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Ich atme ein.
Ich atme aus.
Ich wiederhole.
Ich setze einen Fuß vor den Anderen.
Ich gehe nach vorn, ich blicke zurück, ich bleibe stehen.
Ich will noch nicht nach vorne gehen.Sie aber gehen an mir vorbei.
Ich beobachte wie sie sich bewegen,
selbstbewusst wird ein Fuß vor den Anderen gesetzt.
Ein Wesen von perfekter Gestalt.
Selbst das Zucken der Muskeln, beim Ausführen der Bewegung, wirkt so sanft und bedacht.
Mit einem Lächeln auf den Lippen, das ich nicht sehen kann.
Ihr Rücken stets zu mir gedreht.Sie gehen nach vorn und ich bleibe stehen.
Sie haben eine Haut so weich, als wäre sie noch nie berührt worden.
Eine unerreichbare Porzellanpuppe.
So wunderschön und doch so zerbrechlich.
Ihre Zähne Strahlen so hell, dass ein jeder geblendet wird, wenn sie lächeln.
Ihre leuchtenden Augen sind umrahmt von langen geschwungenen Wimpern.Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ein Herz erscheint und zeigt mir an, dass ich das Bild geliked hab.
Ich scrolle weiter.Ich blicke nach vorn, doch ich kann nicht weiter gehen.
Diese vollen roten Lippen fesseln mich, ich kann von dieser kleinen Stupsnase nicht wegsehen.
Und dann sehe ich mich. Und meine Lippen sind nicht so voll und erinnern auch nicht an Rosen.
Und meine Nase sieht auch nicht so niedlich aus.Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ich scrolle weiter.Ihre Wangenknochen so prägnant, ihr Unterkiefer so definiert.
Gesichtszüge wie aus dem Bilderbuch.
Ein Ideal nach dem ich strebe, doch das so fern wirkt, wenn ich mein rundes Gesicht betrachte.Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ich scrolle weiter.Das Kleid passt ihr wie angegossen.
Als wäre es nur für sie geschneidert worden. Jeder Zentimeter ihres Körpers ist irgendwie auf die richtige Art und Weise betont.
Sie hat aber auch die Figur dafür. Ich könnt' das niemals tragen, was würden denn die Anderen sagen?Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ich scrolle weiter.Ihre Haare sitzen perfekt.
Weicher und glänzender als die Haare aus der Shampoo-Werbung, fallen sie leicht über ihre Schultern.
Ich würde so gern mit meinen Fingerspitzen durch sie hindurch fahren, denn während ihre Haare Seide sind, sind meine bloß Stroh.Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ich scrolle weiter.Schöne Menschen sind immer zusammen.
Sorglos lächeln sie in die Kamera.
Sie scheinen viel Spaß zu haben und jeden Tag zum Besten ihres Lebens zu machen.
Und dann frage ich mich, wann ich denn das letzte Mal Spaß hatte.Ich tippe zweimal auf den Bildschirm.
Ich öffne eine andere App.Ich mache ein Foto, klatsche noch einen Weichzeichner drauf. Meine Haut soll doch schließlich weich aussehen.
Meine Wimpern verlängere ich.
Meine Lippen werden voller, meine Nase kleiner.
Meine Wangenknochen betone ich.
Mein Unterkiefer definiert.
Meine Taille mache ich schmaler. Meine Arme und Beine gleich mit.
Meine Haare fallen weich über meinen Oberkörper.
Ich zwinge mir ein Lächeln auf.
Ich tippe auf den Auslöser.Jetzt bin ich einer von ihnen.
Jetzt bin ich begehrenswert.Und dann bleiben sie stehen.
Und sie blicken zurück.
Zurück auf die Zeit, zu der sie noch nicht dem Wahn der Perfektion verfallen warn'.Zum ersten Mal, sehe ich in ihre Gesichter.
Ich blicke in Gesichter, deren Lippen kein Lächeln schmückt.
Ich blicke in Gesichter, deren Haut Unreinheiten aufweist, deren Wimpern nicht länger als meine sind, deren Nase nicht klein und Lippen nicht voll sind.
Ich blicke in Gesichter, deren Wangenknochen nicht hervorstehen, deren Unterkiefer nicht markant ist.Ich sehe Menschen, die in mehr Formen auftreten, als nur in Einer.
Ich sehe Menschen, die so schrecklich schön unperfekt sind, wie du und ich.Doch sie können nicht weitergehen,
Sie sind im Teufelskreis gefangen.
Sie können nicht ausbrechen.
Zerbrochene Porzellanpuppen.Ich lösche das Bild, welches ich zuvor geschossen habe.
Das bin nicht ich, das werde ich niemals sein.
Das ist nicht meine Wirklichkeit.Und ich gehe nach vorn.
Ich atme ein,
Ich atme aus.
Ich wiederhole.
Ich setze einen Fuß vor den Anderen.
Und ich bleibe nicht stehen.
Nicht hier.
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Kurzgeschichten.
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