Als es zur Mittagspause läutete, beeilte ich mich, schnell in die Bücherei zu kommen. Ich wollte unbedingt mein Buch weiterlesen.
Als ich bei der Tür der Bibliothek ankam, ging gerade Annie heraus. Was machte sie denn hier? „Tut mir leid, Ruby, aber du kannst heute leider nicht mehr in die Bücherei. Mrs Fletcher ist krank und jetzt habe ich Aufsicht in ihrer Klasse."
Ich nickte enttäuscht. „Ok. Dann such ich mir einen anderen Ort zum Lesen."
Also ging ich auf den Pausenhof. Wo war es hier denn einigermaßen ruhig? Da fiel mein Blick auf den Teich. Niemand war dort, weil die meisten entweder auf dem Fußballplatz oder bei den Tischtennisplatten.
Also setzte ich mich auf einen Stein neben dem Teich und holte mein Buch hervor. Endlich konnte ich wieder lesen.„Na gut", erwiderte Lucas. „Dann mach ich mit Jelena Schluss. Jetzt sofort! Sie bedeutet mir schließlich nichts mehr. Ich will nur mit dir zusammen sein!"
Catherine schüttelte den Kopf. „Das solltest du nicht tun. Jelena liebt dich. Und ihr könnt das wieder hinkriegen."
„Cat, Jelena liebt mich genauso wenig wie ich sie, glaub mir das bitte", bat er.
Doch wieder schüttelte sie den Kopf. „Ihr Jungs seid einfach manchmal blind. Ich sehe doch, wie wichtig du ihr noch bist. Ihr kriegt das wieder hin. Das weiß ich."
„Du hast einfach ein zu großes Herz", meinte er.
Doch so war es nicht. Cat hatte das nicht gesagt, weil sie ein so großes Herz hatte, sondern weil sie Angst hatte vor Jelena. Sie war so viel beliebter als Cat und würde sie vermutlich fertig machen, wenn sie ihr ihren Freund ausspannte.„Du liest Something Special?", hörte ich plötzlich eine überraschte Stimme.
Erschrocken blickte ich auf. Da stand Jules, der Neue. „Warum fragst du?"
Er zuckte die Achseln. „Ich mag das Buch."
Ungläubig sah ich ihn an. „Du? Wirklich? Ich hätte gedacht, Jungs finden sowas kitschig."
Er schüttelte den Kopf. „Sagen wir mal so, ich hätte es wohl nie einfach so gelesen. Aber nachdem ich es gelesen hab, hat es mir gefallen."
„So?", hackte ich nach. „Wie bist du denn dazu gekommen, es zu lesen?"
Er blickte zu Boden. „Wegen meiner Schwester", erklärte er. „Sie hat dieses Buch geliebt. Aber dann hat sie Krebs bekommen und irgendwann war sie zu schwach, um selbst zu lesen. Also hab ich ihr vorgelesen. Unter anderem dieses Buch. Und da habe ich gemerkt, dass solche Bücher eigentlich gar nicht so schlecht sind."
„Oh, das tut mir leid", sagte ich verlegen. „Wie geht es deiner Schwester denn jetzt?"
„Sie ist tot", sagte er schnell.
Erschrocken schlug ich mein Buch zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Wie konnte ich nur so tollpatschig sein, sowas zu fragen? „Oh Gott, das tut mir so leid", entschuldigte ich mich. „Ich wusste nicht, dass..."
„Ist schon gut", unterbrach er mich. „Ich bin mittlerweile gewohnt, davon zu erzählen."
Ich wollte noch irgendetwas sagen, um ihm zu zeigen, wie leid es mir tat. Aber dann entschied ich mich, lieber meine Klappe zu halten. Sonst würde ich es nur schlimmer machen. Also tat ich nichts, außer meine Hand auf seiner Schulter liegen zu lassen.
Da sah er mich an. „Ruby?"
Ich blickte ihn an und war ein wenig überrascht, dass er sich an meinen Namen erinnerte. „Was denn?"
„Es ist wirklich schön mit dir zu reden", erwiderte er. Dann seufzte er. „Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie erinnerst du mich an meine Schwester."
Nun legte ich mein Buch beiseite und rutschte ein Stück näher zu ihm. „Möchtest du mir etwas über sie erzählen?"
Er zuckte die Achseln. „Ach, ich will dir damit nicht auf die Nerven gehen."
„Das tust du nicht", widersprach ich schnell. „Ich meine, wenn du nicht reden willst, ist das okay, aber ich würde mich freuen, wenn du mir von ihr erzählst."
Er lächelte. „Also schön. Dann erzähle ich dir von ihr." Nun wurde sein Blick traurig. „Sie hieß Lydia. Und sie war einfach großartig. Wenn ich ehrlich bin, war sie ein wenig wie Catherine aus Something Special. Weißt du, sie war nie so oberflächlich wie andere. Sie war ein stilles, natürliches Mädchen. Als ich noch klein war, hab ich immer damit angegeben, was ich für eine tolle große Schwester habe." Er musste lächeln. „Natürlich haben wir uns auch gestritten, wie andere Geschwister auch. Aber wir haben uns immer wieder versöhnt. Und sie hat mir immer Geschichten vorgelesen oder selbst welche erfunden. Doch vor vier Jahren, kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag ist sie krank geworden. Also hab ich von da an ihr vorgelesen. Ich war jeden einzelnen Tag bei ihr. Als sie ein Jahr später dann gestorben ist, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Sie hat mir so viel bedeutet. Und plötzlich war sie weg. Einfach nicht mehr da. Und seit sie gestorben ist, ist noch kein Tag vergangen, an dem ich nicht an sie gedacht hab. S-sie fehlt mir so." Da brach er in Tränen aus.
Was sollte ich denn jetzt tun? Ich hatte kaum Erfahrung mit solchen Situationen. Ich wusste nicht, wie man jemanden tröstete.
Also drückte ich ihn kurz entschlossen an mich. Und ich war ein wenig verwundert, dass er mich gewähren ließ. „Ich bin sicher, dass sie ein großartiges Mädchen war", meinte ich und strich ihm über den Rücken.
„Ja, das war sie", schluchzte er. Da löste er sich von mir. „Danke, Ruby. Das hat gutgetan."
„Du musst dich nicht bedanken", entgegnete ich. „Was du von deiner Schwester erzählt hast, war wirklich schön."
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Une histoire d'amour
Teen FictionRuby ist eine Außenseiterin. Während sich alle anderen Mädchen für Jungs interessieren, beschäftigt sie sich lieber mit ihren Büchern. Zumindest bis sie den neuen Schüler aus Frankreich kennenlernt. Jules. Er ist der einzige, der in ihr mehr sieht a...