dunkelheit an. Seine schwarzen Haare sind an einigen Stellen ausgefallen, doch ihn scheint es nicht zu stören. Auf einer Gummischlange herumkauend steht er barfuß neben meinem Bett. Er streicht mir mit der Hand über meine Schulter und sagt, ich solle aufhören zu weinen. Doch ich drehe mich von ihm weg. "Wie alt bist du?" fragt er, aber ich will ihm nicht antworten. Seine Süßigkeiten legt er auf das Regal neben dem Bett, setzt sich auf die Bettkante und beginnt zu reden.

Nikolas ist neun Jahre alt und schon lange im Krankenhaus. In drei Tagen soll er in ein Krankenhaus nach Linz verlegt werden. Er scheint nicht besonders betrübt darüber zu sein. Krankenhäuser seien alle gleich, so sagt er. Viermal ist er schon operiert worden, aber die fünfte Operation soll in einem Krankenhaus stattfinden, welches sich auf Gehirnoperationen spezialisiert hatte. Nikolas hat Krebs und er tut mir leid, da ich denke, dass man an Krebs unweigerlich sterben müsse. Es ist nach ein Uhr morgens, als er mir zeigt, wie man das kleine Radio einschaltet, um sich anschließend in sein eigenes Bett zu legen und mir durch den Raum ein leises "Gute Nacht" zuzuflüstern.

Nikolas saust ins Zimmer. Noch bevor ich ihn sehe, höre ich ihn. Er ruft laut meinen Namen, den er inzwischen herausgefunden hat. Er trägt ein dunkelgrünes Fußballtrikot und einen signierten Fußball unter dem Arm. Er keucht. "Ich hab ihnen gesagt, dass ich eine Freundin habe, die nicht aufstehen darf, deshalb kommen sie in ein paar Minuten in unser Zimmer." Er ist ganz aufgeregt und auch ich freue mich ein bisschen darauf, doch als zwei der Fußballspieler hereinkommen, verstecke ich mich unter der Decke. Nikolas stellt mich ihnen vor und erklärt ihnen, dass ich schüchtern sei. "Wie alt bist du denn?" fragt mich einer der Fußballspieler. "Acht" antwortet Nikolas für mich. Er steckt den Kopf zu mir unter die Decke und lächelt mir zu. Es macht mir Mut und ich schaue unter der Bettdecke hervor. Die beiden reden noch eine Weile mit mir, dann unterschreiben sie auf meinem Zeichenblock und wünschen mir alles Gute.

Es ist der letzte Tag vor seiner Verlegung in das andere Krankenhaus und er verabschiedet sich von mir, doch ich weiß nicht mehr genau wie und wann.

Wenn ich heute, fast neun Jahre später an ihn zurück denke, frage ich mich, was aus ihm geworden ist. Ich kann die Augen schließen und sehe noch immer sein Gesicht vor mir, mit dem sanften Lächeln und dem mitfühlenden Blick. So fröhlich und doch so weise und erwachsen für sein Alter. Vielleicht ist er jetzt ein normaler Jugendlicher, vielleicht erinnert er sich auch noch an mich, vielleicht ist er aber auch gestorben. Ich weiß es nicht.

Book of Life Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt