Kapitel 1

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Okay, ja.

Es war mein Fehler, dass ich mitten in der Nacht spontan spazieren gehen musste.
Und dass ich dazu den Waldweg an unserem Garten wählte.
Doch mir war das Riskio einfach zu groß, an einem Samstag innerhalb der Nachbarschaft rumzulaufen, wenn da jederzeit jemaden aus meiner Schule sein könnte, der betrunken war.

Ich habe das Ganze eigentlich auch ziemlich gut durchdacht. Zettel für meine Eltern, besonders für meinen Dad, der den Tick hatte, mitten in der Nacht Schokolade essen zu müssen. Handyakku voll, Headset in der Jackentasche, dicke Strümpfe zu meinen Winterstiefel und einen fetten Hoodie. Ich war so warm eingepackt, wie ein Forscher in Alaska. Und wir hatten gerade mal Herbst.
Auf jeden Fall bin ich los und habe mich auf den Weg zum Wald gemacht. Es war echt nicht gruselig. Und das sage ich nicht nur, weil ich sämtliche Dinge mit Horror liebe. Nein. Dieser Wald war mir so vertraut, wie meine angeblich unordentliche Schublade meines Nachtisches (danke Mum). Ich hatte dort schon sämtliche Tage und Nächte meines bisherigen Lebens verbracht. Und genau deswegen stockte ich kurz, als ich ein Stöhnen hörte.

Natürlich hätte es ein Paar sein können, dass sich einen kleinen Kick verschaffen wollte und es nun im Wald trieb, aber die Einwohner dieser Stadt wussten es besser. Man konnte sich hier nämlich all mögliche Sachen einfangen, wenn man nicht vorsichtig war. Haufenweise Jugendliche hatten sich hier etwas gespritzt, aber es waren auch noch einige Tierseuchen unterwegs.
Also, wurde ich skeptisch.

Mein erster Gedanke war natürlich: "Renn."

Mein zweiter dagegen war: "Was wenn es jemand in Not war?"

Der dritte dann wieder: "Genau deswegen sterben die weißen Mädchen in Filmen immer zuerst."

Und so lebenspositiv wie ich war, bestand mein letzter Gedanke, bevor ich zu dem immer noch vorhandenen Stöhnen lief: "Hey, wenn ich jetzt sterbe, muss ich mir keinen Sorgen um meinen Abschluss, wie meiner Zukunft machen und nie wieder heulen, weil ich mir etwas nicht leisten kann. Also let's go!"

Vorsichtig machte ich mich also auf den Weg in den Wald und verließ den sicheren Pfad. Desto mehr ich in ihn reinging, desto näher kam das Geräusch und wurde von einem Neuen begleitet. Es war ein echt abartiges Geräusch. Als würde jemand ein Knochen durchschneiden wollen (ich kenne das nur, aufgrund meiner jahrelangen Horrorfilmliebe und dem Lieblingsessen meiner Mum: Hähnchen).

Als ich schon meinte, dass ich mir alles nur einbildete, entdeckte ich tatsächlich, mitten im Wald, ein Feuer. Was mich nur fragen ließ, ob die Personen hier nicht nur dumm, sondern auch lebensmüde waren.

Doch bevor ich mich weiter wundern konnte, blieb ich schockiert stehen.

Genau vor mir, keine 500 Meter entfernt, war ein Tisch, zumindest hielt ich ihn für einen, da er mit einem roten Samtuch bedeckt war. Nur das Teller und Besteck fehlten. Dafür gab es ein Mädchen als Hauptgang.

Und hätte ein Junge ihr nicht gerade ein Messer in die Brust gerammt und sie dabei nicht dieses komische Stöhnen samt Blut über ihre Lippen gelassen, hätte ich das ganze für ein Drehset von einen echt versauten Porno gehalten.

Der Junge zog das Messer wieder heraus und lächelte dabei spöttisch auf. Dann fing er an irgendetwas zu sagen, was ich noch nie gehört hatte.

