Sie blinzelte einige Male um sich an das hereinfallende Sonnenlicht zu gewöhnen. Drehte sich auf die linke Seite um die Stimme von Whitney Houston verstummen zu lassen.
Doch ihre Stimme war schon längst verstummt, es ist die Erinnerung die weiterlebt, die Aufnahmen die einem vorgaukeln es sei ja alles noch so, wie es vorher war.Sie rappelte sich auf und verließ ihr Bett. Ihre nackten Füße berührten den kalten Boden.
Verschlafen rieb sie sich ihre Augen und begab sich vor den Spiegel, dessen Rahmen mit goldenen Verzierungen geschmückt war. Sie betrachtete das Abbild ihrer selbst und fuhr sich durch die platinblonden Haare. So wie eigentlich jeden Tag."Hallöchen Jana", wurde sie lächelnd von einer Freundin begrüßt.
Wenn sie sich nicht irrte, hieß sie Emma. Ja, Emma war das Mädchen von dem sie jeden Morgen begrüßt wurde.Kurze Zeit später gesellten sich zwei weitere Mädchen zu ihnen. "Na,wie war euer Tag gestern? Also ich -", das Mädchen konnte ihren Satz nicht zu Ende bringen, denn sie wurde von Jana unterbrochen: "Duwarst doch-", sie brach ab. Sie versuchte die Erinnerungen, die sie glaubte zu haben mit den Händen zu greifen, doch glitten diese durch die Ritzen ihrer Finger hindurch. Egal wie fest sie sie zusammendrückte.
Es fühlte sich an, als hätte sie dies schon einmal gehört, nur vor einer unglaublich langen Zeit. Als wäre die Erinnerung schon längst verblasst. "Was wolltest du sagen?",fragte das Mädchen, an dessen Namen sie sich nicht mehr entsinnen konnte, verwirrt. "Ach nichts", murmelte sie.
Das Mädchen begann von ihrem gestrigen Tag zu berichten, doch Jana verstand sie nicht. Ihre Worte hörten sich dumpf an, als würde sie den Kopf unter Wasser halten.
Sie ließ ihren Blick durch den voller werdenden Schulgang wandern. Sie versuchte zu erkennen ob sie einen dieser Schüler kannte. Doch nichts. Niemanden. Sie erkannte ja noch nicht einmal die, die sie ihre Freunde zu pflegen nannte.Doch wie konnte sie auch, wenn ihr nichts in derer Gesichter einen Anhaltspunkt gab. Es waren Menschen ohne Mimik, ohne das was einem Menschen den Wiedererkennungswert gab, ohne Gesichter. Das alles waren gesichtslose Menschen. Jeder von ihnen. Ohne Ausnahme.
DerS chultag zog sich lang wie einer dieser billigen Kaugummis die nach wenigen Sekunden Ihren Geschmack verlieren und nur noch ein bitterer Geschmack auf der Zunge zurückbleibt.
Ein bitterer Geschmack, den sie bei jeder Frage, bei jeder Antwort und bei jedem noch so unglaubwürdigen Tratsch, schmeckte. Denn all diese Worte waren langweilig. Durchgekaut. Diese Worte waren alt. Sie kannte sie, hatte sie schon einmal gehört. Doch gleichzeitig war alles neu. Es verwirrte sie, sie wollte das nicht, denn im Endeffekt war das alles doch nur ein gewöhnlicher Tag. Wie jeder andere.Wenn sie sich erhofft hatte, dass es mit dem Verlassen der Schule besser wurde, hatte sie sich geirrt.
Trostlose graue Häuser, die weder Türen noch Fenster besaßen, engten sie ein. Sie fragte sich, wie diese schemenhaften Bauwerke, die dicken Betonwänden glichen, überhaupt als Haus identifiziert werden konnten.
Sie rannte. Sie rannte vor diesen Mauern, die sich meterlang in die Höhe streckten, von den gesichtslosen Menschen die sie anstarrten, ihr zuwinkten, weg.
Sie wollte nur noch ihr Heim betreten. Sicher vor all dem sein.Stürmisch riss sie ihre Haustüre auf, sprintete nach oben und verkroch sich in ihrem Bett. Es war noch früher Abend. Doch das war ihr egal. Sie wollte diesen Tag einfach nur noch zum Ende bringen. Außerdem war sie erschöpft, ausgelaugt. So dauerte es nicht lange, da war sie schon in einen Schlaf abgedriftet, der ihr für den Moment die Erlösung brachte.
Sie blinzelte einige Male um sich an das hereinfallende Sonnenlicht zu gewöhnen. Drehte sich auf die linke Seite um die Stimme von Whitney Houston verstummen zu lassen.
Doch ihre Stimme war schon längst verstummt, es ist die Erinnerung die weiterlebt, die Aufnahmen die einem vorgaukeln es sei ja alles noch so, wie es vorher war.
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