Phil trat an das Fenster und beobachtete ihren Schatten, wie sie die Straße entlanglief. Er pustete die Luft aus seinen Lungen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es hatte keinen Zweck, ihr zu folgen, das wusste er. Wenngleich er sie überall aufspüren könnte.
Er stützte seine Hände auf die Fensterbank und lehnte sich hinaus. Er schaute die Stockwerke hinunter zur Straße und erkannte Ruben und Leon im Kegel einer Straßenlaterne. Leon starrte Charlie noch immer hinter, obwohl sie bereits in der Dunkelheit der Nacht verschwunden war. Ruben hingegen fixierte Phil mit emotionslosem Blick und winkte ihn herunter. Seufzend sprang er aus dem Fenster und landete neben seinen Freunden auf dem Asphalt.
»Was ist passiert?« Rubens rauchige Stimme jagte Phil wie immer einen Schauer über den Rücken.
Ihm war bewusst, dass Ruben seine Sichtweise nicht verstand. Doch er fühlte auch nicht das, was Phil spürte, wenn er in ihrer Nähe war. Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist abgehauen«, sprach er das Offensichtliche aus.
»Wir müssen ihr folgen!«
»Es ist ein Spiel, Ruben. Und diesmal hat eben sie gewonnen.« Phil schaute seinen Freund nicht an, als er mit ihm redete. Er würde aus seinen Augen lesen können, was der tatsächliche Grund für seinen Rückzug war. Der Gedanke, sich mit ihr zu messen, war eigenartig verlockend für ihn. Er wollte das Spiel weiter spielen. Selbst wenn es bedeutete, dass auch sie mit Niederlagen zu rechnen hatten.
»Du kannst sie nicht immer gewinnen lassen. Wir haben Anweisungen.« Ruben verschränkte die Arme, aber Phil ging nicht weiter darauf ein. Dieses Gespräch wollte er nicht noch einmal führen. Viel zu oft stritt er mit dem skrupellosen Jäger darüber, dass es in ihrem Wettkampf darum ging, einen Ausgleich zu schaffen. Selbst wenn es bedeutete, sie das eine oder andere Mal kampflos fliehen zu lassen. Charlie war vielleicht ihre Gegnerin, aber auch sie hatte ein faires Spiel verdient.
Phil legte eine Hand auf Leons Schulter und dieser zuckte kurz zusammen. Viel zu eingenommen war er von dem Schatten, der sich immer weiter von ihnen entfernte »Sie kommt klar«, beruhigte er ihn. Leon nickte wortlos und Phil ahnte, woran er dachte. Er selbst empfand es auch beinahe als Ironie, dass ausgerechnet Leon gegen Charlie kämpfen sollte.
Die Mondgöttin Shyme hatte ihnen aufgetragen, ihr zu folgen. Phil war sich unsicher, weshalb sie ihn und seine Freunde ausgerechnet auf sie hetzte. Es war, als wusste sie, dass Phil sie überall aufspüren konnte. Wenngleich er nicht verstand, weshalb ihm das möglich war. Gleichzeitig schien es, als wollte sie prüfen, ob Leon seiner Aufgabe gerecht wurde. Dabei sollte sie wissen, dass gerade er Charlie nie etwas zu Leide tun konnte. Umso eher wartete Ruben darauf, ihr Dasein zu zerstören und alle Traumsammler zu vernichten. Es bereitete Phil große Mühe, es beiden recht zu machen. Seltsamerweise bereitet es ihm keine Probleme, andere Gruppen von Traumsammlern aufzuhalten. Schon viele hatten sie vernichtet. Vielen ihr Gebiet streitig gemacht, sie verjagt und einige sogar mit dem Entzug ihrer Energie zu leeren Hüllen gemacht. Aber Charlie war anders, hartnäckig und er konnte nicht genau sagen, ob es daran lag, aber Phil bewunderte sie.
»Wir dürfen Shyme nicht noch öfter enttäuschen. Du weißt, was passiert, wenn wir ihren Anforderungen nicht gerecht werden«, gab Ruben zu bedenken und Phil nickte. Schon viele gute Jäger waren verloren, schuftete nun seelenlos in den Fängen der unbarmherzigen Göttin. Es war ein Leben, das auch ihnen bevorstehen konnte, wenn sie unzufrieden mit ihnen war. Doch Phil machte sich darüber keine Sorgen. Er war einer von Shymes Lieblingen und hatte ihr bereits viele Traumsplitter gebracht. Er war ein starker Weltenjäger, einer, der Menschen manipulieren konnte. Einen solchen würde sie nicht einfach aufgeben. Zumindest hoffte er das.
»Ich werde nicht gegen eine wehrlose Frau kämpfen, schon gar nicht zu dritt gegen sie allein. Das wäre selbst mir zu unfair«, behauptete Phil, auch wenn Fairness nicht seine Stärke war. Aber er wollte sich nicht immer rechtfertigen. Er würde Charlie nicht behandeln wie die anderen Sammler. Irgendetwas in ihm sträubte sich, gegen sie zu kämpfen. Nicht, weil er fürchtete, gegen sie zu verlieren. Es beunruhigte ihn, dass er sich eher um sie sorgte, als sie wie alle anderen für seine eigenen Ziele auszunutzen. Wie hatte es seine Gegnerin geschafft, einen Teil seiner Loyalität zu gewinnen? Er teilte seinen Freunden seine Gedanken nicht mit, sie würden es nicht verstehen.
»Sie hat die Einsamkeit selbst gewählt.« Rubens Stimme war fest und emotionslos.
Leon schnaubte nach Rubens Worten durch die Nase und schüttelte den Kopf, sagte allerdings nichts.
Phil wollte einen Streit verhindern. »Du weißt, dass es nicht nur von ihr ausging.« Er schaute zu Leon, dessen Kiefer aufeinander mahlten. »Jetzt ist es sowieso zu spät, sie einzuholen. Sie versteckt sich bestimmt irgendwo und behütet die Traumsplitter wie ein Baby. Lasst uns nach anderen Traumsammlern suchen, die uns die Energien mehr oder weniger bereitwillig übergeben«, ordnete er an und ließ keine Widerworte zu.
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Traumsammler
ParanormalManchmal kommt es vor, dass selbst harmlose Träume Spuren in uns hinterlassen, weil die Emotionen darin zu stark waren, um sie einfach zu vergessen. Charlie ist eine Traumsammlerin, die solche Emotionen aus den Träumen der Menschen absorbiert, um s...