Doch ich konnte die Veränderung in der Luft spüren und auch sehen, wie das Feuer auf seine Worte reagiert. Alles war still. Nicht einmal ein Knistern oder Rauschen war zu hören. Sein Gesang mit den fremden Wörtern war das einzige, was zu hören war.

Das Mädchen unter ihm versuchte durch den Knebel, den ich gerade erst bemerkte, noch etwas zu sagen, während sie mit ihrem Leben rang. Doch das hielt keine Sekunde an, da schon wieder das Messer hinuntersauste und ihre Kehle aufschnitt. Augenblicklisch schoss Blut aus der Wunde.

Sie schaute zuerst schockiert, aber ließ dann ihren Kopf zur Seite sacken. Genau zu mir.

Und als hätte Gott es so gewollt, erkannte ich sie und sie mich.

Es war Hanna aus Mathe. Sie hatte immer vorne gesessen und hatte angeblich eine Vorliebe für Fösche und Kröten, weswegen kein Junge etwas mit ihr zu tun haben wollte, aus der Angst sich eine Warze zu fangen.

Obwohl deutlich war, dass sie jederzeit sterben würde, erschien soetwas wie Hoffnung in ihren Augen, als sie mich zuordnen konnte, und sie fing an zu schreien.

Dabei darf man nicht vergessen, dass ihre Kehle offen und ihr Mund geknebelt war.
Es hörte sich widerlich und gänsehauterregend an, und ich würde es bestimmt nie vergessen.

Genauso wenig, wie den Moment, als der Junge seinen Blick in meine Richtung lenkte und erkannte, dass ihn jemand bei seinem Mörderakt gesehen hatte.

Er zischte auf und innerhalb von Sekunden leuchteten seine Augen blutrot auf.

Und weil Gott es heute echt gut meinte, kannte ich ihn ebenfalls.

Es war Mino.

Fucking Mino, der beliebteste Junge unserer Schule.

Nicht nur weil er nett, höflich, schlau und talentiert war. Nein, auch weil seine Eltern stinkreich waren und er das süßeste Lächeln hatte, dass nur durch seinen angepissten oder ernsten Blick getopt werden konnte.

Genau der schaute mich nun mit diesen komsichen roten Augen an, wärend Hanna nun endgültig das letzte Mal atmete und er mich tatsächlich anknurrte.

"Fuck ma life.", murmelte ich also bloß und rannte so schnell zurück, dass meine Sportlehrerin vor Freude geheult hätte.

Die ganze Zeit hatte ich dabei panische Angst hinzufallen, oder eine Hand zu spüren, die nach mir griff. Doch nichts davon geschah. Und ehe ich mich versah, war ich wieder in unserem Haus. Komplett aus der Puste und verschwitzt und bereit nach Kanada auszuwandern, um dort auf einer Elchfarm als Frederike Hildegard ein neues Leben anzufangen.

"Hey Meg, da bist du ja. Lust auf Schokolade?", riss mich mein Dad aus meinen Gedanken und jagte mir einen Riesenschreck ein. Er stand im Bademantel mitten im Flur. In der Hand Schokolade und mit absoulter Gelassenheit in seinem Gesicht, als wäre es nicht mitten in der Nacht.

"Nein, danke.", stammelte ich bloß und zog meine Schuhe aus, um innerhalb von Sekunden in meinen Bett zu sein.

Dass ich noch immer die Sachen anhatte und nicht meinen Schlafanzug, war mir egal.

Ich presste bloß meine Augen zusammen und hoffte, dass ich bald aufwachen würde, nur um dann festzustellen, dass ich wirklich keine Cola trinken sollte, bevor ich schlafen gehe, weil ich dadurch krankes Zeug träumte.

Doch ich schlief nicht ein.

Auch nicht, als die Sonne langsam aufging und die Vögel glücklich sangen, als hätte ich nicht erst vor ein paar Stunden einen Mord miterlebt.

Shit.

How To Remain Virgin || Mino FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt